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       # taz.de -- Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg: Unser neuer Mitbewohner: der Zaun
       
       > Die Debatte über den Zaun um den Görlitzer Park tobt weiter. Dabei muss
       > man das Drogenproblem in Kreuzberg klar benennen: als Epidemie.
       
   IMG Bild: Der Zaun um den Görli ist nur ein Symptom der eigentlichen Epidemie: Drogensucht
       
       Am winzigsten Eingang [1][zum Görlitzer Park] haben die Bauarbeiten
       begonnen. Auf einem halben Quadratmeter wurde Kopfsteinpflaster
       ausgebuddelt und ein bisschen Erde, außerdem wurden zwei Baustellenzäune
       aufgestellt. Vier Arbeiter stehen an diesem Freitag um das kleine Loch,
       machen ein Foto und Feierabend.
       
       Frühestens im Dezember sollen die wahlweise Zaun oder Mauer genannten
       Absperrungen fertig sein, mit denen der Park nachts unzugänglich werden
       soll. Mein Kreuzberger Hauseingang ist seit Neuestem jetzt auch durch ein
       Tor verbarrikadiert. Wir Anwohner mit Mietvertrag, alle mit Migrations- und
       Arbeiterhintergrund und seit Jahrzehnten in diesem Haus mit Kohleofen
       lebend, feierten die Ankunft des Schutzwalls.
       
       Ein bizarrer Moment, aber die Zustände waren in den letzten Jahren einfach
       unerträglich geworden. Unsere Mitbewohner*innen ohne Mietvertrag, die
       in unserem Treppenhaus Papier abfackelten, um ihre Crackpfeifen anzuzünden,
       sich von den Strapazen des Crackrauchens erholten, Scheißehaufen auf dem
       Boden hinterließen oder in unser Türschloss schmierten und uns verfluchten,
       wenn wir darum baten, dass sie uns Platz machten, um in unser Haus zu
       kommen, müssen jetzt woanders hin.
       
       Das Drogenproblem ist nicht gelöst. Vorläufig aber verlasse ich jetzt
       abends wieder meine Wohnung, ohne Angst davor zu haben, wieder nach Hause
       zurückkommen zu müssen.
       
       [2][Die Debatte über den Zaun] um den Görlitzer Park endet unter Linken
       immer so: Das löst doch kein Problem, verschiebt es nur noch mehr in euren
       Kiez.
       
       ## Schlimmer geht immer
       
       Über den Verweis auf die Verschlimmerung der Zustände kann ich nur lachen.
       Klar, schlimmer geht immer, aber die Lage hier ist halt so schlimm, dass
       man als Anwohner*in bereits selbst Psychosen entwickelt hat, ohne jemals
       an der Crackpfeife gezogen zu haben.
       
       Seit einigen Jahren nenne ich das, was sich nicht nur vor meiner
       Kreuzberger Haustür, im Frankfurter Bahnhofsviertel, in der Kapellenstraße
       von Paderborn oder im Justizviertel von Hannover abspielt, eine Epidemie.
       Viele halten das für übertrieben, sagen: „Das ist deine subjektive
       Wahrnehmung.“
       
       Der Drogenbeauftragte der Ampelregierung, der letztes Jahr verkünden
       musste, dass es in Deutschland 2023 so viel Drogentote wie noch nie gab,
       konstatierte, dass der zunehmende Konsum von Crack die deutschen Großstädte
       „vor Probleme stelle“ und eine „Herausforderung für die Gesundheit, aber
       auch für das Zusammenleben“ sei. Der Drogenbeauftragte der neuen Regierung
       konnte vor ein paar Tagen für 2024 zwar verkünden, dass die Zahl der
       Drogentoten etwas zurückgegangen ist (in Berlin ist sie hingegen so hoch
       wie nie), charakterisiert die Lage aber als [3][„quasi pandemische
       Dynamik“.]
       
       Wenn ich in Gesprächen die Bilder aus Los Angeles anführe und sage, dass
       die Bilder vom Berliner Herrmannplatz oder dem Frankfurter Bahnhof
       mittlerweile schon Ähnlichkeiten haben, wird immer gleich gekontert, dass
       das in den USA ja ganz andere Gründe habe. Na gut.
       
       ## Koka statt Schlafmohn
       
       Dass es eine Kokainschwemme gibt, ist unbestritten. Als Grund werden die
       Taliban genannt, die den Anbau von Schlafmohn in Afghanistan verboten
       haben. Aus ihm wird Opium gewonnen, die Grundlage für Heroin. Synthetische
       Drogen wie Fentanyl traten an seine Stelle, oder eben Crack.
       
       Die Gründe für den gestiegenen Konsum liegen aber auch in zunehmender
       Wohnungslosigkeit. Wer auf der Straße lebt, läuft große Gefahr, sich für
       ein paar Euro aus dem elenden Leben zu beamen.
       
       Warum es über die Drogenepidemie, die deutsche Städte bedroht, keine Lanz-,
       Maischberger- und Illner-Talks gibt, warum darüber nicht mit dem gleichen
       Alarmismus wie über Trump, Putin, Gaza diskutiert wird, ist mir ein immer
       größer werdendes Rätsel.
       
       13 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Zaun-im-Goerlitzer-Park/!6089824
   DIR [2] /Goerlitzer-Park-in-Berlin/!6094255
   DIR [3] https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/drogentote-streeck-100.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Doris Akrap
       
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