URI: 
       # taz.de -- Rad-Aktivistin über Gender-Schieflage: „Es fehlt an Sichtbarkeit von Frauen“
       
       > Rennradfahren ist populär, aber Mädchen fehlt es an Vorbildern, sagt
       > Kathi Sigmund, die beim FC St. Pauli Radtraining für Frauen einführte.
       
   IMG Bild: Nicht mehr reine Männersache: Seit 2022 rollt die Tour de France Femmes wieder jährlich durchs Land
       
       taz: Kathi Sigmund, die Tour de France startet heute. Wie werden Sie die
       verfolgen? 
       
       Kathi Sigmund: Ich bin nächste Woche im Urlaub bikepacken und werde
       versuchen, immer abends die Zusammenfassung zu gucken. Letztes Jahr war es
       superspannend.
       
       taz: Verfolgen Sie auch die Tour de France der Männer, die seit dem 5. Juli
       läuft? 
       
       Sigmund: Ich schaue mir die Highlights an, aber [1][die der Frauen war
       zumindest letztes Jahr viel spannender.]
       
       taz: Warum? 
       
       Sigmund Weil es mehrere gute Anwärterinnen auf das Gelbe Trikot gab. Kasia
       Niewiadoma hat das Ding mit vier Sekunden Vorsprung gewonnen. Vier
       Sekunden! Bei den Männern ist meistens schon früh klar, wer gewinnt.
       
       taz: Seit wann sind Sie im Radsport? 
       
       Sigmund: Ambitioniert seit circa 2015. Ich habe mit Triathlon angefangen.
       Nach anfänglichen Widerständen der rein männlich besetzten
       Abteilungsleitung wurde ich zur Frauenkoordinatorin [2][in der
       Radsportabteilung des FC St. Pauli] gewählt. Dort wollte ich Trainings für
       Frauen anbieten, aber die Abteilungsleitung meinte, das sei überflüssig.
       Ich hab’s einfach trotzdem gemacht. Nicht, weil die Frauen langsamer fahren
       oder nicht mithalten konnten, sondern weil wir einfach andere Themen hatten
       und mit mehr Zusammenhalt untereinander fahren wollten.
       
       taz: Welche anderen Themen sind das? 
       
       Sigmund: Es kommen schon ganz andere Gespräche zustande. Themen bekommen
       Raum, wie etwa: Wie machst du es beim Radfahren, wenn du deine Periode
       hast? Was benutzt du beim Bikepacking, wenn du mehrere Tage unterwegs bist?
       Oder wie geht es dir in den Wechseljahren? Es ist einfach schön, offen
       sprechen zu können. Die Stimmung ist eine andere.
       
       taz: Wie ist die „Kandie Gang“ entstanden? 
       
       Sigmund: Wir sind auf St. Pauli gestartet. Dort bin ich [3][für ein
       Hobbyteam Cyclocross] gefahren …
       
       taz: … Radfahren querfeldein. 
       
       Sigmund: Ich wollte irgendwann richtige Frauenrennen fahren, aber die Jungs
       dort meinten, das sei zu kompliziert. Also hab ich mein eigenes Ding
       gemacht. Mit anderen Frauen aus den Hobby-Rennen habe ich die Kandie Gang,
       benannt nach dem Café „Kandie Shop“ auf St. Pauli, gegründet. In der
       Pandemie haben wir mit den Social Rides begonnen. Niedrigschwellig, offen
       für alle, aber mit einem besonderen Fokus auf Flinta* und BiPoc. Auch
       Allies, meistens Männer, die keinen Bock auf testosterongesteuerte
       Ballerfahrten haben, sind willkommen. Bei der Anmeldung haben natürlich
       Flinta* Priorität. Die oberste Regel lautet: Es ist ein Safe Space.
       
       taz: Wie stellt ihr sicher, dass der trotz Männern bestehen bleibt? 
       
       Sigmund: Mit der Ride-Anmeldung akzeptieren alle den sogenannten
       Kandie-Code. Der muss ausnahmslos von allen eingehalten werden. Wir haben
       auch schon Personen von unseren Rides ausgeschlossen. Nicht, weil da
       objektiv etwas Schlimmes passiert ist, aber manche verstehen gar nicht, wie
       ihre Handlungen wirken. Und die Wirkung ist entscheidend, nicht die
       Absicht. Sobald sich jemand unwohl fühlt, ist das Grund genug, Konsequenzen
       zu ziehen.
       
       taz: Ist der Radsport heute immer noch so männlich dominiert wie 2015? 
       
       Sigmund: Funktionen in den Verbänden sind hauptsächlich von Männern
       besetzt. Seit ein paar Jahren sind immerhin 20 bis 25 Prozent im Hamburger
       Vereinsradsport Frauen – Tendenz steigend. Im Vergleich zum Bundesschnitt
       ist das gut, aber es fehlt an Sichtbarkeit. Beim FC St. Pauli habe ich die
       Jugendabteilung aufgebaut, und es ist wirklich schwer, junge Mädchen für
       den Radsport zu gewinnen, weil es noch an Vorbildern fehlt. Meine Tochter
       ist jetzt Trainerin einer Mädchengruppe, die meistens nur aus drei, vier
       Mädchen besteht. Für den Verein ist das teuer, aber wir sind überzeugt: Nur
       wenn das Angebot dauerhaft da ist, kann es sich auch etablieren. Auch
       bezüglich Kleidung und Equipment hat sich einiges geändert. Da gilt nicht
       mehr nur das Motto „Pink it, shrink it“, wie früher.
       
       taz: Trotzdem gibt es die offizielle Tour de France für Frauen erst seit
       2022. 
       
       Sigmund: [4][Es gab schon früher eine,] die wieder eingestellt wurde. Der
       Unterschied damals war krass: Die Männer hatten jeden erdenklichen Luxus,
       die Frauen haben sich – überspitzt gesagt – zu zweit ein Bett geteilt. Das
       hat sich weiterentwickelt. Die Gehälter sind zumindest auf dem Weg der
       Angleichung und auch die Preisgelder. Vor wenigen Jahren stand im
       offiziellen Anhang der Wettkampfordnung des Bundes Deutscher Radfahrer aber
       noch, dass Frauen weniger Preisgeld bekommen, weil die Qualität des Rennens
       nicht so hoch sei. Darauf, dass die angeblich geringere Qualität schlicht
       daran lag, dass viele Frauen wegen des niedrigen Gehalts nebenbei arbeiten
       oder studieren mussten und entsprechend weniger Zeit für Training hatten,
       kam lange niemand.
       
       taz: Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Radsports? 
       
       Sigmund: Dass mehr ältere Frauen im Sport bleiben. Bei Männern gibt es
       längst Altersklassen bis über 70. Es kann doch nicht sein, dass ich, als
       über 50-Jährige, mit meiner 22-jährigen Tochter im selben Rennen starte.
       Zusätzlich wünsche ich mir natürlich mehr Parität im Radsport – sowohl im
       Training als auch in den Verbandsstrukturen. Aber mein größter Wunsch ist,
       eine offene Haltung aller Radfahrenden, damit auch die LGBTQA+ Szene im
       Radsport ihren Safe Space findet.
       
       28 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Radsport-der-Frauen/!6026944
   DIR [2] /FC-St-Pauli/!6081924
   DIR [3] /Radfahren-extrem/!6054169
   DIR [4] /Pionierinnen-des-Radsports/!6076425
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marie Dürr
       
       ## TAGS
       
   DIR Radsport
   DIR WM 2011 – Mixed Zone
   DIR Tour de France
   DIR FC St. Pauli
   DIR Hamburg
   DIR Frauensport
   DIR Social-Auswahl
   DIR Rennrad
   DIR Tour de France
   DIR Tour de France
   DIR Tour de France
   DIR Kolumne Kulturbeutel
   DIR Radsport
   DIR Radsport
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Radler kollidieren mit parkenden Autos: Mit dem Kopf durch die Heckscheibe
       
       In Hamburg krachen immer wieder Rennradfahrer in parkende Autos. Die
       Polizei hält mit einer Sensibilisierungskampagne dagegen.
       
   DIR Tour de France Femmes: Eine französische Angelegenheit
       
       Pauline Ferrand-Prévot gewinnt die Tour de France der Frauen. Es ist der
       erste französische Sieg seit Jahrzehnten – und ein Trostpflaster für
       geschundene Managerseelen.
       
   DIR Umkämpfte Tour de France: Viele Spitzenfrauen
       
       Bei der Tour de France Femmes geht es im Kampf um die besten Plätze hoch
       her – ein deutliches Zeichen für das gestiegene Niveau.
       
   DIR Tour de Femmes: „Die Konkurrenz wird immer härter“
       
       Seit Samstag kämpfen die besten Rennradfahrerinnen bei der Tour de France
       Femmes um den Titel. Titelverteidigerin Kasia Niewiadoma über brutale
       Anstiege und die richtigen Ruhepausen.
       
   DIR Vergessene Erfolgsgeschichten: Pionierinnen des Radsports
       
       Frauenradsport ist keine Erfindung der letzten Dekade. Eine Historikerin
       erinnert an die Geschichte von Cenzi Flendrovsky vor mehr als hundert
       Jahren.
       
   DIR Radfahren extrem: Querfeldein durch den Matsch
       
       Beim Cyclocross geht es auf dem Rad durchs Gelände. Für Anu Haase und Silke
       Keil, gibt es nichts Schöneres, als im Winter durch den Matsch zu rasen.
       
   DIR Radsport der Frauen: Am Ende wartet L’Alpe-d’Huez
       
       Die Tour de France Femmes hat begonnen. Erstmals außerhalb Frankreichs, in
       Rotterdam, starteten die besten Radsportlerinnen ihre große Rundfahrt.