URI: 
       # taz.de -- Klimakrise und Finanzen: Klimaschutz ist bares Geld
       
       > Finanzverwalter müssen nicht im Blindflug agieren, sondern sollten besser
       > in Umweltstandards investieren. Denn Naturrisiken sind auch
       > Finanzrisiken.
       
   IMG Bild: Mehr Hurrikane dur den Klimawandel, hier beschädigte Häuser in Florida 2024
       
       Die Katastrophe bahnt sich massiv an: Die [1][rasche Erderwärmung und die
       zunehmende Umweltzerstörung] bedrohen jeden Sektor der Weltwirtschaft.
       Viele Anleger wie Hedge-Fonds-Manager machen wie gewohnt weiter, während
       andere, darunter Verwalter langfristiger Vermögenswerte wie etwa
       Pensionsfonds und Staatsfonds, erkannt haben, dass [2][Natur- und
       Klimarisiken alle Facetten der Weltwirtschaft beeinflussen] werden.
       
       Auch wenn sich viele Aktionäre und CEOs weiterhin auf die
       Quartalsergebnisse konzentrieren, haben die Verwalter langfristiger
       Vermögenswerte damit begonnen, Unternehmen auf Naturkapitalrisiken hin zu
       untersuchen, um Umweltschocks zu antizipieren, die den langfristigen Wert
       ihrer Vermögenswerte verringern könnten. So prüft der norwegische
       Staatsfonds, der Vermögenswerte in Höhe von 1,7 Billionen Dollar verwaltet,
       inzwischen 96 Prozent seines Portfolios auf derartige Risiken. Dabei
       handelt es sich nicht um eine interne Verfeinerung von Umwelt-, Sozial- und
       Governance-Zusagen, sondern um eine bedeutende institutionelle Veränderung.
       
       Norwegen ist nicht allein. Vor Kurzem hat der staatliche finnische
       Pensionsfonds begonnen, Möglichkeiten zur Kalkulation naturbedingter
       finanzieller Risiken im Zusammenhang mit langfristigen
       Pensionsverpflichtungen zu untersuchen. Auch das Finanzunternehmen Temasek
       Holdings in Singapur setzt inzwischen Biodiversitätsdaten ein, um Risiken
       und Chancen im Zusammenhang mit Naturkatastrophen zu bewerten.
       
       In einer Zeit, in der Zusagen zum Umweltschutz zu einem Streitpunkt
       politischer und kultureller Auseinandersetzungen geworden sind, besteht
       kein Zweifel daran, dass diese Maßnahmen nicht durch politischen Druck oder
       gesellschaftliche Trends, sondern durch Pragmatismus motiviert sind. Schon
       jetzt führen extreme Wetterereignisse, der Verlust biologischer Vielfalt,
       Wasserstress und Ressourcenknappheit zu wirtschaftlichen Verwerfungen, von
       denen Länder mit niedrigem Einkommen besonders hart betroffen sind.
       
       2022 sorgten Überschwemmungen in Pakistan für Verwüstungen in der
       Landwirtschaft, in der 40 Prozent der Arbeitskräfte des Landes beschäftigt
       sind. Lebensmittelpreise schnellten in die Höhe, das Land geriet an den
       Rand der Zahlungsunfähigkeit. In Indonesien führte die Palmölproduktion
       dazu, dass 2022 ein vorübergehendes Exportverbot verhängt wurde – weil
       durch [3][die Palmölproduktion] Wälder abgeholzt und Torfmoore zerstört
       wurden. [4][In Brasilien] und Äthiopien führten steigende Temperaturen und
       unregelmäßige Regenfälle zu einem Rückgang der Kaffee-Ernten, der wiederum
       die Weltmarktpreise in die Höhe trieb und die landwirtschaftlichen
       Einkommen sowie die Exporteinnahmen schmälerte.
       
       Auch Länder mit hohem Einkommen sind gegen diese Risiken nicht immun. In
       den USA sorgen Dürren für Ernteeinbußen von Arkansas bis Oklahoma,
       Immobilienversicherer sehen sich aufgrund klimabedingter Katastrophen wie
       Wirbelstürme und Waldbrände veranlasst, ihre Prämien zu erhöhen, den
       Versicherungsschutz zu reduzieren und sich aus Hochrisikogebieten ganz
       zurückzuziehen. In Europa beeinträchtigen naturbedingte Risiken die
       Olivenölproduktion in Italien und Griechenland, den [5][Weinanbau in
       Frankreich, Italien und Spanien], die Holzwirtschaft in Mittel- und
       Nordeuropa, die Fischerei im Mittelmeer und den Schiffsverkehr auf Rhein
       und Donau.
       
       Dennoch werden diese Risiken in den Finanzmodellen nicht angemessen
       eingepreist. Das liegt zum Teil daran, dass die Daten zum Naturkapital im
       Gegensatz zu jenen über Treibhausgasemissionen nach wie vor fragmentiert,
       uneinheitlich und schwer zugänglich sind. Die Risiken sind komplex, es gibt
       keine Mess- oder Berichtsstandards. Infolgedessen fehlen den meisten Banken
       die notwendigen Informationen, insbesondere standortspezifische Daten, um
       die Umweltabhängigkeit der Kreditnehmer zu bewerten.
       
       Doch es entstehen neue hilfreiche Instrumente, diese Lücken zu schließen.
       Das kostenlose Onlinetool „Exploring Natural Capital Opportunities, Risks
       and Exposure“ etwa hilft Finanzinstitutionen, naturbezogene Risiken zu
       erkennen, die sich in Kreditvergabe, Underwriting und Investitionen in
       risikoreichen Branchen ergeben. Darüber hinaus hat die Taskforce on
       Nature-related Financial Disclosures eine Reihe von Empfehlungen und
       Leitlinien ausgearbeitet, die Unternehmen und Finanzinstitutionen
       unterstützen sollen, Natur und Katastrophen in ihre Entscheidungen
       einzubeziehen. Einige Zentralbanken haben Szenarien entwickelt, um
       Auswirkungen von klima- und naturbezogenen Risiken auf Wirtschaft und
       Finanzsystem abzuschätzen. Es gibt also Mittel, Maßnahmen zu ergreifen,
       Investoren sind nicht gezwungen, im Blindflug zu agieren.
       
       Hier geht es nicht mehr nur um eine Frage des Bewusstseins. Angesichts der
       Tatsache, dass Investoren bereits mit den finanziellen Folgen ökologischer
       Instabilität konfrontiert sind – von gestrandeten landwirtschaftlichen
       Vermögenswerten bis hin zur Verschlechterung der Kreditwürdigkeit
       klimaanfälliger Volkswirtschaften –, besteht kein Zweifel daran, dass
       Naturrisiken auch Finanzrisiken sind. Zentralbanken und Institutionen wie
       der Internationale Währungsfonds haben nun die Pflicht, diese Erkenntnis in
       all ihre Aktivitäten zu integrieren – bevor der nächste vermeidbare Schock
       eintritt. An der Spitze werden Institutionen stehen, die bereit sind, das
       alte Denken hinter sich zu lassen, Naturstandards mitzudenken und nicht nur
       in Märkte zu investieren, sondern auch in Systeme, die diese Märkte tragen.
       
       Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier. 
       
       Copyright: Project Syndicate, 2025. Project Syndicate mit Sitz in Prag ist
       eine Non-Profit-Organisation, die internationalen Medien Essays und
       Meinungsbeiträge von namhaften PublizistInnen und WissenschaftlerInnen
       anbietet.
       
       29 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Aktivistin-ueber-mangelndes-Interesse/!6099259
   DIR [2] /Jahresbericht-der-Welthungerhilfe/!6099260
   DIR [3] /Umweltzerstoerung-fuer-Sojaanbau/!6092518
   DIR [4] /Schutz-des-brasilianischen-Regenwaldes/!6091875
   DIR [5] /Klimawandel-beeintraechtigt-Weinanbau/!6006499
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Helga Klinger-Groier
       
       ## TAGS
       
   DIR Fonds
   DIR Dürre
   DIR Überschwemmung
   DIR Finanzen
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR wochentaz
   DIR Amazonien im Fokus
   DIR Amazonien im Fokus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Hurrikan „Melissa“: Nach ersten Meldungen mehr als 30 Tote
       
       Der Tropensturm „Melissa“ hat mehrere Karibikstaaten verwüstet,
       Infrastruktur und Landwirtschaft tragen schwere Schäden davon. Die USA
       kündigen Hilfen an.
       
   DIR Studie zu Feuer in der Klimakrise: Waldbrände werden immer schlimmer
       
       Die Erderhitzung befördert Waldbrände durch mehr Trockenheit. Das
       verbrennende Holz setzt wiederum CO₂ frei – und befeuert selbst die
       Klimakrise.
       
   DIR Wasserverbrauch in Brandenburg: Red Bull beflügelt Protest
       
       Ausgerechnet im trockenen Brandenburg zapft Red Bull das Grundwasser an.
       Nun formiert sich Widerstand – inspiriert von Protesten in ganz
       Deutschland.
       
   DIR Straße durch Amazonien: Die Spur des Asphalts
       
       Im Herzen des brasilianischen Regenwaldes wird der Ausbau der Schnellstraße
       BR-319 zur globalen Klimafalle. Das hat auch Auswirkungen in Deutschland.
       
   DIR Klimakrise in Kolumbien: Von Dürre zu Überschwemmungen
       
       Indigene Gemeinschaften im kolumbianischen Regenwald leiden unter
       Wetterextremen. Sie erschweren vor allem den landwirtschaftlichen Anbau.