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       # taz.de -- Rechtsextremismus in Spremberg: In der rechten Ecke
       
       > Im brandenburgischen Spremberg zeigen sich Rechtsextreme. Das passiert
       > auch anderswo. Nur in Spremberg hat die Bürgermeisterin jetzt Alarm
       > geschlagen.
       
   IMG Bild: Spremberg zeigt schon auch gern seine schönen Seiten, wie die historische Stadtansicht
       
       Spremberg taz | Es ist kein leichter Auftritt für Christine Herntier. Die
       Bürgermeisterin von Spremberg steht an diesem Mittwochnachmittag Ende Juli
       am Rednerpult in einem schmucklosen Raum, es tagt die
       Stadtverordnetenversammlung der Gemeinde im äußersten Südosten von
       Brandenburg. Herntier hat gerade noch alle möglichen lokalpolitischen
       Themen heruntergebetet – Freibadsanierung, Bürgerhaushalt, Heimatfest –, da
       atmet sie tief durch. Jetzt will sie über das sprechen, womit sie in den
       vergangenen Tagen bundesweit in den Schlagzeilen war: ihren Weckruf, dass
       Spremberg ein massives Problem mit [1][Rechtsextremismus] hat.
       
       „Ich habe teils heftige negative Reaktionen bekommen. Man wirft mir vor,
       dass ich die Stadt in ein schlechtes Licht rücken würde“, sagt die
       parteilose Bürgermeisterin. Sie sei aber nicht überrascht von der Kritik.
       Die sei sowieso nichts Schlechtes: „So finden wir aus der Sprachlosigkeit
       heraus.“
       
       Und das war ihr erklärtes Ziel, als sie sich eine Woche zuvor [2][im
       Amtsblatt] an die Einwohner*innen Sprembergs gewandt hatte.
       
       In dem Schreiben beklagte sie eine „Flut von Schmierereien,
       verfassungsfeindlichen Symbolen, Verherrlichung von Adolf Hitler mitten in
       der Stadt“. Lehrer und Schüler kämen zu ihr, erzählten ihr „voller Wut und
       Angst“ Dinge, die sie nicht für möglich gehalten hätte. „Wirklich, es ist
       zu einer Bedrohung geworden. Wir reden nicht darüber! Das ist doch
       schlimm!“
       
       Damit hat Herntier offensichtlich einen Nerv getroffen. Die Nachricht von
       der Klartext-Bürgermeisterin machte schnell die Runde, weit über Spremberg
       und Brandenburg hinaus. Schon bald war sie live zu Gast [3][im
       ZDF-„heute-journal]“, zur besten Sendezeit.
       
       ## Eine schmucke historische Altstadt
       
       Was ist also los in Spremberg? Etwas mehr als 20.000 Menschen wohnen hier,
       rund eine halbe Autostunde südlich von Cottbus gelegen. Die historische
       Altstadt liegt schmuck auf einer Spreeinsel, Rathaus- und Kirchturm schauen
       über den Dächern hervor. Am Stadtrand, gleich an der Landesgrenze zu
       Sachsen, qualmen die beiden Kühltürme des Braunkohlekraftwerks Schwarze
       Pumpe, bis 2038 darf es noch laufen, [4][dann ist Schluss].
       
       „Perle der Lausitz“ lautet die unbescheidene Selbstbezeichnung der
       Spremberger für ihre Stadt. Politisch ist sie tiefblau eingefärbt. Bei der
       Bundestagswahl im Frühjahr erhielt die AfD hier rund 45 Prozent der
       Zweitstimmen. Auf Platz zwei landete die CDU – mit 15 Prozent. Darüber
       hinaus gilt der Süden Brandenburgs seit Langem als Hochburg der
       Neonazi-Szene, die hier eng vernetzt ist mit dem Hooligan- und
       Kampfsportmilieu.
       
       Besonders lange suchen muss man nicht, um in Spremberg das zu finden, was
       Herntier beklagt. Am Rande der Altstadt rauscht die Hauptspree über ein
       Wehr, der Uferweg führt unter einer Brücke hindurch. „I love NS“ ist dort
       zu lesen, gleich neben einem großen Graffito mit dem Szenecode „14/88“. Ein
       paar Schritte entfernt sitzen Jugendliche auf einer Bank. Es ist
       Montagnachmittag, sie trinken Bier, rauchen Selbstgedrehte. Ein Freund
       kommt dazu, auf seinem T-Shirt prangt in Frakturschrift „Ost-, Ost-,
       Ostdeutschland“. Zur Begrüßung formt er mit Daumen und Zeigefinger einen
       Kreis, die übrigen Finger weit abgespreizt: White Power.
       
       Szenen wie diese überraschen Benny Stobiński nicht. Der 43-Jährige ist in
       Spremberg aufgewachsen und seit 2002 Sozialarbeiter im Jugendbereich. Er
       hat, wie er sagt, mehrere Neonaziwellen in der Region miterlebt. Doch auch
       ihm bereitet die aktuelle Situation Sorgen: „Es ist krass, wie das in den
       letzten Monaten zugenommen hat“, sagt Stobiński zur taz. Am Skatepark etwa
       habe er beobachtet, wie sich Jugendliche zur Begrüßung den Hitlergruß
       gezeigt hätten. „Die sind erst 13, 14 Jahre alt.“
       
       Er wolle die jungen Menschen aber auf keinen Fall aufgeben, sagt er: „Die
       meisten sind keine Neonazis. Aber sie sind empfänglich für rechtes
       Gedankengut.“ Es gehe deshalb darum, sie frühzeitig davon wegzuhalten,
       ihnen Alternativen zu bieten, „damit völkische Ideologie nicht die einzige
       Option ist, die einem Jugendlichen hier attraktiv erscheint“.
       
       ## Mittel für Jugendarbeit werden gekürzt
       
       Momentan würden aber viele Jugendliche allein gelassen. „Die
       Landesregierung kürzt finanzielle Mittel für die Jugendarbeit“, kritisiert
       Stobiński, der auch parteiloser Stadtverordneter in Spremberg ist. In
       dieser Situation kämen dann Kader von der [5][Neonazi-Kleinstpartei „Der
       Dritte Weg“] und böten Gruppenerfahrungen an wie Sport und Wandern. „So
       etwas verspricht ein Gefühl von Gemeinschaft. Natürlich fühlen sich die
       Jugendlichen erst mal angesprochen.“
       
       Tatsächlich ist „Der Dritte Weg“ verstärkt in Spremberg und der
       Niederlausitz unterwegs. Dafür wurde extra ein sogenannter Stützpunkt
       Spreewald-Lausitz gegründet. Neben Sticker- und Plakataktionen fallen die
       Neonazis durch Infostände in der Altstadt auf und verteilen Flyer vor
       Schulen. Im Frühjahr hielten sie zudem ein militärisch anmutendes
       Sport-Event im Stadtpark ab und posteten Videos davon im Netz.
       
       Und es kommt zu Gewalt in Spremberg: etwa an der Berufsorientierten
       Oberschule, [6][wo ein Schüler eine Lehrerin schlug]. Einer
       [7][RBB-Recherche] zufolge herrscht dort ein Klima der Angst, der
       Schulleiter spielt die Geschehnisse herunter. Auch der linke Jugendklub
       Erebos wurde angegriffen.
       
       Vorfälle, die einen größeren Trend verdeutlichen: An vielen Orten sind
       [8][junge, aktionsorientierte Rechtsextreme auf dem Vormarsch]. Das
       untermauert auch der jüngst erschienene Verfassungsschutzbericht für
       Brandenburg mit Zahlen. Die Behörde [9][erfasste im vergangenen Jahr 3.650
       Rechtsextreme] in dem Bundesland – fast 20 Prozent mehr als noch im
       Vorjahr. Der Anstieg sei vor allem auf junge Menschen zurückzuführen,
       betont Brandenburgs Innenminister René Wilke (parteilos). Trotzdem wird das
       Problem vielerorts kleingeredet. In Bad Freienwalde etwa, wo Neonazis im
       Juni [10][bei einem Stadtfest auf Menschen einschlugen], sprach der
       CDU-Bürgermeister danach nur von einer „Störung“.
       
       Umso bemerkenswerter ist also der Weg, den Christine Herntier in Spremberg
       wählt. Das findet auch Bianca Broda, die 2021 die Initiative „Unteilbar“ in
       der Stadt mitgegründet hat. „Die Bürgermeisterin hat das Problem mit
       Rechtsextremismus schon vorher ernst genommen, aber nicht so deutlich nach
       außen getragen“, sagt die 45-Jährige zur taz. „Wir begrüßen das
       ausdrücklich und finden das sehr mutig.“
       
       ## Spremberg nicht aufgeben
       
       Auch Broda ist in Spremberg aufgewachsen und vor sechs Jahren in ihre
       Heimat zurückgekehrt. Die Motivation hinter ihrem Engagement bei
       „Unteilbar“ sei, dass sie Spremberg nicht aufgeben will: „Wir leben gerne
       hier. Und wir sind nicht hoffnungslos – im Gegenteil.“
       
       Sie und ihre Mitstreiter*innen wollen Begegnungsräume schaffen, wie
       Broda das nennt: Orte, an denen Spremberger*innen aller Generationen
       ins Gespräch kommen. Im Juni etwa haben sie ein Sommerfest organisiert.
       „Wir versuchen bei unseren Aktionen vor allem zu betonen, wie wir in dieser
       Stadt zusammenleben wollen: solidarisch und vielfältig.“
       
       Dafür wird Broda auch angefeindet. „In manchen Situationen habe ich schon
       ein mulmiges Gefühl“, sagt sie. Etwa habe sie schon mal im Supermarkt dumme
       Kommentare bekommen. Aber sie will sich nicht unterkriegen lassen: „Je
       klarer wir ansprechen, dass unsere Stadt ein Problem mit Rechtsextremismus
       hat, desto weniger ist das Thema tabuisiert. Die Kontroverse sorgt dafür,
       dass wir einen Umgang damit finden.“
       
       Und die Kontroverse, die ist in Spremberg in vollem Gange. Im
       Bäckerei-Café am Marktplatz etwa, schräg gegenüber vom historischen
       Rathaus. Hier sitzen am Montagmittag zwei Rentnerinnen bei Café crème unter
       den großen Sonnenschirmen. Beide wohnen schon ihr ganzes Leben in der
       Region – und sind ziemlich unterschiedlicher Meinung, wenn es um den
       Weckruf der Bürgermeisterin geht.
       
       „Ich bin aus allen Wolken gefallen“, sagt die eine. „Ich persönlich hab
       hier nichts mitbekommen.“ Was Herntier gemacht habe, finde sie nicht gut:
       „Man weiß ja auch gar nicht, wer dahintersteckt, ob das Rechte oder Linke
       sind. Die Linken sind doch genauso schlimm.“
       
       Bei ihrer Freundin hingegen klingt das ganz anders: „Das war höchste Zeit.
       Wir hatten das schon mal vor 30 Jahren, und das alles kocht jetzt gerade
       wieder hoch. Leute werden bedroht, Bürgermeister, Lehrer. Wenn einer den
       Mund aufmacht, dann ist das richtig!“
       
       ## Mit Abwahlantrag gedroht
       
       Trotzdem steht Christine Herntier jetzt unter großem Druck. Kurz vor ihrem
       Auftritt vor der Stadtverordnetenversammlung gibt es eine erste kleine Demo
       auf dem Marktplatz. Deutschlandfahne, klein bedruckte Plakate, auf denen
       die Bürgermeisterin zum Rücktritt aufgefordert wird. Auch später wird in
       einschlägigen Telegram-Kanälen mobilisiert. Und die AfD droht mit einem
       Abwahlantrag.
       
       Herntier selbst verbreitet derweil Zweckoptimismus. „Alle finden es
       scheiße, dass Spremberg in die rechte Ecke gestellt wird“, sagt sie. Das
       sei der kleinste gemeinsame Nenner – auf dessen Basis könne man jetzt
       reden. Zudem hat Innenminister Wilke Hilfe angekündigt. Der
       Verfassungsschutz werde vor Ort schauen, wie man Spremberg unterstützen
       könne, sagte Wilke. Er wolle darüber hinaus die Prävention an Schulen
       stärken.
       
       Bianca Broda von „Unteilbar“ bleibt skeptisch. „Was Jugendliche wirklich
       brauchen, ist Teilhabe – und nicht, dass das Ministerium sich jetzt einen
       Punkteplan überlegt.“ Sie fordert eine Ausweitung von Schulprojekten, denn
       viele Angebote in Brandenburg seien auf den Raum Potsdam beschränkt.
       
       Für sie ist klar: Sie will hier wohnen. Und sie hofft, dass sich auch junge
       Menschen zum Bleiben entscheiden. „Ich will nicht in die Großstadt
       umziehen, um in einer offenen Gesellschaft zu leben. Wir müssen das auch
       auf dem Land hinkriegen!
       
       25 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schwerpunkt-Neonazis/!t5008534
   DIR [2] https://spremberg.de/api/datei/202507180859kyd.pdf
   DIR [3] https://www.zdfheute.de/video/heute-journal/probleme-in-spremberg-100.html
   DIR [4] /Kohle-Abbau-in-der-Lausitz/!5972597
   DIR [5] /Der-III-Weg/!t5420776
   DIR [6] /Gewalt-an-Schulen-in-Brandenburg/!6074586
   DIR [7] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2025/03/spremberg-schule-vorwuerfe-rassismus-rechtsextremismus.html
   DIR [8] /Rechtsextreme-Jugendszene/!6076353
   DIR [9] /Verfassungsschutzbericht/!6096078
   DIR [10] /Neonazi-Angriff-in-Bad-Freienwalde/!6094115
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hanno Fleckenstein
       
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