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       # taz.de -- Verkehrswende mit Straßenbahn: In vielen Städten kommt die Tram zurück
       
       > Weltweit wird dieses alte Transportmittel in immer mehr Städten wieder
       > oder neu eingeführt. Sie bietet viele Vorteile – nicht nur fürs Klima.
       
   IMG Bild: Grünes Verkehrsmittel: Die neue Straßenbahn in Lüttich
       
       Lüttich taz | Mit einem lauten Gong kündigt sie sich an, die neue Tram in
       der ostbelgischen Stadt Lüttich. Fast lautlos, irgendwie elegant fährt sie
       in die Haltestelle ein. Mondän ist der Ortsteil Liège Expo am Stadtrand
       nicht. Aber die Tram bringt eine Portion Futurismus mit: außen silbriges
       Metall, innen Großbild-Screens, geräumige Sitzgruppen.
       
       Die Straßenbahn hat sonst nicht den Ruf des modernsten Verkehrsmittels.
       Eher Bimmelbahn als Hightech-Zug. Aber überall auf der Welt [1][entstehen
       seit 20 Jahren neue Tram-Linien]. Derzeit können sie Menschen in 400
       Städten weltweit nutzen, 16.000 Schienen-Kilometer global zählt die
       International Association of Public Transport, Stand 2021. Eine
       Renaissance, für die es gute Gründe gibt.
       
       Die Lütticher*innen mussten fast ein Jahrzehnt auf die Wiedereröffnung
       warten. Aber seit April 2025 rollt die Tram nun auf 11,2 Kilometern von
       Süden nach Norden durch die Stadt und ist an diesem Tag im Juni gut
       besucht. Wie viele europäische Kommunen hatte sich auch Lüttich in den
       späten 1960er Jahren von der Tram verabschiedet – und sie ein halbes
       Jahrhundert später in neuer technologisch-avancierten Form reaktiviert, um
       damit drängende Probleme zu lösen.
       
       Das Verkehrssystem der Stadt mit Bussen und motorisiertem Individualverkehr
       war komplett überlastet, erklärt Daniel Wathelet, Pressesprecher der Tram
       de Liège. Hinzu kamen Luftverschmutzung, CO2-Belastung und Lärm.
       
       ## Auto verdrängte Tram
       
       In ihrer Hochzeit – den 1930er Jahren – gab es Straßenbahnen in 900
       Städten. Das Tram-Netz in Los Angeles hatte eine Länge von rund 1.600
       Kilometern. Paris konnte sich um 1925 mit über 900 Kilometern Schienen
       rühmen. Heute, und mit erfolgreicher Wiedereinführung, sind es knapp 200
       Kilometer.
       
       Warum aber war die Tram vielerorts verschwunden? Kurze Antwort: Sie
       [2][musste dem Auto weichen] – und einem neuem städteplanerischen
       Zeitgeist, der Idee der autogerechten Stadt. Dieselgetriebene Busse
       ersetzten die Bahnen, wer es sich leisten konnte, fuhr in seinem eigenen
       Auto. Die Tram sei zu langsam, unflexibel, teuer, lautete das Argument.
       Erhalten wurde sie vor allem in Osteuropa, auch im Ostteil Berlins.
       Westberlin schaffte sie ab.
       
       Ihre Rückkehr hat nun nicht nur mit ihrer guten Klimabilanz zu tun – nach
       [3][Zahlen des Umweltbundesamts stößt sie bei ähnlicher Auslastung pro
       Personenkilometer nur etwas mehr als halb so viel CO2 aus] wie ein
       durchschnittlicher Diesel-Linienbus, ein Fünftel so viel Stickoxide und ein
       Viertel so viel Feinstaub. Sie schneidet auch etwas besser als Elektrobusse
       ab.
       
       Sie schafft aber noch mehr: Vielerorts dient sie als Katalysator, um
       öffentliche Räume neu zu gestalten. In der Lütticher Innenstadt etwa haben
       Fußgänger*innen, Fahrräder und der öffentliche Nahverkehr jetzt mehr Platz.
       Die Tram mit ihren Niederflur-Wagen hat eigene Gleise, bekommt Vorrang und
       ist deshalb schneller als der Straßenverkehr. 900 Bäume wurden entlang der
       Strecken gepflanzt, auf einem Großteil der Gleise gibt es grünen Rasen. Das
       hat eine kühlende und zusätzlich CO2-absorbierende Funktion, so
       Pressesprecher Wathelet.
       
       ## Niedrige Kosten
       
       Finanziert wird das System – mit Kosten von knapp einer Milliarde Euro –
       durch eine Öffentliche Private Partnerschaft. Baukosten, Finanzierung und
       Wartung tragen die Unternehmen, den Rest übernimmt das öffentliche
       Verkehrsunternehmen und zahlt die Investitionen zurück – hier in Lüttich 27
       Jahre lang, zu einem gleichbleibenden Betrag. Das Finanzierungs-Konzept ist
       nicht unumstritten. Woanders werden Tram-Linien nur mit öffentlichen
       Mitteln gebaut, in Frankreich wird oft ein spezielles Besteuerungssystem
       angewendet.
       
       Ein Grund, warum die Tram oft der ebenso umweltfreundlichen U-Bahn
       vorgezogen wird: die niedrigeren Kosten. „In Deutschland geben wir etwa 10
       Millionen für einen Straßenbahnkilometer und ungefähr 100 Millionen für
       einen U-Bahn-Kilometer aus“, sagt Mobilitätsforscher Arndt. 60.000
       Fahrgäste pro Tag und Strecke könne so eine Tram in Hochzeiten von A nach B
       bringen und in etwa drei Busse ersetzen.
       
       „Sie bekommen für 10 Prozent des Preises einer U-Bahn 60 Prozent der
       Kapazität. Und das ist der Clou bei der Straßenbahn.“ Und im städtischen
       Raum nimmt eine Traminfrastruktur wesentlich weniger Platz in Anspruch als
       das Auto bei einer höheren Kapazität.
       
       Die Hoffnungen, die in Lüttich auf „Le Tram“ liegen, sind groß. 30 Prozent
       weniger Autos sollen hier bald unterwegs sein. Machbar? „Eine Tram schafft
       ein neues urbanes Selbstverständnis und wird als Verkehrsmittel anders
       wahrgenommen“, sagt Wulf-Holger Arndt. Er forscht zu Mobilität und Raum an
       der TU Berlin. Autofahrer steigen eher auf die Tram um als auf den Bus, das
       haben Studien gezeigt, sagt Arndt. Eine Tram werde oft als schneller,
       komfortabler, geräumiger und attraktiver als Bussysteme empfunden. Oft ist
       es jedoch die Kombination vieler Faktoren, wie Fußgängerzonen, Parkgebühren
       oder Beschränkungen oder Mautsysteme.
       
       Der wirksamste Hebel überhaupt aber sei die Verkürzung der Fahrtzeit,
       schreibt Adriana Diaz, Director of Innovation at EIT Urban Mobility. Das
       begeistert auch Passagier*innen der Lütticher Tram: Vorher musste ich
       eine Stunde mit dem Bus fahren, heute sind es 10 Minuten“, sagt eine
       Lütticherin. Eine andere sagt: „Die Stadt ist jetzt viel lebhafter, es ist
       toll.“ Dass es weniger Autos gibt, empfindet ein Fahrgast als große
       Erleichterung, und das, obwohl er selber Autofahrer sei.
       
       14 Jul 2025
       
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       ## AUTOREN
       
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