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       # taz.de -- Kinder ohne Schwimmabzeichen: Seepferdchen werden zur gefährdeten Art
       
       > Entgegen dem Trend steigt in Neukölln und Lichtenberg die Zahl der
       > Nichtschwimmer*innen. Die Linke fordert Geld für Schwimmbäder und mehr
       > Unterricht.
       
   IMG Bild: In der Pandemie haben viele Kinder gar nicht schwimmen gelernt, zwischenzeitlich hatten sich die Zahlen in Berlin stark verbessert
       
       BERLIN taz | „Komisch, irgendwie freuen sich alle so“, sagt die
       Achtjährige. Sie hat kurz vor den Sommerferien noch ihr Schwimmabzeichen in
       Bronze geschafft und ist überrascht über die vielen Glückwünsche. „Wir
       freuen uns, weil es dann für dich weniger gefährlich im Wasser ist“, sagt
       ihr die Oma am Telefon. „Ach so. Ich freu mich auch“, antwortet die
       Achtjährige. „Dann darf ich ab jetzt allein ins Wasser, wenn niemand Lust
       hat, mitzukommen.“
       
       [1][Wie gut und sicher ein Kind schwimmen kann], hängt in Berlin allerdings
       stark vom Wohnort ab. In Neukölln und Lichtenberg etwa konnten zum Ende des
       vorherigen Schuljahrs zwei von drei Drittklässler*innen nicht sicher
       schwimmen. Sie hatten höchstens das Seepferdchen als Abzeichen erworben,
       das sie als Schwimmanfänger*innen ausweist.
       
       Jedes dritte Kind in der Altersgruppe hatte in den beiden Bezirken gar kein
       Abzeichen und gilt somit als Nichtschwimmer*in. Das zeigen die Antworten
       der Senatsverwaltung für Bildung auf Anfragen der Linken-Fraktion. Beide
       Bezirke liegen damit weit unter dem Berliner Durchschnitt. Landesweit gilt
       jedes vierte Kind am Ende des schulischen Schwimmunterrichts als
       Nichtschwimmer. Lichtenberg und Neukölln sind damit die beiden Bezirke, in
       denen die Schwimmfähigkeit zuletzt stark zurückging.
       
       Dabei hatten sich die Zahlen [2][nach einem krassen Einbruch in der
       Coronazeit] in ganz Berlin verbessert. Auch in den beiden Bezirken lagen
       zum Ende des Schuljahres 2022/23 Drittklässler*innen nicht weit vom
       Berliner Durchschnitt entfernt, aber im Folgejahr stiegen die Zahlen (s.
       Grafik).
       
       ## Ausfallender Unterricht
       
       „In den vergangenen Jahren haben in Berlin mehrere Bäder geschlossen“, sagt
       Philipp Dehne, bildungspolitischer Sprecher der Linksfraktion in der
       Neuköllner BVV. „Das führt zu weniger Wasserzeit und schlechteren
       Bedingungen für den Schwimmunterricht. Die Ergebnisse sehen wir jetzt.“ Er
       höre vermehrt von Eltern in Neukölln, dass der Schwimmunterricht ausfalle.
       Zahlen gibt es nicht, da die Senatsverwaltung Unterrichtsausfall nicht nach
       Fächern erfasst.
       
       Für Dehne zeigt sich hier Bildungsungerechtigkeit: „Während Kinder aus
       besser gestellten Familien häufig schon vor der Einschulung schwimmen
       können, sind Kinder aus ärmeren Familien auf den Schwimmunterricht in der
       dritten Klasse angewiesen“, sagt er. Doch es sei bereits jetzt absehbar,
       dass sich die Situation in Neukölln noch verschlechtere.
       
       Denn wie die Kinder zum Schwimmunterricht kommen, das organisieren die
       bezirklichen Schulämter. In der Regel bringt ein extra bereitgestellter Bus
       die Drittklässler*innen von der Schule zum Schwimmbad. In einem Brief
       an die Schulleitungen zum Schuljahresende in der vergangenen Woche teilte
       nun allerdings der Bezirk Neukölln den Schulleitungen mit, dass er diese
       Busse ab August nicht mehr beauftragen wird. Der Bezirk sieht sich zu
       Einsparungen gezwungen.
       
       ## Kein Schulbus zum Schwimmbad
       
       Die Schüler*innen sollen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Schwimmbad
       fahren – höchstens für Schüler*innen mit sonderpädagogischem
       Förderbedarf stünden noch „geringe Mittel“ zur Verfügung. Dass die Busse
       nicht mehr fahren, hat noch mehr Auswirkungen auf den Schulalltag. Denn es
       ist absehbar, dass die Schulen Lehrer*innen als zusätzliche
       Aufsichtspersonen mitschicken müssen, die dann wiederum an der Schule für
       den Unterricht fehlen.
       
       Der Bezirk [3][Pankow hatte bereits vor den Sommerferien im laufenden
       Unterrichtsjahr die Busse gekürzt]. Laut [4][Berichten des Tagesspiegels]
       hatten Grundschulen Eltern daraufhin aufgefordert, die Lehrer*innen und
       Erzieher*innen auf dem Weg in die Schwimmbäder zu unterstützen.
       
       Der Bezirk Lichtenberg befördert aktuell Kinder, deren Schulen sich in zu
       großer Entfernung zur Schwimmhalle befinden, mit Bussen zum
       Schwimmunterricht. Dies betrifft laut einer Sprecherin nicht alle
       Lichtenberger Schulen. Auch im kommenden Schuljahr wird es für Schulen, die
       die Entfernung zur Schwimmhalle nicht auf anderen Wegen zurücklegen können,
       eine Beförderung mit Bussen geben. Allerdings habe der Bezirk für einige
       Schulen nun eine Anfahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln als zumutbar
       eingestuft. An diesen Schulen werde die Beförderung zum Schwimmen ab dem
       kommenden Schuljahr enfallen.
       
       Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie erhebt seit 2023
       jeweils zum Schuljahresende, ob und wie gut die Drittklässler*innen
       schwimmen können. Zuvor hatten sie die Zahlen im Zweijahrestakt erhoben.
       Den Zeitpunkt nach der dritten Klasse hat die Verwaltung nach eigener
       Angabe gewählt, weil das die Stufe ist, in der die Schüler*innen
       obligatorisch am Schwimmunterricht teilnehmen. In den Jahren danach findet
       kein obligatorischer Schwimmunterricht mehr statt. Für das gerade zu Ende
       gegangene Schuljahr sollen die Ergebnisse Ende August vorliegen.
       
       ## Ausgebuchte Schwimmkurse
       
       Aus Sicht des Senats sollen [5][die Nichtschwimmer*innen, für die der
       Schulunterricht nicht ausgereicht hat, das Schwimmen über die
       Intensivkurse] lernen, die der Landessportbund in den Ferien anbietet.
       Diese Kurse seien in den vergangenen Jahren „sukzessive aufgestockt“
       worden. Tatsächlich sind sie sehr beliebt und oft schnell ausgebucht.
       Aktuell gibt es nur noch Plätze in der letzten Ferienwoche in
       Marzahn-Hellersdorf. Eine Übersicht der Senatsverwaltung zeigt allerdings
       auch, dass die Kapazitäten für die Intensivkurse ausgerechnet in
       Lichtenberg und Neukölln zurückgegangen sind.
       
       Wie viele Schüler*innen am Ende der Grundschulzeit schwimmen können,
       ermittelt der Senat nicht. Dehne fordert, diese Zahl zu erfassen, denn
       Schwimmfähigkeit sei eines der Bildungsziele der Grundschule. „Es wäre
       sinnvoll, dass alle Nichtschwimmer*innen nach der dritten Klasse weiter
       über die Schulen am Schwimmunterricht teilnehmen“, fordert er. „Und
       Neukölln darf den Schwimmbus nicht kürzen.“
       
       30 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schwimmfaehigkeit-und-soziale-Herkunft/!6003468
   DIR [2] /Schwimmkurse-fuer-Kinder/!5807337
   DIR [3] https://www.tagesspiegel.de/berlin/bezirke/wende-im-berliner-schulbus-drama-bezirksamt-wollte-sparen--nun-droht-schadenersatz-in-millionenhohe-13947589.html
   DIR [4] https://www.tagesspiegel.de/berlin/bezirke/pankow/druck-auf-behorden-in-berliner-bezirk-wachst-macht-pankow-das-schulbus-aus-jetzt-wieder-ruckgangig-13985546.html
   DIR [5] /Schwimmen-und-Wassersport-in-Berlin/!6022850
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uta Schleiermacher
       
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