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       # taz.de -- Angst vor der „Einser-Flut“
       
       > Lehrerverbandschef Stefan Düll kritisiert die aus seiner Sicht viel zu
       > guten Abiturschnitte. Die Bundesschülerkonferenz widerspricht – und macht
       > Vorschläge für sinnvollere Debatten
       
       Von Ralf Pauli
       
       Das deutsche Bildungssystem hat viele Baustellen: fehlendes Personal,
       fehlende Digitalisierung, fehlende Chancengleichheit. Je nachdem, wen man
       fragt, kommen noch weitere Punkte auf die Liste. Aus Sicht des Deutschen
       Lehrerverbands beispielsweise gehört die vermeintliche Entwertung des
       Abiturs zu den deutschen Topproblemen an Schulen: „Im Vergleich zu früheren
       Jahren gibt es eine Flut an Einser-Abis“, beklagte Präsident Stefan Düll am
       Freitag in der Rheinischen Post. An der Abi-Qualität dürfe nicht weiter
       „herumgedoktert“ werden.
       
       Mit seinen Aussagen löste Düll eine Debatte aus, die an frühere Jahre
       erinnert. Bereits Dülls Vorgänger Heinz-Peter Meidinger hatte regelmäßig
       die vermeintlich zu guten Noten beim Abitur kritisiert.
       
       Zustimmung erhielt Düll aus der Union. Der CDU-Bundestagsabgeordnete
       Christoph Ploß etwa sprach von einer „Noteninflation“ in Deutschland, die
       „gestoppt“ werden müsse. Das Abitur werde „immer stärker entwertet, wenn
       immer mehr Schüler Jahr für Jahr bessere Zensuren bekommen“.
       
       Kritik hingegen kam am Wochenende von der Bundesschülerkonferenz. Die Frage
       nach zu guten Abitur-Noten sei ein „Uralt-Thema“, das von den eigentlichen
       Problemen ablenke. „Wir brauchen keinen höheren Leistungsanspruch, wir
       müssen uns wohlfühlen in der Schule“, sagte Generalsekretär Quentin
       Gärtner. Als Beispiele nannte er die Ausstattung aller Schulen mit
       Mental-Health-Fachkräften oder die verbindliche Integration der Themen
       Resilienz und Stressbewältigung in den Unterricht. „Dann klappt es auch
       wieder mit der Leistungsfähigkeit“, so Gärtner.
       
       Ähnlich äußerte sich auch die bildungspolitische Sprecherin der Linken im
       Bundestag Nicole Gohlke. Mit einem Seitenhieb auf die Union sagte sie: „Wer
       nichts Substanzielles beizutragen hat, schimpft gerne über Noteninflation.“
       Es müsse stattdessen darum gehen, das Bildungssystem zu verbessern. Studien
       belegten zudem, wie subjektiv Notenvergaben ablaufen können. Die Linke
       setzt sich für die Abschaffung von Noten und Hausaufgaben ein.
       
       So klar, wie Düll die Zunahme der guten Noten darstellt, ist sie übrigens
       nicht. Aus der jüngsten Abitur-Statistik der Kultusministerkonferenz geht
       keine eindeutige Tendenz hin zu mehr Abiturabschlüssen zwischen 1,0 und 1,9
       in den letzten Jahren hervor. Und in den Ländern, in denen schon die
       Abitur-Daten für dieses Jahr vorliegen, ist das Bild ähnlich uneinheitlich.
       Das niedersächsische Bildungsministerium etwa teilte mit, dass der Anteil
       sehr guter Abiturnoten zuletzt wieder leicht gesunken sei. 2024 lagen die
       Abiturschnitte im Schnitt zwischen 2,13 in Thüringen und 2,48 in
       Schleswig-Holstein. (mit dpa)
       
       meinung + diskussion
       
       28 Jul 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Pauli
       
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