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       # taz.de -- Zur Krankheit ME/CFS: Versorgung statt Hoffnung
       
       > Sarah Buckel erkrankte an ME/CFS und entschied sich, sich das Leben zu
       > nehmen. Mit der unheilbaren Krankheit lässt es sich bisher nur im Mangel
       > leben.
       
   IMG Bild: In Deutschland wurden 2023 620.000 Behandlungsfälle von ME/CFS bei der Kassenärztlichen Vereinigung erfasst
       
       Sarah Buckel ist nicht verstummt. Nicht, als sie an [1][der unheilbaren
       Erkrankung ME/CFS] erkrankte, und auch nicht, nachdem sie sich entschieden
       hatte, zu sterben. Es bleibt ein Account von ihr auf der
       Social-Media-Plattform X, der den Finger in die Wunde derer legt, die
       lieber wegschauen wollen. Dass der ehemalige Gesundheitsminister Karl
       Lauterbach auf ihren letzten X-Beitrag mit unkonkreten Hoffnungen auf
       Forschung und Vermittlungsangeboten an Ärzte reagiert, zeigt das ganze
       Elend.
       
       Der Zynismus, der in dieser Situation steckt, gipfelt in den Kommentaren
       unter Lauterbachs Beitrag. Dort sammeln sich massenhaft verzweifelte
       Angehörige von ME/CFS-Kranken, die ihn anbetteln, doch bitte auch an sie
       medizinische Hilfe zu vermitteln.
       
       Das zeigt: Wir brauchen Hilfe für Betroffene. Jetzt. Denn mit ME/CFS lässt
       es sich in Deutschland bisher nur im Mangel leben: Mangel an
       Lebensqualität, Mangel an gesundheitlicher Versorgung, Mangel an sozialer
       Unterstützung. Und so ist Sarah Buckels Tod keine Entscheidung gegen ein
       Leben gewesen, welches sie irgendwann in fernen Zukünften, wenn die
       Forschung vielleicht so weit ist, vielleicht wieder hätte führen können.
       Sondern eine Entscheidung gegen jede weitere schmerzhafte Sekunde in
       Einsamkeit, Leid und Qual.
       
       Das alles hat strukturelle Gründe. ME/CFS ist gar nicht mal so selten, ist
       aber bisher kaum erforscht. [2][Erst durch die Covid-Pandemie], durch die
       allein in Deutschland sich die Zahl der ME/CFS erkrankten vervielfacht hat,
       bekommt das Thema langsam mehr Auftrieb.
       
       Die Betonung liegt hier auf langsam. Wie lange will man Menschen zumuten,
       als passive Zeugen ihrem eigenen körperlichen Verfall zuzusehen, ohne dass
       diese Menschen flächendeckend versorgt werden können? Wir sprechen hier
       immerhin über eine Erkrankung, die einen zu krank für das Krankenhaus
       macht.
       
       ## Strukturelles Totalversagen
       
       Karl Lauterbach appelliert in seinem X-Beitrag an die Hoffnung – und an die
       KI. Ernsthaft? Das ist strukturelles Totalversagen mit Ansage. Hoffnung ist
       keine Medizin und Hoffnung ist auch keine auf die Bedürfnisse der Patienten
       ausgerichtete Forschung. Denn Fakt ist: Aus der Politik fließt zwar Geld in
       die Erforschung von ME/CFS, doch bisher kommt bei den Patient*innen
       davon nichts so wirklich an.
       
       Wobei „nichts“ auch nicht ganz richtig ist. Was bei Patient*innen
       ankommt, sind Aussagen wie etwa aus dem damals FDP-geführten
       Forschungsministerium, das einer Förderung für eine vielversprechende
       Medikamentenstudie eine Absage erteilte. Das berichtet die Berliner Zeitung
       wenige Tage nach dem Tod von Sarah Buckel. Die Begründung: die Zahl der
       durch Covid an ME/CFS Erkrankten würde weniger schnell steigen, als zu
       Beginn der Pandemie.
       
       Aha. In Deutschland wurden 2023 [3][620.000 Behandlungsfälle] von ME/CFS
       bei der Kassenärztlichen Vereinigung erfasst. Vor 2020 waren laut
       Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS schon 250.000 Menschen
       erkrankt.
       
       Zur Erinnerung: Für die Erkrankung gibt es bisher keine anerkannten,
       belastbaren Biomarker. Die Diagnose muss also durch sorgfältigen Ausschluss
       anderer Erkrankungen gestellt werden und ist damit sehr teuer und
       aufwendig. Zudem kommt ME/CFS im Medizinstudium in Deutschland nicht
       verpflichtend vor. Es handelt sich um eine Erkrankung, die im völligen
       Dunkel stattfindet und deswegen nicht heilbar und nur schwer symptomatisch
       therapierbar ist.
       
       ## Betroffenen zuhören
       
       Natürlich muss Forschung her, aber was es braucht, ist Hilfe. Jetzt.
       Betroffene und mit dem Thema befasste Wissenschaftler*innen fordern
       schon lange den flächendeckenden Aufbau von ME/CFS-Schwerpunktpraxen. Bei
       der Vielzahl von Erkrankten ist das eine Minimalforderung und fällt in den
       Bereich der basalen, medizinischen Infrastruktur.
       
       Diese Praxen könnten einen großen Schwung an Daten liefern, die bisher
       aufgrund der lückenhaften Versorgung überhaupt nicht existieren. Es drängt
       sich die Frage auf, was die von Lauterbach beschworene KI aktuell überhaupt
       analysieren soll?
       
       Die Forderungen der Betroffenen sind öffentlich und klar: Medizinisches
       Personal muss verpflichtend zu ME/CFS geschult werden. Medizinische
       Versorgung muss durch Schwerpunktpraxen flächendeckend gegeben sein.
       Menschen mit ME/CFS brauchen soziale Absicherung, damit sich ihr Zustand
       durch Überbelastung nicht verschlechtert und chronifiziert. Und ihnen muss
       geglaubt werden. Auch wenn das heißt, zu akzeptieren, dass man mit
       schwerstem ME/CFS in Deutschland aktuell nicht leben kann.
       
       Sarah, wir trauern um dich. Und wir kämpfen für dich.
       
       13 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Post-Covid-Long-Covid-und-ME/CFS/!6006017
   DIR [2] /Selbsthilfe-bei-Long-Covid/!6085469
   DIR [3] https://www.mecfs.de/was-ist-me-cfs/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Shayna Bhalla
       
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