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       # taz.de -- Tag gegen Polizeigewalt in Oldenburg: Vertrauen ist schlecht, Kontrolle wäre besser
       
       > Nach dem Tod von Lorenz A. fordern Zivilgesellschaft und Polizeiforschung
       > eine unabhängige Polizei-Ermittlungsstelle. Die Politik vertraut lieber.
       
   IMG Bild: Demo in Oldenburg: Die Polizei zu entwaffnen, lässt die Rate der Toten bei Einsätzen sinken, ohne dass die Kriminalität zunimmt
       
       OLDENBURG taz | Die engsten Freunde von Lorenz A. haben sich am Sonntag auf
       der Bühne vor dem Rathaus versammelt. Genau zehn Wochen sind vergangen,
       seit ein Polizist den Oldenburger Lorenz A. von hinten erschossen hat. Am
       30. Juni hatte die Initiative „Gerechtigkeit für Lorenz“ zum
       „[1][Aktionstag gegen rassistische Polizeigewalt]“ aufgerufen, an dem rund
       1.000 Menschen teilgenommen haben.
       
       Neben der Erinnerung an Lorenz ging es vor allem um die politische
       Dimension des Falls. Ein [2][Kindheitsfreund von Lorenz] forderte: „Wir
       müssen darüber sprechen, was Polizeigewalt in diesem Land anrichtet. Wir
       müssen Strukturen hinterfragen, die solche Taten möglich machen und die zu
       oft ohne Konsequenzen bleiben.“
       
       Die Initiative fordert neben dem verpflichtenden Einsatz von Bodycams und
       Maßnahmen gegen Rassismus unabhängige Beschwerdestellen und eine externe
       Kontrolle der Polizei.
       
       Sie kritisiert, dass unter der Leitung der Staatsanwaltschaft Oldenburg die
       benachbarte Polizeiinspektion Delmenhorst die laufenden Ermittlungen wegen
       Totschlags gegen den Polizeibeamten der Inspektion Oldenburg führt.
       
       ## Der Landtag glaubt fest ans Gute in der Polizei
       
       Beide Dienststellen unterstehen der Polizeidirektion Oldenburg, die
       Beamt*innen werden gemeinsam in Oldenburg ausgebildet. Erst 2021
       ermittelte Oldenburg gegen Delmenhorst, weil dort unter bis heute
       ungeklärten Umständen der Geflüchtete [3][Qosay Khalaf in Polizeigewahrsam
       starb].
       
       Innenministerin Behrens (SPD) bekundete im Landtag ihr „volles Vertrauen“
       in die Polizei. Von Grünen über SPD, CDU bis hin zur AfD stellten sich alle
       Fraktionen hinter die Behörden. Sie bekräftigten ihrerseits ihr Vertrauen
       in die Ermittlungen.
       
       Dass die Polizei gegen sich selbst ermittelt, hält der Kriminologe Tobias
       [4][Singelnstein] dagegen für problematisch: „Das ist auch innerhalb
       Deutschlands die schlechteste Lösung, dass die benachbarte
       Polizeidienststelle ermittelt“, erklärte er im Gespräch mit der taz.
       
       Singelnstein und Kolleg*innen entdeckten in ihrer Studie „Gewalt im Amt“
       eine „ungewöhnliche Erledigungspraxis“ von Staatsanwaltschaften bei
       Verdachtsfällen von rechtswidriger Polizeigewalt: Nur 2 Prozent der
       Ermittlungsverfahren gegen Polizist*innen führen zu einer Anklage.
       Normal wären 22 Prozent.
       
       Die Ursachen sind vielfältig. Ein Grund ist die Nähe und Abhängigkeit von
       Staatsanwaltschaft zu Polizei. Denn obwohl die Staatsanwaltschaft formal
       die Ermittlungen leitet, werden sie überwiegend von der Polizei
       durchgeführt. Dass die Polizei in Deutschland aber nicht neutral gegen sich
       selbst ermitteln kann, hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
       [5][2022 in einem Urteil zu Racial Profiling festgestellt].
       
       Daneben gelten Polizist*innen als besonders glaubwürdige Zeug*innen
       und die Staatsanwaltschaft übernimmt häufig ihre Sichtweise. Im Fall Lorenz
       A. hat das niedersächsische Justizministerium schon vor Abschluss der
       Ermittlungen als einzige Aussage die des Kollegen des Todesschützen
       öffentlich gemacht. Demnach soll A. angeblich in seiner Tasche gekramt
       haben, als er auf die Beamten zurannte. Überprüfen lässt sich das nicht:
       Die Bodycams der Beamten waren [6][ausgeschaltet].
       
       ## Gewerkschaft lehnt unabhängige Ermittlungsbehörde ab
       
       Sind Polizist*innen umgekehrt mutmaßliche Opfer einer Straftat, kommt
       es fast immer zur Anklage, selbst bei kleinsten Vergehen. In Niedersachsen
       und acht weiteren Bundesländern gibt es geheime Anweisungen an die
       Staatsanwaltschaften, diese Verfahren besonders hart zu verfolgen, [7][wie
       Recherchen von Frag den Staat zeigen].
       
       Die Polizeiforscherin Astrid Jacobsen hat im Auftrag des niedersächsischen
       Innenministeriums eine Studie zu Diskriminierung in der Polizei
       durchgeführt. Auch sie spricht sich für eine unabhängige Ermittlungsbehörde
       aus.
       
       Die [8][Polizeigewerkschaften] halten eine unabhängige Ermittlungsstelle
       hingegen weiterhin für überflüssig. Auch das niedersächsische
       Innenministerium hält sie für unnötig. Ob es nach Abschluss des
       Ermittlungsverfahrens in Oldenburg zur Anklage kommt, wird sich in den
       nächsten Wochen zeigen.
       
       30 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Buch-ueber-Rolle-der-Polizei/!6087636
   DIR [2] /Erinnerungsarbeit-mit-Kopfhoerern-/!6091324
   DIR [3] /Ermittlungen-im-Fall-Qosay-Khalaf/!5821955
   DIR [4] /Kriminologe-zum-Fall-Lorenz-A/!6080732
   DIR [5] https://hudoc.echr.coe.int/eng#%7B%22itemid%22:%5B%22001-220007%22%5D%7D
   DIR [6] /Polizeigewalt-in-Delmenhorst/!5856971
   DIR [7] https://fragdenstaat.de/artikel/exklusiv/2025/04/wie-polizistinnen-vor-dem-gesetz-besser-gestellt-werden/
   DIR [8] /Polizei-empoert-sich-ueber-Ausstellung/!5878107
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Aljoscha Hoepfner
       
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