# taz.de -- Richter:innenwahl: Vereint im Kampf gegen Brosius-Gersdorf
> Die konzertierte Kampagne gegen die Juristin erinnert stark an einen Fall
> in den USA und zeigt: Die Neue Rechte folgt synchronisierten Strategien.
IMG Bild: Frauke Brosius-Gersdorf: Die Union wird zeigen, wo sie steht. Auf der Seite der Demokratie. Oder gegen sie
Am Anfang war die Hetze. Eine „[1][Ultralinke und Abtreibungsaktivistin“]
müsse verhindert werden, machte angesichts der Nominierung [2][der Juristin
Frauke Brosius-Gersdorf] zur Verfassungsrichterin ein Portal aus der
sogenannten Lebensschutzszene Stimmung. „Katastrophal“ wäre ihre Wahl,
warnt ein anderes, „radikale Lebensfeindin“ nennt sie ein drittes.
Katholische Bischöfe zeichnen ein Szenario der Relativierung der
Menschenwürde und eines „radikalen Angriffs auf unsere Verfassung“. Und das
rechte Portal Nius des ehemaligen Bild-Chefs Julian Reichelt stachelt
nahezu täglich in Texten und Videos neu gegen die „Richterin des Grauens“
auf.
All das ist nur ein kleiner Ausschnitt der konzertierten Kampagne, die seit
Anfang Juli gegen Brosius-Gersdorf gefahren wird. Nominiert hatte sie die
SPD, die Entscheidung war gefallen, auf den letzten Metern stellte sich
jedoch die Unions-Fraktion quer. [3][50 bis 60 Abgeordnete, heißt es,
wichen am vergangenen Freitag von der Fraktionslinie ab] und erklärten,
der Juristin ihre Stimme verweigern zu wollen. Sie alle dürften Unmengen
von Mails, Petitionen und Briefen bekommen haben: von
christlich-fundamentalistischen Lebensschutzportalen, auch von
international aktiven Mobilisierungsplattformen wie CitizenGo. Allein
deren Petition gegen Brosius-Gersdorf sammelte innerhalb weniger Tage über
120.000 Unterschriften. Was passierte, hat System. Und es stammt eins zu
eins aus dem Playbook der Neuen Rechten.
Dabei gehen verschiedene AkteurInnen Hand in Hand. In der Lebensschutzszene
etwa sind zahlreiche Organisationen und Vereine aktiv, die nicht ganz klein
sind, gesellschaftlich aber eine radikale Minderheit repräsentieren.
Schwangerschaftsabbruch, Ehe für alle, Scheidung, Verhütung, Aufklärung –
all das sind ihnen Werke des Teufels. Angriffe auf diese Errungenschaften
sind zugleich zentrale Elemente rechter und rechtsextremer Ideologie: Ein
vermeintlich homogener Volkskörper wäre ohne den Zugriff auf weibliche
Körper kaum herstellbar. Teils also machen die AkteurInnen gemeinsame
Sache, teils sind sie personell eng verflochten, auch mit der AfD. In jedem
Fall sind sie gegenseitige Verstärker in einer Diskursarena, die hin zur
extremen Rechten weit offen steht. Diese Player wollen einen autoritären,
teils klerikalen, teils rechtsextremen Staat.
## Beeinflussung per Trigger
Dafür versuchen sie, gesellschaftliche Entscheidungen zu beeinflussen –
aber nicht über Debatten, sondern, wie im Fall Brosius-Gersdorf, über
bewusst triggernde Falschinformationen. Schwangerschaftsabbruch ist so ein
Trigger, Impfpflicht, Gendern und ein AfD-Verbot. Das Beratungsnetzwerk
[4][Polisphere] zeichnete über eine Analyse von mehr als 40.000 Posts auf
der Plattform X seit Anfang Juli nach, wie flexibel die Kampagne reagierte:
Wo das größte Mobilisierungspotenzial ist, darauf schießt man sich ein. So
wiederum wird der Diskurs bis in die konservative Mitte gebracht. Und das
ist, was zählt.
Die Parallele zu den USA, zwischen Bundesverfassungsgericht und Supreme
Court, ist an dieser Stelle leider nicht zu weit hergeholt. In seiner
ersten Amtszeit hat US-Präsident Donald Trump den Supreme Court mit
ultrakonservativen RichterInnen besetzt, 2022 hat dieser das Recht auf
Schwangerschaftsabbruch gekippt. Eine große Rolle dabei spielte wiederum
die strategische Prozessführung einer international aktiven Organisation
namens Alliance Defending Freedom (ADF), die auch vor dem Europäischen
Menschenrechtsgerichtshof bereits mehr als 30 Fälle gegen sexuelle und
reproduktive Rechte gewonnen hat.
## Der rechte Kreis schließt sich
Der Kreis schließt sich: Die ADF steht in enger Verbindung zur
Mobilisierungsplattform CitizenGo, die gegen Brosius-Gersdorf mobilmacht.
Die Neue Rechte ist global aktiv und vernetzt, und sie folgt
synchronisierten Strategien. Zwar war das, was hierzulande gerade auf
höchster Ebene passierte, bislang einzigartig. Aber es wird sich
wiederholen, an anderer Stelle, mit neuem Personal.
Diskutiert wird nun, was der Fall Brosius-Gersdorf für die Koalition
bedeutet. Zentraler aber ist die Frage: Was heißt er für die Demokratie?
Eine Unionsfraktion, die mindestens offen ist zum extrem rechten
Resonanzraum, in der die interne Brandmauer so in sich zusammengefallen
ist, wie es sich gerade zeigt, ist das Einfallstor für die Neue Rechte.
Nach der Abstimmung zur Asylpolitik wäre es das zweite Mal in dieser
Legislaturperiode, dass die Union gemeinsame Sache mit rechts außen macht.
Die Konservativen kippen entweder, weil sie wollen, was da passiert – oder
weil sie der Rolle als Erfüllungsgehilfin nichts entgegenzusetzen haben.
Beides ist fatal. Die Union wird zeigen, wo sie steht. Auf der Seite der
Demokratie. Oder gegen sie.
19 Jul 2025
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DIR [4] https://www.polisphere.eu/de/
## AUTOREN
DIR Patricia Hecht
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