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       # taz.de -- Sexualisierte Gewalt im Sport: Für eine Struktur der Solidarität
       
       > Vertrauen und Zusammenhalt hilft einem Nachwuchsteam, einen übergriffigen
       > Trainer loszuwerden. Immer noch wird Betroffenen viel zu selten geglaubt.
       
       Berlin taz | Als ich siebzehn Jahre alt war, filmte ein Mann aus dem
       Trainerteam meine Mitspielerinnen und mich beim Duschen. Er zerkratzte die
       Milchglasfolie der Dusche von innen, sodass er von außen reinfilmen konnte.
       Andere aus dem Trainierteam legten sich nach einem Verdacht auf die Lauer
       und filmten ihn – er wurde von der Polizei verhaftet und später verurteilt.
       Als man uns von dem Vorfall erzählte, fühlte ich mich entblößt. In unserer
       Mannschaft machten wir das, was Frauen tun, wenn sie ein Problem haben: Wir
       setzten uns zusammen und redeten darüber. Der Zusammenhalt war stark. Kein
       Mann macht mir meinen Fußball kaputt!
       
       Dass wir angegafft, nicht in Ruhe gelassen und immer wieder benutzt werden,
       ist mir nichts Neues. Das ist der Alltag vieler junger Menschen und Frauen.
       Aber was zeigt uns dieser Fall? Er ist ein seltenes Beispiel dafür, wie man
       richtig reagieren kann – und sollte. Dass er aufgedeckt wurde, war das
       Ergebnis von Aufmerksamkeit, Mut und Solidarität. Eine Person aus dem
       Trainerteam hatte ein ungutes Gefühl und ihre Sorge wurde ernst genommen.
       Man schaute nicht weg, sondern hin.
       
       Denn wie oft hören wir Geschichten, in denen Betroffenen nicht geglaubt
       wird. In denen ihre Gefühle als übertrieben abgetan werden, als
       Missverständnis. Ich erlebe im Alltag ständig Situationen, in denen Männer
       Grenzüberschreitungen herunterspielen – oft unter dem Deckmantel von „War
       nicht so gemeint“.
       
       Aber wenn ein Fall dann einmal „eindeutig“ ist, weil es eine Video gibt –
       dann schlägt die Solidarität plötzlich ein wie ein Blitz. Dann äußern sich
       Leute empört und zeigen Anteilnahme. Das ist gut. Und gleichzeitig bitter.
       Weil wir uns nackt, entblößt und teils minderjährig noch einmal unter der
       Dusche filmen lassen mussten, um den Täter überführen zu können. Das ist
       wohl der Preis, den man zahlen muss, wenn man nicht als hysterisch
       abgestempelt werden möchte.
       
       ## Sichtbare Solidarität
       
       Deshalb tut es mir so weh zu wissen, dass andere Frauen diese Erfahrung
       nicht machen. Dass sie ihre Geschichte erzählen – und darauf Schweigen oder
       Zweifel ernten. Dabei sollte Solidarität keine Ausnahme sein. Sie muss
       alltäglich sein. Laut. Sichtbar. Dauerhaft. Wir wissen, was häufig Frauen,
       Mädchen und Jungs im Sport – und darüber hinaus – jeden Tag erleben.
       Körperliche Übergriffe. Sexistische Kommentare. Blicke, Bewertungen,
       Bedrohungen.
       
       Schweigen ist keine Option. Das haben auch [1][die DFB-Frauen mit ihrer
       Beteiligung an der Kampagne „Orange the World“] deutlich gemacht. Ihre
       Botschaft war klar: Gewalt hat keinen Platz – weder in der Kabine noch auf
       dem Spielfeld. Dieses Bewusstsein darf kein elitärer Anspruch bleiben. Es
       muss überall im Sport ankommen. Denn sexualisierte Gewalt im Sport ist kein
       Randphänomen. Sie entsteht, wenn Machtgefälle bestehen, etwa zwischen
       Trainer und Spielerin, zwischen Alt und Jung, zwischen männlich und
       weiblich. Es geht nicht nur um einzelne Täter. Es geht um ein System, das
       zu oft wegsieht – oder es sich leisten kann, zu schweigen.
       
       [2][Es braucht Schulungen, Vertrauenspersonen und Zeit]. Und ja, das kostet
       Geld. Im Fußball werden millionenschwere Sponsoringverträge abgeschlossen,
       es wird in Rasenheizungen oder VIP-Lounges investiert. Da darf es keine
       Ausrede mehr geben, wenn es es um Schutz vor sexualisierter Gewalt geht. Es
       muss endlich auch in Prävention, Aufklärung und strukturelle Veränderungen
       investiert werden. Sicherheit darf kein Luxus, Gerechtigkeit kein Zufall
       und [3][die Scham nicht auf der falschen Seit]e sein.
       
       Dieser Text ist im Rahmen eines Workshops der [4][taz Panter Stiftung] für
       Nachwuchsjournalistinnen im Sport entstanden.
       
       25 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.dfb.de/news/gewalt-gegen-frauen-stoppen-dfb-frauen-unterstuetzen-orange-the-world
   DIR [2] /Gewalt-im-Sport/!6077230
   DIR [3] /Nach-Urteil-im-Pelicot-Prozess/!6059357
   DIR [4] /taz-panter-stiftung/die-taz-panter-stiftung/!v=e4eb8635-98d1-4a5d-b035-a82efb835967/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wiebke Howestädt
       
       ## TAGS
       
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