# taz.de -- Nach der geplatzten RichterInnenwahl: Koalition geht streitend in die Sommerpause
> Die SPD hält an ihrer Kandidatin Brosius-Gersdorf fest und fordert von
> der Union Zustimmung. Dort gibt es immer mehr Kritik an der
> Fraktionsspitze.
IMG Bild: Keine „ultra-linke Aktivistin“: Die Rechtswissenschaftlerin Frauke Brosius-Gersdorf
Berlin taz/afp | Nach der geplatzten RichterInnenwahl am Freitag geht die
schwarz-rote Koalition streitend in die Sommerpause. SPD-Fraktionschef
Matthias Miersch bezeichnete das Verhalten der Union als „brandgefährlich“.
Die SPD halte an ihrer Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf fest, für die
Wahl müsse die Union jetzt die Mehrheit beschaffen, forderte Miersch. Auch
in der Union wird inzwischen Kritik an der eigenen Fraktionsspitze laut.
Der Bundestag hätte am Freitag über die Neubesetzung von drei
RichterInnenposten am Bundesverfassungsgericht abstimmen sollen. Die SPD
hatte die beiden Rechtsprofessorinnen Frauke Brosius-Gersdorf und
Ann-Katrin Kaufhold vorgeschlagen, die CDU/CSU den Richter Günter Spinner.
Die Abstimmung im Plenum sollte eine Formalie sein, denn die Spitzen der
SPD und der Union hatten sich zuvor auf die KandidatInnen geeinigt. Für
die Wahl braucht es eine Zweidrittelmehrheit.
Doch am Freitag forderte die Unionsfraktion kurzfristig die Absetzung der
Wahl von Brosius-Gersdorf und [1][verwies auf vermeintliche
Plagiatsvorwürfe]. Diese stellten sich später als konstruiert heraus. SPD,
Union, Grüne und Linke einigten sich darauf, die Wahl aller
KandidatInnen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.
Brosius-Gersdorf war Mitglied der Expert*innenkommission zu
Schwangerschaftsabbrüchen, die eine Legalisierung bis zur 12. Wochen
empfohlen hatte. Einige [2][Abgeordnete halten deshalb ihre Position zum
Abtreibungsrecht für zu liberal]. Seit ihre Kandidatur bekannt wurde,
[3][läuft eine Kampagne organisierter Abtreibungsgegner*innen] gegen
sie.
## Brosius-Gersdorfs Positionen sind mehrheitsfähig
Auch der katholische Bamberger Erzbischof Herwig Gössl schaltete sich am
Sonntag per Predigt in die Diskussion ein: Die Wahl von Brosius-Gersdorf
wäre ein „innenpolitischer Skandal“, so Gössl und zeichnete ein düsteres
Bild einer Zukunft, in der Abtreibung legalisiert wäre. Allerdings sind
Brosius-Gersdorfs Positionen mehrheitsfähig: Sogar unter Katholik*innen
sind 65 Prozent für ein Ende des Abtreibungsverbots, wie sie es vertritt.
In der gesamten Bevölkerung befürworten es 80 Prozent.
Brosius-Gersdorf sei Opfer einer beispiellosen Schmutzkampagne geworden,
sagte SPD-Fraktionschef Miersch. Den Unionsabgeordneten bot er ein
klärendes Gespräch mit der Kandidatin an. Sie sei dazu bereit, sich den
Fragen der Abgeordneten zu stellen und zu zeigen, dass sie keine
„ultralinke Aktivistin“ sei, wie manche behaupteten. An den
Koalitionspartner richtete Miersch einen klaren Auftrag: „Ich erwarte, dass
die Mehrheit steht.“ Auf das Gesprächsangebot ging die Union bisher nicht
ein.
Die Grünen forderten eine Sondersitzung noch in dieser Woche, um die
RichterInnenwahl zu wiederholen. „Wir können keine Hängepartie über den
Sommer akzeptieren, in der das Land im Unklaren darüber ist, ob wir noch
eine stabile Regierung haben“, erklärten die Fraktionsvorsitzenden Britta
Haßelmann und Katharina Dröge. Wenn Union und SPD keine demokratische
Mehrheit zustande bringen könnten, sei [4][Jens Spahn] als
Fraktionsvorsitzender gescheitert und ungeeignet.
## Bundespräsident hält die Regierungskoalition für „beschädigt“
Auch aus der Union kam Kritik an der eigenen Spitze. Von einem „eklatanten
Führungsversagen“ sprach am Wochenende der Christdemokrat Peter Müller, der
als pensionierter Politiker und Ex-Verfassungsrichter keine Rücksicht mehr
auf innerparteiliche Etikette legen muss. „So etwas darf nicht passieren.“
Was die Regierungsparteien in den vergangenen zwei Wochen geboten hätten,
sei „ein Autounfall in Zeitlupe“, sagte auch der Chef des
CDU-Sozialflügels, Dennis Radtke, der Welt am Sonntag. Tilman Kuban,
CDU-Abgeordneter, stützte hingegen Fraktionschef Spahn. „Eindeutig ja“,
antwortete er dem Tagesspiegel auf die Frage, ob Spahn jetzt als
Fraktionsvorsitzender weitermachen könne. Er legte Brosius-Gersdorf den
Rückzug als Kandidatin für die Richterwahl nahe.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält die schwarz-rote
Regierungskoalition nach der verschobenen Wahl für „beschädigt“. Der
Vorgang beschädige die Autorität des Parlaments, sagte Steinmeier am
Sonntag im ZDF. Der Bundespräsident drängte darauf, „in näherer Zeit“ eine
Entscheidung zu treffen.
Bundestagspräsidentin [5][Julia Klöckner] (CDU) sprach unterdessen davon,
in der nächsten Sitzungswoche, die ab dem 10. September statt finden wird,
einen neuen Anlauf für die Wahl nehmen zu wollen. Sollte der Bundestag dann
weiterhin keine Zweidrittelmehrheit zustande bekommen, kann er das
Wahlrecht an den Bundesrat abtreten.
13 Jul 2025
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## AUTOREN
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