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       # taz.de -- Gaza-Tagebuch: Der Kampf um dreckiges Wasser und Fava-Bohnen
       
       > Vom verzweifelten Alltag in Gaza zwischen Hunger, Schüssen und
       > Hoffnungslosigkeit. Und selbst ein Schluck Wasser wird zum Risiko.
       
   IMG Bild: Vertriebene Palästinenser holen in der Nähe einer Notunterkunft in Gaza-Stadt Wasser
       
       Jeden Tag fahre ich in diesen Tagen mit dem Auto und lasse mir den Wind
       durch meine Haare wehen, um mir ein wenig von dem zurückzuholen, was mir
       das Leben schuldet. Als Kind durfte ich im Auto oft nicht am Fenster
       sitzen. Also versuche ich, mir wenigstens dies zu gönnen, und noch etwas
       aus diesem Leben herauszuquetschen. Ich versuche es, solange ich noch lebe.
       Meinem derzeitigen Leben zum Trotz.
       
       Auf der Straße verkaufen Kinder kaltes Wasser in Plastiktüten, an
       Passanten, die von der Sonne verbrannt sind. Ein Kind verkauft eine Tüte
       für einen Schekel. Den ganzen Tag verbringt das Kind draußen, in der
       sengenden Sonne, um [1][ein bisschen Wasser] zu verkaufen. Das Wasser ist
       unsauber, viele Menschen leiden darunter, wenn sie es trinken.
       
       Seit einer Endoskopie vor einigen Monaten ist mein Magen empfindlicher
       geworden als zuvor. Er verträgt kein unsauberes Wasser mehr, und ich
       bekomme Erschöpfungszustände und Darminfektionen. Vor drei Tagen habe ich
       einen langen Tag draußen verbracht und kein Wasser von zu Hause
       mitgenommen. Ich suchte nach verschlossenen Flaschen, aber fand keine.
       Aufgrund der Grenzschließungen ist es schwierig, solche Flaschen zu
       bekommen. Schließlich, erschöpft und furchtbar durstig, kaufte ich eine
       Tüte von einem Kind, dessen Augen mich flehentlich ansahen.
       
       Ich ging das Risiko ein – danach hatte ich lange Bauchschmerzen und
       anhaltenden Durchfall. Was tun Sie, wenn Sie keine Optionen mehr haben?
       
       ## Zerstörung unserer Menschlichkeit
       
       Jeden Tag gehe ich hungrig und unkonzentriert zur Arbeit. Ich bin Lehrer
       für kreatives Schreiben für Kinder. Auch die Kinder kommen hungrig, und
       ich kann nichts für sie tun. In die Zeit der Sitzungen fällt die „Tekia“ –
       die Wasser- oder Essensausgabe. Die Kinder schreien und rennen los, um ihre
       Flaschen zu füllen oder etwas zu Essen zu ergattern. Doch auch die „Tekias“
       finden nicht immer statt, aufgrund der Schließungen und der
       Nahrungsmittelknappheit sind sie seltener geworden.
       
       Alle leiden unter der fehlenden Nahrung und steigenden Preisen. In den
       meisten Fällen reicht das Wenige, was ein Mensch in Gaza verdient, nicht
       einmal für zwei Wochen – den Rest des Monats herrscht Hunger. Die
       amerikanische Hilfe, [2][die Gaza Humanitarian Foundation], zerstört unsere
       Menschlichkeit vor den Augen der Welt.
       
       Auch meine Geschwister und ich hungern, also beschloss mein Bruder, zu
       einer Lebensmittelausgabestelle zu gehen. Ohne mir etwas zu sagen.
       
       Er wartete an einem halb überdachten Ort, während um ihn herum Schüsse von
       israelischen Soldaten hallten, die jeden töteten, der den Kopf hob. Nach
       stundenlangem Warten hörte das Schießen auf, und alle stürmten auf die
       Hilfsgüter zu. Er schaffte es, etwas Mehl zu ergattern, wurde aber bei der
       [3][Massenpanik] im Gesicht verletzt.
       
       [4][Wie viele junge Menschen sterben neben diesen Lastwagen]. Die
       Besatzungsmacht verhindert weiterhin, dass Hilfsgüter über die UN ins Land
       gelangen. Und die Welt sieht zu, wie wir um eine Dose Fava-Bohnen oder ein
       Kilo Mehl kämpfen – deren Preis wir mit unserem Blut bezahlen. Und niemand
       unternimmt etwas. Wie können so viele Menschen einfach zusehen und nichts
       tun, um dieses Massaker zu stoppen?
       
       Esam Hani Hajjaj, 28, kommt aus Gaza-Stadt und ist Schriftsteller und
       Dozent für kreatives Schreiben für Kinder. Nach Kriegsausbruch ist er
       innerhalb des Gazastreifens mehrfach geflohen. 
       
       Internationale Journalist*innen können seit Beginn des Kriegs nicht in
       den Gazastreifen reisen und von dort berichten. Im „Gaza-Tagebuch“ holen
       wir Stimmen von vor Ort ein. Es erscheint meist auf den Auslandsseiten der
       taz. Die Texte geben ausschließlich die persönlichen Meinungen der
       Autor*innen wieder.
       
       14 Jul 2025
       
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