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       # taz.de -- Impfungen weltweit: Keine Frage der Einstellung
       
       > Impfungen zählen weltweit zu den wichtigsten Gesundheitsmaßnahmen. Doch
       > nicht alle Kinder bekommen die Grundimmunisierungen. Wo liegen die
       > Probleme?
       
   IMG Bild: Ein Kind erhält eine Polio-Schluckimpfung im pakistanischen Karatschi
       
       Berlin taz | Kinder hören es hierzulande oft: „Nur ein kleiner Piks.“
       Gerade in den ersten Lebensjahren [1][sind einige Impfungen angesagt]. Etwa
       gegen Rotaviren, Meningokokken, Windpocken, oder die Mehrfachimpfstoffe
       gegen Masern/Mumps/Röteln. Neuerdings ist auch die Immunisierung gegen das
       Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) für Neugeborene und Säuglinge
       empfohlen.
       
       Damit junge Eltern nicht den Überblick verlieren, veröffentlicht das Robert
       Koch-Institut (RKI) einen Impfkalender mit allen Empfehlungen. Natürlich
       haben auch die Kinderärztinnen und -ärzte einen Blick darauf und weisen die
       Familien auf die anstehenden Impfungen hin.
       
       Solche Immunisierungen sind wichtig – nicht nur in Deutschland, sondern auf
       der ganzen Welt. Deshalb hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits
       1974 das „erweiterte Impfprogramm (EPI)“ gestartet. Das Ziel seit 50
       Jahren: global die Impfungen von Kindern voranzubringen.
       
       Und tatsächlich waren weltweit im Jahr 2023 doppelt so viele Kinder gegen
       gefährliche Erkrankungen wie Diphtherie, Tetanus und Polio geimpft wie
       1980, wie [2][ein kürzlich veröffentlichter Bericht] im renommierten
       Fachmagazin The Lancet zeigt. In den letzten 15 Jahren jedoch verlangsamte
       sich der Fortschritt in vielen Ländern. Durch die Pandemie gingen die
       Zahlen noch deutlicher zurück und haben sich seitdem nicht wieder erholt.
       
       ## Hohes Risiko bei Zero-dose children
       
       Bedenklich sind dabei vor allem sogenannte Zero-dose children, erklärt
       Beate Kampmann, Direktorin des Instituts für Internationale Gesundheit an
       der Charité in Berlin: „Das sind Kinder, die noch nie in ihrem Leben einen
       Impfstoff bekommen haben.“
       
       In Deutschland sind Zero-dose children eher selten. „Hier sind die
       Impfquoten eigentlich recht gut und stabil“, so Medizinerin Kampmann.
       [3][Raum für Verbesserungen gibt es trotzdem noch]. So werden manche Kinder
       zu spät geimpft oder die Auffrischungsimpfungen vergessen.
       
       Die Lancet-Studie berechnet zudem, wo die einzelnen Länder im Jahr 2030
       stehen könnten. Für Deutschland sagt die Analyse eine Impfabdeckung von 99
       Prozent voraus, vergleichbar mit vielen anderen europäischen Ländern.
       
       Besonders schlecht sieht es hingegen laut der Studie in Afrika südlich der
       Sahara aus. Über die Hälfte der völlig ungeimpften Kinder konzentrieren
       sich außerdem in nur acht Ländern: Nigeria, Indien, Demokratische Republik
       Kongo, Äthiopien, Somalia, Sudan, Indonesien und Brasilien.
       
       ## Keine Impfstoffe mehr zur Mittagszeit
       
       Woran liegt das? Stehen die Menschen dort Impfungen so viel skeptischer
       gegenüber als hier?
       
       „Das ist eine sehr westliche Weise, über Impfungen zu denken“, betont Beate
       Kampmann. „Dort, wo die Impfquoten stagnieren, ist es vor allem eine Frage
       des Zugangs und der Verfügbarkeit“, erklärt die Expertin. „Ich habe in
       Südafrika, Gambia und Uganda schon gesehen, wie die Leute morgens um 6 Uhr
       zu den Impfungen kommen und stundenlang warten müssen, weil so ein Andrang
       ist.“ Um die Mittagszeit seien dann womöglich die Impfstoffe aufgebraucht.
       „Und wenn man da so lange rumgesessen hat, mit einem kleinen Kind auf dem
       Arm und drei weiteren Kindern zu Hause – da überlegt man sich beim nächsten
       Mal schon, ob man wieder hingeht.“
       
       Vor allem in Ländern, in denen Krankheiten wie Meningitis und
       Lungenentzündung häufig vorkommen, wären viele Menschen froh, wenn sie die
       Impfungen bekommen können. Das sieht Beate Kampmann bei ihren eigenen
       Untersuchungen in Gambia immer wieder: „Teilweise kommen die Leute auf mich
       zu und fragen, wann die nächste Studie beginnt, weil sie gerne mitmachen
       möchten.“ So wüssten sie wenigstens sicher, dass sie ihre Impfstoffe
       bekommen.
       
       Um erfolgreich weltweit so viele Kinder wie möglich zu impfen, müssen die
       lokalen Gesundheitssysteme gestärkt und Ungleichheiten verringert werden,
       folgert die Lancet-Studie. Keine einfache Aufgabe in Zeiten von wachsender
       ökonomischer Unsicherheit und geopolitischer Instabilität. „Gerade in
       Krisengebieten ist es schwierig, Impfstoffe zu verteilen“, so Beate
       Kampmann.
       
       ## Schwächere weltweite Gesundheitsversorgung
       
       Das Ziel der WHO, bis 2030 möglichst eine global hohe Impfabdeckung zu
       erreichen, bewertet die Lancet-Untersuchung als unwahrscheinlich. Dabei
       wird auch die neue Ausrichtung der USA nicht helfen: Der dortige
       Gesundheitsminister Robert F. Kennedy hat erst einmal alle Mitglieder eines
       wichtigen Impfgremiums entlassen und durch eigene Vertraute ersetzt – die
       Impfungen insgesamt skeptisch gegenüberstehen und zum Großteil gar nicht
       für den Job qualifiziert sind, wie Beate Kampmann betont.
       
       Das wird in den USA weitreichende Folgen haben. Wenn Impfungen nicht mehr
       empfohlen werden, lassen sich weniger Menschen immunisieren. Und die
       Ärztinnen und Ärzte haben weniger Rückendeckung, wenn sie die Impfstoffe
       trotzdem verabreichen. Das kann gefährlich für sie sein in einem Land, in
       dem medizinische Fachkräfte ohnehin schnell verklagt werden. „Die Effekte
       werden wir nicht sofort sehen, aber sicher innerhalb der nächsten drei bis
       fünf Jahre“, schätzt die Forscherin.
       
       Auch international kann die aktuelle US-Administration einiges anrichten.
       Seit Donald Trumps Amtsantritt hat sie einen Großteil der Finanzierung für
       humanitäre Hilfsprogramme und von Programmen für die globale Gesundheit
       eingestellt. Kürzlich strich Kennedy auch der Impfallianz Gavi die
       Förderungen. All diese Maßnahmen schwächen die weltweite
       Gesundheitsversorgung, inklusive der Immunisierung.
       
       Eine positive Entwicklung sieht Beate Kampmann aber auch: Bei einer
       Konferenz der Impfallianz Gavi am 25. Juni in Brüssel sollten ambitionierte
       Fördergelder von Ländern und privaten Geldgebern zugesagt werden.
       
       ## Vertrauen in die Mission von Gavi
       
       Kennedys Aussagen dämpften die Erwartungen – doch am Ende kamen für den
       Zeitraum von 2026 bis 2030 Zusagen für [4][mehr als] [5][9 Milliarden
       US-Dollar zusammen]. Trotz der Absage der USA kamen sie damit ihrem Ziel
       von 11,9 Milliarden Dollar über fünf Jahre recht nahe.
       
       „Das Team Europa leistet dabei mit zwei Milliarden den größten Beitrag und
       Deutschland hat sich auch sehr beteiligt“, lobt die Expertin. Hinterher sei
       der Rückzug der USA kein großes Thema mehr gewesen, weil so viele
       Teilnehmende der Gavi und ihrer Mission ihr Vertrauen ausgedrückt hätten
       und die Impfallianz entsprechend förderten. Die Aufgabe werde dadurch zwar
       nicht kleiner, aber das Treffen sei ein gutes Zeichen für die globalen
       Impfvorhaben gewesen, betont Beate Kampmann.
       
       Trotz Schwierigkeiten darf nicht vergessen werden: Die weltweiten
       Immunisierungen sind bereits jetzt eine Erfolgsgeschichte. Sie seien eine
       der stärksten und effizientesten öffentlichen Gesundheitsinterventionen
       jemals, attestiert der Lancet-Bericht. Das Programm EPI habe seit 1974 den
       Tod von schätzungsweise 154 Millionen Kindern verhindert. Beate Kampmann
       sagt zusammenfassendend: „Dass wir jetzt auf einem Plateau sind, hat
       bestimmte Gründe – und die können wir angehen, solange wir die nötigen
       Ressourcen haben.“
       
       17 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.rki.de/DE/Themen/Infektionskrankheiten/Impfen/Staendige-Impfkommission/Empfehlungen-der-STIKO/Empfehlungen/Impfkalender.pdf?__blob=publicationFile&v=5
   DIR [2] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(25)01037-2/abstract
   DIR [3] https://www.rki.de/DE/Aktuelles/Publikationen/Epidemiologisches-Bulletin/2024/50_24.pdf?__blob=publicationFile&v=5
   DIR [4] https://www.consilium.europa.eu/de/events-gsc/gavi-high-level-pledging-summit-health-prosperity-through-immunisation/
   DIR [5] https://www.consilium.europa.eu/de/events-gsc/gavi-high-level-pledging-summit-health-prosperity-through-immunisation/
       
       ## AUTOREN
       
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