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       # taz.de -- Neonazis feiern Sonnenwende: Ein Feuer wie beim Führer
       
       > Rund 80 deutsche Neonazis feiern in Tschechien Sonnenwende, singen
       > Hitlerjugend-Lieder und beschwören das „germanische Volk“. Auch AfD-nahe
       > Politiker sind dabei. Die taz war vor Ort.
       
   IMG Bild: Sonnenwendfeier im tschechischen Višňová: Eltern und Kinder rufen „Heil Sonnenwende“ und singen HJ-Lieder
       
       Višňová (Tschechien) Als die Dunkelheit den Feuerplatz vollends umhüllt,
       beginnt der Trommler mit seinen Schlägen. Ganz regelmäßig schallt das
       Wummern durch die Nacht, es ist das Signal für die Frauen und Männer, ihre
       Zeremonie zu beginnen. Mit Fackeln in den Händen schreiten sie zum Takt im
       Kreis um einen Holzstapel, der sieben Meter in die Höhe ragt. Ganze
       Baumstämme sind dafür spiralförmig aufgeschichtet.
       
       Als sie das Feuer entzünden, zucken die Flammen haushoch in den Himmel, ihr
       Schein erleuchtet die umliegenden Hügel und schimmert durch die
       nahestehenden Baumwipfel. Es beginnt ein ekstatisches Treiben: Die Gruppe
       fasst sich an den Händen und rennt um das Feuer – Frauen in Röcken in
       gedeckten Farben und mit Blumenkränzen, Männer in Leinenhemden und Kränzen
       aus Eichenlaub, ebenso zahlreiche Kinder, auch Kleinkinder, und solche im
       Grundschulalter. Schneller und schneller wird ihr Tanz und ihr Gebrüll.
       „Heil Sonnenwende“, schreien sie immer wieder durch die Nacht. „Heil
       Sonnenwende“, rufen auch die Kinder hinterher.
       
       Es ist Samstag, der 21. Juni 2025. Rund 80 Neonazis sind an diesem längsten
       Tag des Jahres nach Višňová bei Frýdlant in Tschechien nahe der deutschen
       und polnischen Grenze zusammengekommen, um die Sonnenwende zu feiern.
       
       Sie treffen sich konspirativ, sind unter anderem aus der sächsischen
       Oberlausitz über Polen nach Tschechien angereist, um unter sich zu bleiben.
       Doch die taz ist dabei, kann die ganze Veranstaltung beobachten,
       dokumentieren und später auswerten.
       
       ## Indoktrinierung und Vernetzung
       
       Das Fest mit seinen Ritualen ist verstörend – und gefährlich: Kinder werden
       in eine rassistische Ideologie eingewöhnt, während sich zugleich eine
       politische Organisierung zeigt, die sonst im Hintergrund wirkt und einen
       „Kulturkampf“ betreibt, um völkisches sowie nationalsozialistisches
       Gedankengut fortleben zu lassen.
       
       Es ist ein verschworener Kreis, mit Verbindungen auch zu mutmaßlichen
       Rechtsterroristen. Nach taz-Informationen tritt die Organisationsstruktur
       unter anderem unter dem unverfänglich-klingenden Namen „Kulturwerk
       Oberlausitz“ auf und organisiert sich in geschlossenen
       Social-Media-Gruppen.
       
       Es sind Anhänger*innen einer rassistischen Volksgemeinschaft. Ihr
       ideologisches Gift verbreiten sie im Alltag wohl dosiert, um es auf
       Gemeindefesten oder Vereinstreffen zu normalisieren. Sie sind
       Sozialpädagogen, Ingenieure, Lokalpolitiker, Architekten und Zahnärzte.
       
       Die Sonnenwendfeier in Tschechien dient der internen ideologischen
       Verfestigung: der politischen Indoktrinierung von Kindern, der
       Radikalisierung junger Erwachsener und der strömungsübergreifenden
       Vernetzung innerhalb der rechtsextremen Szene. Auch ein paar Gleichgesinnte
       aus Tschechien sind dabei.
       
       Unter den Teilnehmern finden sich auch deutsche Lokalpolitiker mit Nähe zur
       AfD: Markus W., einst Mitglied der inzwischen aufgelösten
       Nachwuchsorganisation Junge Alternative, Robert Thieme, der im Juni 2024
       als parteiloser Kandidat für die AfD in den Zittauer Stadtrat antrat, sowie
       Thomas Christgen, der über die AfD-Liste in den Stadtrat von Niesky gewählt
       wurde, dort jedoch fraktions- und parteilos blieb.
       
       Auf Nachfrage reagierten alle drei unterschiedlich – und dementierend: W.
       wollte sich zu Fragen nicht äußern, ließ aber durch seinen Anwalt unter
       anderem mitteilen, dass Sonnenwendfeiern zum „allgemeinen Brauchtum“
       gehörten. Thieme wies in einer langen Antwort an die taz alle Vorwürfe
       zurück, verbietet jedoch gleichzeitig, seine Ausführungen zu zitieren.
       Christgen ließ Fragen der taz unbeantwortet.
       
       ## NS-Lieder und Schwüre aufs „Germanische Volk“
       
       In dieser Nacht Mitte Juni werden die Teilnehmenden am Feuer auf die
       „Ahnen“ schwören, auf das „Germanische Volk“ und dessen „Ewigkeit“ und ein
       „Heil der deutschen Jugend“ ausrufen. Gemeinsam singen sie auch Lieder des
       Nationalsozialismus: „Die Fackel geht von Hand zu Hand“ des [1][NS-Dichters
       Heinrich Anacker] sowie „[2][Nur der Freiheit gehört unser Leben“ von Hans
       Baumann, welches dieser für die Hitlerjugend] schrieb.
       
       Noch bevor das Feuer entfacht wird, stellt sich der Trommler an ein Pult
       inmitten der Runde um den riesigen Holzstapel. Ein Mann in Kniebundhose und
       Eichenlaubkranz auf dem Kopf tritt hervor. In der rechten Hand trägt er
       eine Fackel, mit der linken umklammert er ein etwa ein Meter langes
       Schwert, das ihm an der Seite im Ledergürtel steckt und dessen blanke
       Scheide den Schein eines kleinen Lagerfeuers reflektiert, das bereits
       entzündet ist.
       
       Während der Mann um eine brennende Feuerschale herumschreitet, liest der
       Trommler gedichtete Sprüche vor. Er sagt Verse wie: „Den Ahnen weihe ich
       dieses Schwert, uns Enkeln war ihnen ihr Leben wert, im Schweiß für die
       Tat, im Blut für den Streit, haben sie uns ein deutsches Leben gezeigt.“
       
       So geht das über mehrere Stunden: Gedichte über Feuer, Wasser, Erde, Licht,
       Schreittänze der Frauen, Schreittänze der Männer, Fackel-Kreise der
       Kindern, Schwüre auf „des Volkes Ewigkeit“, den „Sieg des Lichts“, dafür
       sich „niemals zu beugen“, „in Gedanken an unsere Brüder in Gefangenschaft“
       und ein „Heil den Kameraden, die nicht unter uns stehen“.
       
       Die taz hat das dokumentierte Material dieses Treffens den Experten Gideon
       Botsch und Uwe Puschner vorgelegt. [3][Botsch ist Professor für
       Politikwissenschaft und Leiter der „Emil Julius Gumbel Forschungsstelle
       Antisemitismus und Rechtsextremismus“] an der Universität Potsdam,
       [4][Puschner ist Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität
       Berlin] und ein [5][Experte für die Völkische Bewegung]. Beide kommen zu
       dem gleichen Ergebnis: „Die Sonnenwendfeier in Tschechien steht
       unzweifelhaft in den Traditionen von völkischer Bewegung und
       Nationalsozialismus“, erklärt Botsch. Puschner schließt sich dem an.
       
       Solche Veranstaltungen seien laut Botsch „hochproblematisch und
       gefährlich“, da sie der Sozialisierung junger Menschen in
       völkisch-rassistische Lebenswelten dienten und dazu beitrügen, diese
       Ideologie zu verfestigen. Ziel sei es, die Teilnehmenden auf ein
       „kämpferisches Leben“ einzuschwören.
       
       ## Nähe zur verbotenen „Artgemeinschaft“
       
       In Bezug auf die Sonnenwendfeier in Tschechien erkennt Botsch eine klare
       ideologische Linie. Die dort gezeigten Rituale knüpften an die Praxis an,
       wie sie einst der [6][Neonazi Jürgen Rieger] in der völkisch-rassistischen
       Vereinigung „Artgemeinschaft“ entwickelt habe. Es gebe eindeutige Hinweise
       auf eine Nähe der dokumentierten Feier zu dieser Gruppierung. Ein zentrales
       Indiz dafür sei der verwendete Spruch „Heil Sonnenwende“, den Rieger laut
       Botsch „explizit als Praxis eingeführt“ habe.
       
       Tatsächlich haben Teilnehmer der Sonnenwendfeier in der Vergangenheit an
       Treffen der „Artgemeinschaft“ teilgenommen.
       
       Die Nähe der Sonnenwendfeier zur „Artgemeinschaft“ könnte juristisch
       relevant sein: [7][Die „Artgemeinschaft“ wurde 2023 in Deutschland
       verboten]. Laut [8][Bundesinnenministerium war sie eine sektenartige,
       rassistische und antisemitische Vereinigung], die die Ideologie der
       Rassenlehre und des Nationalsozialismus verbreitete, Kinder und Jugendliche
       indoktrinierte und die ideologische Grundlage für weitere rechtsextreme
       Organisationen wie die verbotene „Heimattreuen Deutschen Jugend“ bildete.
       Vom Kreis um die Artgemeinschaft gab es Verbindungen in gewalttätige
       Spektren, bis hin zum Rechtsterrorismus – etwa zum NSU und seinem Umfeld
       [9][sowie zum Mörder von Walter Lübcke.]
       
       Eine Weiterbetätigung im Sinne der „Artgemeinschaft“ wäre verboten.
       
       ## Polizei war in Tschechien nicht zu sehen
       
       Doch am 21. Juni sind in Višňová weder tschechische noch deutsche
       Sicherheitskräfte vor Ort zu sehen. Tschechische Behörden wollten der taz
       dazu auf Anfrage keine näheren Angaben machen, der Bürgermeister der
       Gemeinde antwortete nicht auf mehrfache Nachfrage. Das Bundesamt für
       Verfassungsschutz äußerte sich nur allgemein zur Funktion von
       Sonnenwendfeiern für die Vernetzung und innere Festigung der
       rechtsextremistischen Szene und zur Indoktrination von Kindern.
       
       Auch das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen wollte „aus
       Geheimschutzgründen“ nicht viel Konkretes sagen, erklärte aber, dass sowohl
       die Aktivitäten sächsischer Rechtsextremisten in Tschechien als auch das
       „Kulturwerk Oberlausitz“ als Netzwerk bekannt seien.
       
       Die Neonazis fühlen sich in Tschechien offenkundig unbeobachtet. Das merkt
       man schon am Nachmittag vor der abendlichen Feuerzeremonie beim Gang über
       das Gelände. Es ist von mehreren kleinen Wäldchen eingefasst und liegt auf
       der tschechischen Seite nur ein paar Meter von der polnischen Grenze
       entfernt hinter einem kleinen Hügel, der die Sicht zu den Wohnvierteln des
       Dorfes Višňová verdeckt.
       
       ## Szenen wie aus der NS-Zeit
       
       Tritt man aus dem Schatten der Bäume auf das lichte Feld, erinnert die
       Szenerie an einen Historienfilm. Ein kleines Lagerfeuer raucht, Menschen in
       Leinenhemden bereiten Essen vor. Auf der gemähten Wiese steht eine schwarze
       Jurte, daneben ist in einem großen Festzelt eine Tafel aufgebaut. Männer in
       weißen Leinenhemden und akkurat gezogenen Scheiteln schleppen
       Blechbottiche, zwischen ihren Beinen toben Kinder in ledernen
       Kniebundhosen.
       
       Alles hier wirkt eingespielt. Der haushohe Feuerstapel ist zentral auf der
       Wiese bereits aufgeschichtet. An allen vier Himmelsrichtungen ist jeweils
       eine Feuerschale platziert, auch das Rednerpult steht schon bereit, sowie
       zwei hölzerne Toilettenhäuschen und ein Tankanhänger voll Wasser.
       
       Hinter dem Festzelt parken Busse und ein Wohnmobil. Die Kennzeichen sind
       abgeklebt – so viel Vorsicht ließ man walten – obwohl die Ortskennungen
       sichtbar blieben. So, als wollten die Teilnehmenden auch mit ihren
       Nummernschildern zeigen, dass sie selbstverständlich Deutsche sind – in
       einem Gebiet, das für die Neonazis bis heute zu Großdeutschland gehört.
       
       Den Ort haben die Neonazis wohl nicht zufällig gewählt. Auf der Spitze des
       nahen Hügels ragt eine markante Felsformation aus Rumburk-Granit in die
       Höhe, [10][die „Pohanské Kameny“, die auf Deutsch „Heidensteine“ genannt
       werden]. Sie sollen in vorchristlichen Zeiten als Kultstätte gedient haben.
       Zur Sonnenwende scheint die untergehende Sonne hier durch ein Loch zwischen
       den Felsen und in der Literatur wurden die Heidensteine bereits mit dem
       englischen „Stonehenge“ verglichen – eine Referenz, die bei der völkischen
       Bewegung beliebt ist. Die mittlerweile verbotene Gruppe „Artgemeinschaft“
       hatte ihre Zeitrechnung „nach Stonehenge“ ausgerichtet. [11][In einer ihrer
       Schriften hieß das Erscheinungsdatum da zum Beispiel „3804 n.St.“].
       
       An jenem Samstagnachmittag schallen Kommandos von den Felsen auf die Wiese
       hinab. Jugendliche rennen den Hügel hinauf und betreiben eine Art
       Geländespiel. Rundherum hocken Frauen in langen Kleidern im Wald und
       flechten Haarkränze aus Wildblumen für das abendliche Spektakel.
       
       ## Der gleiche Kreis ehrte 2024 einen SS-Offizier
       
       So anziehend der Ort in Tschechien wirken mag – für die völkische Szene ist
       er nur ein Ausweichquartier. Im Jahr zuvor fand die gleiche Sonnenwendfeier
       im sächsischen Strahwalde statt. [12][Auch dort war die taz vor Ort und
       dokumentierte, wie AfD-Lokalpolitiker gemeinsam mit anderen Teilnehmenden
       HJ-Lieder sangen und einen SS-Standartenführer ehrten].
       
       Der Bericht sorgte für Aufmerksamkeit – nicht zuletzt, weil kurz darauf
       zwei Teilnehmer, Kurt Hättasch und Kevin R., bei einer Razzia festgenommen
       wurden. Beide sollen [13][zur rechtsterroristischen Gruppe „Sächsische
       Separatisten“ gehören, die über scharfe Waffen verfügt, paramilitärische
       Trainings absolviert und ethnische Säuberungen geplant haben soll].
       Hättasch war bis zu seiner Festnahme AfD-Kreisvorstandsmitglied im
       Landkreis Leipzig und Stadtrat in Grimma.
       
       Die AfD reagierte mit einem Parteiausschlussverfahren – ebenso wie bei den
       Mitgliedern, die die taz als Teilnehmer der Sonnenwendfeier in Strahwalde
       nannte.
       
       Vor allem Stephan Jurisch bemühte sich nach dem taz-Bericht um
       Schadensbegrenzung. Er hatte in Strahwalde vor einem Jahr die
       Sonnenwendfeier angemeldet, zu der das „Kulturwerk Oberlausitz“ eingeladen
       hatte. Vor rund fünf Wochen in Tschechien war Jurisch wieder dabei. Er ist
       zudem Bundesvorsitzender der [14][Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland,]
       eines rechtsextremen Vereins, der mit dem sogenannten „Trauermarsch“ in
       Dresden jahrelang eine der wichtigsten Neonazi-Demonstrationen Europas
       organisierte.
       
       Jurisch antwortete der taz ausführlich auf eine Anfrage, hat jedoch
       verboten, daraus zu zitieren. Er weist alle Vorwürfe zurück.
       
       ## Verharmlosung und Propaganda
       
       Im [15][November 2024 erschien in der Sächsischen Zeitung ein Artikel], in
       dem Jurisch länglich seine Sicht der Dinge über die Sonnenwendfeier des
       gleichen Kreises vor einem Jahr in Strahwalde darlegen durfte. Über deren
       „politische Ausrichtung“ werde „diskutiert“, schreibt die Sächsische
       Zeitung, obwohl der Verfassungsschutz die Sonnenwendfeier als
       rechtsextremes Event sogar in seinem Jahresbericht erwähnte.
       
       Laut dem Artikel streitet Jurisch ab, dass es sich um eine politische und
       rechtsextreme oder mit NS-Elementen gestaltete Feier gehandelt habe. Es sei
       eine „private Feier“ von Leuten gewesen, „die sich untereinander kennen“,
       gleichwohl sei es für ihn „schwierig, alle Teilnehmer auf
       Parteizugehörigkeit und politischer Vita zu prüfen“, wie er sagt. Er habe
       mit der Sonnenwendfeier „keine politischen Ziele verfolgt“ und überhaupt
       sei er „kein politischer Mensch“. Was für ihn allerdings klar sei: In
       Strahwalde werde er keine Sonnenwendfeier mehr veranstalten. Ein Jahr
       später steht er mit gebundenem Kopfschmuck auf der Wiese in Tschechien.
       
       Wenige Tage nach dem taz-Bericht im letzten Jahr war vor Ort noch versucht
       worden, alles als Missverständnis darzustellen. So veröffentlichte die
       Initiative „[16][Zittau mit Zukunft“ Anfang August 2024 einen Film auf
       Youtube], der erklären sollte, dass hier lokales Brauchtum und Heimatkultur
       zu Unrecht diskreditiert wurden. „Zittau mit Zukunft“ gilt als
       Pegida-Ableger und AfD-nah und ist vor Ort gut vernetzt. Von Zittau ist es
       etwa eine Viertelstunde mit dem Auto nach Strahwalde. Robert Thieme, der
       vergangenes Jahr für die AfD für den Stadtrat von Zittau kandidierte und
       damals wie heute auf der Sonnenwendfeier dabei war, trat in Videos von
       „Zittau mit Zukunft“ mehrfach bei Aktionen auf. Thieme widerspricht dieser
       Darstellung.
       
       In dem Film, der bis heute 8.000 Mal aufgerufen wurde, spricht eine
       Moderatorin von einer privaten Sonnenwendfeier, die „auf traditionelle
       Weise“ stattgefunden habe und „ein sehr schönes Familienfest“ gewesen sei
       und interviewt Anwohner*innen und Amateurhistoriker*innen, die ihr
       zustimmen.
       
       Das Video ist Zeugnis dafür, wie rechtes Framing vor Ort funktioniert.
       Sonnenwendfeiern mit HJ-Liedern werden da zu einer harmlosen Familienfeier
       und „traditionellem Brauchtum“. Die Propaganda verfängt.
       
       ## Blut-und-Boden-Ideologie in hipper Optik
       
       Ein ähnliches Versteckspiel betreibt die „[17][Wanderjugend Oberlausitz]“
       in der Gegend für ein jüngeres Publikum auf ihrem Instagram-Account. Die
       Gruppe ist nach taz-Informationen eng mit dem „Kulturwerk Oberlausitz“
       verbunden, das hinter der Sonnenwendfeier in Tschechien steht.
       
       Mindestens drei ihrer Mitglieder waren am 21. Juni in Višňová dabei.
       
       Seit 2020 teilen die jungen Männern der Wanderjugend Fotostorys und Reels
       über ihre Ausflüge in die Sächsische und Böhmische Schweiz mit
       Lederrucksäcken, Scheitelfrisur und Gitarre. Es geht um „Erkundung in
       unserer schönen Heimat“, schreiben sie ihren 1.500 Followern.
       
       Hinter der Lagerfeuerromantik verbirgt sich knallharte
       Blut-und-Boden-Ideologie. Aktivisten der Wanderjugend sind seit Jahren
       international mit der militanten Neonazi-Szene verbandelt, kämpften
       mehrfach auf rechtsextremen Kampfsportevents wie dem mittlerweile
       verbotenen „Kampf der Nibelungen“, marschierten auf NPD-Demos, zu Ehren
       Adolf Hitlers, und reisten auf [18][Neonazi-Treffen nach Budapest].
       
       Die vordergründig unverfängliche „Brauchtumspflege“ und vermeintliche
       Verbundenheit zu Heimat und Kultur nutzt die Wanderjugend ebenso wie das
       „Kulturwerk“ als ideologische Einstiegsdroge.
       
       ## Rechte Familie im Dorfleben fest verankert
       
       Wie diese Akzeptanzgewinnung für völkische und NS-Ideologie im Alltag
       funktioniert, lässt sich auch an mehreren Generationen der Familie Heyne
       beobachten. Mike Heyne, seine Frau Kathrin, ihr Sohn L.* und ihre Tochter
       S.* waren gemeinsam in Tschechien auf der Sonnenwendfeier.
       
       Die Liste der rechtsextremen Aktivitäten der Heynes ist lang. Die Eltern
       Mike und Kathrin waren schon vor über 20 Jahren auf einer Tagung der heute
       verbotenen völkischen „Artgemeinschaft“ und blieben seitdem der Szene
       verbunden. Mike engagierte sich jahrelang als Ordner auf dem rechtsextremen
       Trauermarsch in Dresden und besuchte 2019 mit seiner Tochter S. das
       [19][rechtsextreme Kampfsportevent „Tiwaz“]. Erst im August 2024
       protestierten Mike und Kathrin gemeinsam auf einer Demo der Neonazi-Partei
       III. Weg gegen eine CSD-Parade in Zeitz.
       
       Sohn L.* ist mit der „[20][Nationalrevolutionären Jugend]“ unterwegs, der
       Nachwuchsgruppe des III. Weg, [21][die hinter einigen gewaltsamen Angriffen
       vermutet wird, die in den letzten Monaten in Ostdeutschland stattfanden].
       In den sozialen Medien macht er seine Wertschätzung des Nationalsozialismus
       deutlich.
       
       All das scheint in ihrem Wohnort in Droyßig in Sachsen-Anhalt allerdings
       nicht groß zu stören. Im Gegenteil: Mike und Kathrin Heyne sind eingebunden
       ins Gemeindeleben. Droyßig liegt im Burgenlandkreis und hat unter 2.000
       Einwohner*innen. [22][Bei der Bundestagswahl erreichte die AfD hier knapp
       40 Prozent und damit die mit Abstand meisten Stimmen.]
       
       Mike und Kathrin Heyne engagieren sich hier im „Kulturverein Gemeinde
       Droyßig“, der seit 2017 die „Heimatpflege und das traditionelle Brauchtum
       fördern“ will und dabei Ostereiersuche und Seifenkistenrennen veranstaltet.
       Eine der Hauptattraktionen in Droyßig ist das jährliche „Maibaumsetzen“.
       [23][Mike Heyne führte als „Maibaumrichter“ jahrelang die Regie], Kathrin
       Heyne lieferte selbstgebundene Kränze und eine weitere Heyne-Tochter
       spielte dazu schon mal Akkordeon. Bei allem half die Ortsfeuerwehr.
       
       All das lässt sich in Berichten des Amtsblattes der Gemeinde nachlesen.
       2018 führt Mike Heyne eine „Einheitskleidung“ für die Maibaumburschen ein,
       welche „offensichtlich gut ankam“, wie er selbst im Amtsblatt lobt.
       [24][Wenige Monate später nimmt er am Festival „Rock gegen Überfremdung“ in
       Apolda] teil.
       
       Weder Mike noch Kathrin Heyne oder ihre Kinder L* und S* Heyne reagierten
       auf Anfragen der taz.
       
       ## Kinder wachsen in völkischer Gedankenwelt auf
       
       Wer wie Heynes Sohn L* oder Tochter S* aufwächst, hat ohne Intervention von
       außen kaum eine Chance, der rechtsextremen Ideologie zu entkommen. Sie
       sehen, wie Vater und Mutter in der Gemeinde akzeptiert sind, erleben
       rechtsextreme Events und wachsen in einem völkischen Kultglauben auf.
       
       So, wie auf der Sonnenwendfeier in Tschechien.
       
       Die Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke warnt davor, dieses Problem zu
       unterschätzen: „Wir wundern uns, wenn Kinder und Jugendliche aggressiv in
       Nazi-Kleidung durch die Straßen ziehen, schauen aber weg, wenn sie zu
       Tausenden im Hintergrund von fanatischen Eltern bei Brauchtumsfeiern genau
       dazu geschult werden“, sagt sie der taz.
       
       Röpke ist Autorin des [25][Buches „Völkische Landnahme“] und befasst sich
       seit vielen Jahren mit der Szene. Der Nachwuchs lerne durch die Eltern eine
       hasserfüllte Erlebniswelt kennen – und niemand interveniere. Aus Sicht
       Röpkes müssten nicht zuletzt Jugendämter und Polizei besser geschult
       werden. „Völkische Ideologie ist der Kern des Rechtsextremismus, völkische
       Kulturarbeit dient dazu, ein antidemokratisches Stimmungsbild zu erzeugen“,
       sagt Röpke. „Das dürfen wir nicht zulassen.“
       
       Sie haben Informationen für das Investigativ-Team der taz? Sie erreichen
       uns auch persönlich: [26][taz.de/investigativ]
       
       31 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Anacker
   DIR [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Nur_der_Freiheit_geh%C3%B6rt_unser_Leben_(Lied)
   DIR [3] https://www.mmz-potsdam.de/team/gideon-botsch
   DIR [4] https://www.geschkult.fu-berlin.de/e/fmi/institut/mitglieder/Ausserplanmaessige-_und_Honorarprofessorinnen_und_Professoren/puschner.html
   DIR [5] https://de.wikipedia.org/wiki/Uwe_Puschner
   DIR [6] /Tod-des-NPD-Vize-Juergen-Rieger/!5153402
   DIR [7] /Rechtsextreme-Artgemeinschaft-verboten/!5962927
   DIR [8] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2023/09/verbot-ag2.html
   DIR [9] /Mordfall-Walter-Luebcke/!5603834
   DIR [10] https://de.wikipedia.org/wiki/Pohansk%C3%A9_kameny
   DIR [11] /Im-Jahr-3800-n-St/!1213309/
   DIR [12] /Rechtsextreme-Netzwerke-in-Sachsen/!6021990
   DIR [13] /Rechtsextreme-Saechsische-Separatisten/!6045443
   DIR [14] https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/500789/junge-landsmannschaft-ostdeutschland-jlo/
   DIR [15] https://www.saechsische.de/lokales/goerlitz-lk/loebau/saechsische-separatisten-ss-huldigung-das-sagt-organisator-stephan-jurisch-zur-sonnenwendfeier-in-SA3FLA4Z3BA6JMRA4VJB25NFUY.html
   DIR [16] https://www.youtube.com/watch?v=5ItcZsXDomw
   DIR [17] https://rosainfo.noblogs.org/wanderjugend-oberlausitz/
   DIR [18] /Antifa-Aktivist-ueber-Nazi-Treffen/!5987563
   DIR [19] /Rechtsextremer-Kampfsport/!5589008
   DIR [20] /Innenministerium-zu-Jungnazi-Gruppen/!6089427
   DIR [21] /Nach-Angriff-auf-Fest-in-Bad-Freienwalde/!6091710
   DIR [22] https://wahlergebnisse.sachsen-anhalt.de/wahlen/bt25/erg/gem/bt.15084115.ergtab.php
   DIR [23] https://www.vgem-dzf.de/de/datei/anzeigen/id/7698,1236/mai_2017.pdf
   DIR [24] /Rechtsrockveranstaltung-in-Apolda/!5541860
   DIR [25] https://shop.taz.de/product_info.php?products_id=244870
   DIR [26] /investigativ/
       
       ## AUTOREN
       
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