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       # taz.de -- Ausstellung über nachhaltiges Bauen: Bauturbo aus der Gemeinschaftsküche
       
       > Kreislaufwirtschaft oder Superblock: In der Bundeskunsthalle Bonn zeigt
       > die Ausstellung „WEtransFORM“, was die Architektur für die Bauwende parat
       > hat.
       
   IMG Bild: Bauen mit Seegras: Julia Lohmanns „Baltic Sea Lab“
       
       Plötzlich beginnt es zu surren, zu schwirren, zu flattern. Über zweihundert
       Glühbirnen hängen von der Decke, gefüllt mit filigranen Insektenattrappen,
       die auf jede Bewegung reagieren. Ein magischer Moment inmitten der
       Ausstellung „WEtransFORM“ in der Bonner Bundeskunsthalle. Dabei geht es um
       ein gar nicht magisches, aber drängendes Thema: das Bauen – und seine Rolle
       in der Klimakrise.
       
       Die Fakten sind bekannt: Der Bausektor ist der Klimakiller schlechthin. Er
       verbraucht über ein Drittel der globalen Ressourcen und verursacht fast 40
       Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen.
       
       Also Baustopp überall? Doch in Deutschland fehlen laut Schätzungen rund
       500.000 Wohnungen. Nicht umsonst will Bauministerin Verena Hubertz den
       „Bauturbo“ anwerfen – für mehr Tempo beim Bauen. Eine verständliche
       Reaktion auf eine akute Lage. Und das Klima?
       
       ## Das Zusammenleben neu denken
       
       Hier setzt die Ausstellung „WEtransFORM. Zur Zukunft des Bauens“ an. Sie
       fragt: Wie kann Bauen künftig Mensch und Umwelt gleichermaßen gerecht
       werden?
       
       Der Begriff „Zukunft“ im Titel wirkt dabei fast irreführend – denn die über
       80 gezeigten Beispiele für [1][klimafreundliches Bauen] wurden fast alle
       bereits realisiert. „Das Wissen ist längst da“, sagt Sven Sappelt, der die
       Ausstellung gemeinsam mit Bundeskunsthallenintendantin Eva Kraus kuratiert
       hat. Jetzt brauche es vor allem den politischen und wirtschaftlichen Willen
       zur Umsetzung.
       
       „WEtransFORM“ richtet sich an ein breites Publikum. Die Kuratoren setzen
       auf eine sinnliche, zugängliche Präsentation – mit Kunst, Design,
       begehbaren Objekten und Materialien zum Anfassen. Das funktioniert
       erstaunlich gut. Und macht deutlich, dass nachhaltiges Bauen keine rein
       technische Frage ist, sondern eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.
       Und eine Chance, unser Zusammenleben neu zu denken.
       
       Schon vor der Bundeskunsthalle geht es los: Hier lädt die Holzkonstruktion
       „Vert“ von den Designbüro Diez Office und den Herstellern AHEC und OMC°C
       mit weichen Netzen zum Entspannen ein – und bietet nicht nur Menschen,
       sondern auch Pflanzen und Insekten Raum. Ein karger Vorplatz verwandelt
       sich so in einen Ort der Begegnung.
       
       Im Inneren folgt dann das harte Erwachen. Videoprojektionen zeigen die
       drastischen Folgen des Bauens für das Klima: Waldbrände, Dürren,
       Überschwemmungen. Ein dramatischer, unmissverständlich didaktischer
       Einstieg in die Ausstellung. Doch dann eben jener magische Moment des
       Surrens und Flatterns: Die Installation „Curiosity Cloud“ zeigt Glühbirnen,
       in denen detailgenaue Insektenmodelle auffliegen, sobald sich Besuchende
       nähern. Ein eindringliches Bild für den Menschen als Störfaktor und für die
       Frage, wo wir uns selbst im Gefüge der Natur verorten.
       
       [2][Material ist ein zentrales Thema in der Architekturausstellung.] Denn
       nicht der Betrieb eines Gebäudes, sondern die Herstellung der Bauteile
       verursacht den Großteil der Emissionen. Hierzu forscht die Denkfabrik
       Bauhaus Earth. Eines ihrer Projekte verwandelt den Erdaushub großer
       Baustellen, der normalerweise auf dem Müll landet, in nachhaltige
       Lehmbausteine.
       
       Besonders eindrucksvoll ist die begehbare Holz-Pilz-Skulptur „My-Co Space“.
       Besuchende können diese kreislauffähige Architektur betreten, die Haptik
       der Materialien erleben – und so erfahren, wie ressourcenschonendes Bauen
       sich anfühlen kann.
       
       Natürlich spielt auch Energie eine Rolle. Es müsse nicht immer die
       Hightechlösung sein, sagt Sven Sappelt. Das Projekt „Einfach Bauen“ von dem
       Architekten Florian Nagler etwa präsentiert Forschungshäuser aus Holz,
       Ziegel und Beton, die mit minimalem Material- und Technikeinsatz auskommen.
       Die wissenschaftliche Begleitung belegt: Energieeffizienz und Wohnkomfort
       lassen sich besser mit einfachen, langlebigen Lösungen erreichen.
       
       Beispiele gibt es auch aus der Stadtplanung. In Barcelona etwa wurde 2017
       als Pilotprojekt ein Stadtteil in einen sogenannten verkehrsberuhigten und
       begrünten „Superblock“ umgewandelt. Das Projekt war so erfolgreich, dass
       nun über 500 solcher Superblocks entstehen sollen.
       
       Denn Nachhaltigkeit heißt nicht nur weniger Beton und mehr Seegras. Es geht
       um neue Alltagskulturen. Viele der gezeigten Projekte schaffen Räume für
       Offenheit und Austausch, mit geteilten Küchen, offenen Werkstätten,
       gemeinschaftlich genutzten Innenhöfen.
       
       [3][Verena Hubertz’ „Bauturbo“] mag angesichts der Wohnungsnot sinnvoll
       erscheinen. Doch Fragen nach Klimaschutz, demokratischer Teilhabe und
       sozialer Qualität spielen darin bislang kaum eine Rolle.
       
       Die Ausstellung „WEtransFORM“ macht hingegen deutlich, dass es beides
       braucht – Tempo bei der Transformation und eine klarere Vorstellung davon,
       wie wir künftig miteinander leben wollen.
       
       15 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Verena Harzer
       
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