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       # taz.de -- Neues Album von Ozan Ata Canani: Aufrührerischer Agitprop für Saz und Staat
       
       > Das neue Album „Die Demokratie“ des deutsch-türkischen Musikers ist ein
       > Plädoyer für Grundrechte. Seine Songs sind nahbar, glaubwürdig und
       > tanzbar.
       
   IMG Bild: „Den Anfängen wehren/ Wenn nicht jetzt/ Wann dann“: Ozan Ata Canani mit seiner Saz
       
       Seltsam defensiv ist das politisch progressive Lager in den vergangenen
       Jahren geworden. Linke Staatskritik kennt man mittlerweile fast nur noch
       aus den Geschichtsbüchern. In dem allgemeinen rechtspopulistischen Klima
       muss nun sogar Rechtsstaatlichkeit gegen die Neuen Nazis – und neuerdings
       auch gegen Söders CSU – verteidigt werden.
       
       Da passt es nur zu gut, dass der deutsch-türkische Musiker Ozan Ata Canani
       dieser Tage ein neues Album unter dem Titel „Die Demokratie“
       veröffentlicht. Ähnlich [1][wie einst Ton Steine Scherben] spielt auch er
       darauf eine Art aufrührerischen Agitprop.
       
       Doch anders als die Westberliner Band um Rio Reiser und ihre Songs aus den
       1970ern tritt Canani heute in seinen Songtexten nicht gegen, sondern für
       das demokratische System ein. Ergo sucht man Zeilen wie „Macht kaputt, was
       euch kaputt macht“ auf seinem Album vergeblich. Stattdessen heißt es [2][im
       Auftaktsong] „Den Anfängen wehren/ Wenn nicht jetzt/ Wann dann“.
       
       ## Es geht um Grundsätzliches
       
       Zwar haben Parolen wie diese mit Rock'n'Roll und Eskapismus ungefähr so
       viel zu tun, wie die neue schwarzrote Bundesregierung mit einer humanitären
       Asylpolitik. Doch darf man getrost annehmen, dass es Canani um etwas
       Grundsätzliches geht. Außerdem sind seine Songs nahbar, auf berührende
       Weise glaubwürdig, und vor allem: außerordentlich tanzbar.
       
       Musik macht Canani schon lange. 1975 kam er als Sohn eines türkischen
       Gastarbeiters nach Deutschland, damals war er 11 Jahre alt. Was er denn
       haben wolle, damit Canani mit in das fremde Land komme, fragte sein Vater
       ihn damals. Die Antwort: [3][Eine Saz. Das Saiteninstrument ist das
       anatolische Äquivalent zur Gitarre, fester Bestandteil türkischer
       Volksmusik, aber auch das Signaturinstrument vom inzwischen gehypten
       Anadolurock].
       
       Bald komponierte Canani ab den 1980er Jahren Songs, die Titel trugen wie
       „Alle Menschen dieser Erde“ und „Deutsche Freunde“, er sang diese auf
       deutsch und türkisch. In letzterem reimte er in Anlehnung an Max Frisch:
       „Arbeitskräfte wurden gerufen/Aber Menschen sind gekommen“.
       
       ## Zwischen allen Stühlen
       
       Zwar spielte Canani damals einige Konzerte und gastierte sogar in einer
       Talkshow von [4][Alfred Biolek], doch war das allgemeine Interesse an
       seiner Musik eher gering. Für bundesdeutsche Ohren, so sagte er später
       einmal, sei sein Sound zu orientalisch gewesen. Und viele der
       Gastarbeiter*innen wiederum hätten seine deutschen Texte nicht
       verstanden.
       
       So gab er die Musik wieder auf. [5][Erst 2013 wurden seine Songs durch den
       Sampler „Songs of Gastarbeiter“] wieder entdeckt. 2021 dann erschien sein
       Debütalbum [6][„Warte mein Land, warte“.] Und „Die Demokratie“ ist nun das
       zweite Soloalbum des 61-jährigen Künstlers. Aufgenommen hat er es mit der
       Kölner Indieband Locas In Love.
       
       Ein Glücksgriff, [7][bewegt sich das Quintett – ähnlich wie Canani mit
       seinen Songs – doch seit vielen Jahren an der Schnittstelle zwischen Pop,
       Krautrock und psychedelischen Sounds]. Die Spielfreude der versammelten
       Musiker*innen ist den Songs über weite Strecken anzuhören.
       
       So etwa im groovigen Stück „Freund/ Dost“, das präzise treibenden Funk mit
       anatolischer Harmonik verbindet. Ursprünglich stammt das Stück aus dem
       Frühwerk des Musikers. Für die Albumversion hat der Istanbuler DJ Bey die
       Stimme Cananis aus einem alten, 1979 aufgenommen Video gezogen und zur
       Neuaufnahme hinzugefügt. So gehen Vergangenheit und Gegenwart ineinander
       über. Und damit wird auch deutlich, dass die Probleme und Sorgen von vor 50
       Jahren bedauerlicherweise nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben.
       
       Manche Textzeilen des Albums wie „Wenn man Gutes bewahren will/Nimmt man
       vieles in Kauf“ und „Die Vielfalt macht alles so bunt und auch schön“,
       mögen dabei grenzwertig moralinsauer daherkommen. Doch schmälert das den
       Gesamteindruck kaum. Wenn die Band in Songs wie „Gel Gel“, „Was keiner
       braucht“ sowie dem alles überragenden „Papierkramland“ zur Höchstform
       aufläuft. Denn selten klang staatsbürgerschaftlicher Agit Pop so sexy wie
       hier.
       
       3 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Podcast-ueber-Ton-Steine-Scherben/!6000085
   DIR [2] https://funinthechurch.bandcamp.com/track/die-demokratie
   DIR [3] /Album-von-Derya-Yldrm--Grup-imek/!6075451
   DIR [4] /Nachruf-auf-TV-Moderator-Alfred-Biolek/!5788916
   DIR [5] /Songs-of-Gastarbeiter-Teil-Zwei/!5829195
   DIR [6] /Erstes-Album-von-Ozan-Ata-Canani/!5770143
   DIR [7] /Indie-Pop-Kalender-von-Locas-in-Love/!5258111
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Luca Glenzer
       
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