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       # taz.de -- Kunstausstellung im Freibad: Parasitärer Glamour am Beckenrand
       
       > Im Projektraum Tropez in Berlin-Wedding, mitten im Sommerbad, mischt sich
       > die Kunst unter die Badenden. Wie wird sich hier begegnet?
       
   IMG Bild: Diorshow: Maya Mans Installation „Glitter Tubes“ im Sommerbad Humboldthain
       
       „Bitte nicht berühren“-Schilder gibt es in diesem Kunstraum nicht. Warum
       auch – das Weddinger Humboldthain ist schließlich kein Museum, sondern ein
       Freibad. Eins, an dem zwischen Becken und Liegefläche eben mal ein kantiges
       Servergestell aus der Wiese sprießt. Was merkwürdig fehl am Platz wirkt,
       ist die bewusst positionierte Installation der Künstlerin Rosanna Marie
       Pondorf.
       
       Zwischen die knapp zwei Meter hohen schwarzen Metallstreben hat sie eine
       transparente Kunststoffplane mit ertastbaren Symbolen gespannt, die an
       Emojis erinnern. Ein Fragment der digitalen Welt, das plötzlich greifbar im
       analogen Raum steht – und genauso gut zum Aufhängen nasser Badehandtücher
       genutzt werden könnte.
       
       Wie die sieben anderen Installationen auf dem Freibadgelände ist Pondorfs
       Maschinenfragment über den Sommer dem Gemüt der Badegäste ausgesetzt. Zum
       neunten Mal bringt [1][das Kunstprojekt „Tropez“] Kunst dorthin, wo niemand
       danach gefragt hat: an einen begrenzten Ort, der gleichzeitig Mikrokosmos
       der Gesellschaft ist. Menschen aus allen sozialen Milieus kommen her, um
       der Stadthitze zu entfliehen.
       
       Kunst steht dabei nicht auf dem Plan. Und trotzdem ist sie da – nistet sich
       ein zwischen Schließfächern, Kiosk und Badebecken. Ein bisschen wie ein
       Parasit. So lautet auch das Motto der diesjährigen Tropez-Ausgabe.
       
       ## Mit triefender Pommesschale
       
       Anders als Zecken oder Läuse wollen die Tropez-Parasiten aber niemandem
       schaden, sondern nur spielen: mit Abläufen und Erwartungen. Mal tun sie das
       ganz offensichtlich, mal subtil. Vor dem Kiosk, der Info-Punkt der
       Ausstellung ist, thront die Sitzbank der Künstlerin Melike Kara, die sich
       neben Stühlen und Tischen zum Freibadinventar tarnt: Unter einer milchigen
       Gelschicht hat sie zarte Blumenmotive und schwarz-weiße Archivaufnahmen der
       kurdischen Diaspora arrangiert.
       
       „Kann ich mich hier hinsetzen?“, fragen Badegäste vorsichtig. Andere machen
       einfach – mit nasser Bademontur und [2][triefender Pommesschale in der
       Hand]. „Das ist auch gut so. Aber im besten Fall kommt man natürlich ins
       Gespräch“, sagt die Kuratorin Sophie Boysen. Besonders gut funktioniere das
       auf der gegenüberliegenden Seite des Beckens, beim „Mini-Tropez“. An dem
       kleinen grünen Gartenhäuschen kann man sich Schläger für die benachbarte
       Minigolfanlage ausleihen.
       
       Die fünf Bahnen sind Kunstwerke, scheinen aber keine Berührungsängste bei
       den Gästen auszulösen. Stattdessen wird mit so viel Hingabe gespielt, dass
       sich die unförmige Enten-Skulptur von „Goose Game“ schon nach wenigen
       Wochen vom Feld verabschieden musste.
       
       Nicht alle Arbeiten sind so verspielt. Über das Geländer des
       Bademeisterhäuschens quellen durchsichtige, mit Glitzer gefüllte
       Plastikschwimmreifen. Sie sind in sattem Schwarz mit wahllos wirkenden
       Begriffsketten bedruckt: „Secure the Sweat Waterproof Mattifying Primer“.
       Für ihre Installation hat die Künstlerin Maya Man einen Kosmetik-Onlineshop
       unter dem Suchwort „Waterproof“ durchgekämmt. Was willkürlich klingt, hat
       in der dort bezauberten Welt durchaus System: Frauen sollen zu jeder Zeit
       gegen Wasser und Schweiß gewappnet sein.
       
       ## Absurde Werbesprache
       
       So absurd wie die Werbesprache ist auch die dazugehörige Performance.
       Anfang Juni steht die Künstlerin mit Laptop und Handy auf der
       Bademeisterplattform und wird zu Youtuberin, die ihre heute physische
       Community für ein „Get ready with me“ begrüßt. Ein QR-Code führt auf eine
       Webseite, auf der nacheinander Produktnamen aufploppen: Leuchtet der eigene
       Bildschirm pink auf, heißt es, laut vorlesen.
       
       Die Skulptur der Künstlerin Tilhenn Klapper hat im Gegensatz dazu nur wenig
       mit Glamour zu tun. Sie hängt einfach da, an den Ästen einer großen
       Platane. Erst auf den zweiten Blick sind die körperartigen Wülste als in
       Strumpfhosen eingewickelte, holzgeschnitzte Fledermäuse erkennbar. Sie sind
       die einzigen echten Parasiten – oder zumindest die, denen der Begriff
       unterstellt wird. Horrorfilme haben ihnen einen schaurigen Ruf beschert,
       [3][obwohl sie täglich unsichtbare Nachtschichten drücken, Pflanzen
       bestäuben und Insekten regulieren]. Jetzt hängen sie am helllichten Tag
       mitten auf der Freibadwiese.
       
       Die Kunst im Humboldthain [4][drängt sich nicht auf, sondern ist einfach
       da]. Mal mehr, mal weniger flüssig vermischt sie sich mit dem alltäglichen
       Schmelztiegel des Berliner Freibads. Und löst auf dem Weg zum Kiosk oder
       Sprungbrett ein kurzes Jucken aus. Wie ein Parasit eben. Nur dass der Wirt
       hier auch profitieren darf.
       
       22 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Emilia Papadakis
       
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       Freibad, das bedeutet Chlorwasser, Sonnenbrand und piksende Grashalme,
       dachte unsere Autorin. Dann bekam sie eine Mehrfachkarte geschenkt.