# taz.de -- Erwachsen werden auf dem Land: „Ich konnte barfuß drehen“
> In Justine Bauerns Film „Milch ins Feuer“ wollen junge Frauen auf dem
> Land bleiben. Die Regisseurin ist selbst auf einem Bauernhof
> aufgewachsen.
IMG Bild: Die Regisseurin Justine Bauer
taz: Frau Bauer, Ihr Abschlussfilm an der Kunsthochschule spielt auf einem
Bauernhof in Hohenlohe, der Gegend, aus der Sie selbst kommen. Wo liegt das
genau?
Justine Bauer: Das ist in Baden-Württemberg, im Landkreis Schwäbisch Hall.
Viele denken, das sei Schwaben und der Dialekt sei Schwäbisch, aber
eigentlich ist es ist Hohenlohisch.
taz: Es ist gar nicht so eindeutig, wo diese Region eigentlich anfängt und
endet. [1][Wo grenzen Sie denn Hohenlohe ab]?
Bauer: Ich grenze Hohenlohe glaube ich immer zu Bayern ab, aber für mich
ist das vor allem einfach da, wo ich herkomme. Ich kann es gar nicht so
genau sagen. Das ist eher so eine gefühlte Grenze, die natürlich auch
abhängig davon ist, wie die Leute sprechen. Man merkt immer den Vibe von
einer Region und es gibt eben auch den Hohenlohe-Vibe.
taz: Wie sind Sie aufgewachsen?
Bauer: Das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, hat 27 Einwohner. Meine
Eltern haben einen Bauernhof. Auf dem Hof mussten ich und meine Geschwister
schon auch mithelfen. Der Hof meiner Großeltern war in der Nähe, die hatten
Schweine. Es war oft so ein Wechsel zwischen unserem Hof und dem Hof meiner
Großeltern. Zum Beispiel in den Sommerferien war ich oft bei den Schweinen.
taz: Was haben Sie dort gemacht?
Bauer: Ich habe schon immer im Stall geholfen, aber das habe ich gerne
gemacht. Irgendwann war mir schon auch langweilig, deswegen habe ich dann
viel gelesen. Ich denke, deswegen bin ich später auch in diese
künstlerische Richtung gegangen.
taz: In Ihrem Film geht es um junge Frauen, die auf dem Land bleiben
wollen. Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?
Bauer: Es gibt so große Vorurteile gegenüber dem Ländlichen und gegenüber
der Landbevölkerung. Im akademischen Kreis war ich eigentlich immer die
Einzige, die vom Bauernhof gekommen ist. Und dann habe ich bemerkt, dass in
Filmen immer die gleichen Geschichten erzählt werden: Eine Figur vom Land
wandert in die Stadt aus und entwickelt sich dort. Aber nur ganz selten
gibt es Personen, die auf dem Land bleiben und da erwachsen werden. Auch
wenn es das in der Realität tausendfach gibt.
taz: Welchen Vorurteilen sind Sie begegnet, als Sie nicht mehr auf dem Land
gewohnt haben?
Bauer: Vor allem, dass Menschen vom Land dumm seien. Menschen machen es
sich oft leicht und sagen zum Beispiel, dass [2][die Nazis] nur auf dem
Land leben. Klar sind die auf dem Land, aber in der Stadt gibt es die
genauso! Es ging immer viel um diese unterstellte Dummheit, und es war viel
Unverständnis da.
taz: Haben Sie es so erlebt, dass sich Städter:innen über Menschen
stellen, die vom Land kommen?
Bauer: Genau. Aber auch, dass sich Leute, wenn sie vom Land in die Stadt
ziehen, diese gleiche Attitude entwickeln. Dass sie dann denken „Wir haben
es jetzt geschafft!“ Aber ich glaube, es ist nicht so schwierig, in die
Stadt zu ziehen. Das ist ja keine großartige Leistung.
taz: Sie sind auch irgendwann aus Hohenlohe in die Stadt gezogen.
Bauer: Ja, das war 2011. Ich bin für das Studium nach Leipzig gezogen. Da
habe ich Kunst studiert und später Drehbuch und Regie in Köln.
taz: Warum sind Sie denn aus Hohenlohe weggegangen?
Bauer: Vor allem für das Studium. Und vielleicht war da auch ein bisschen
Müdigkeit von Baden-Württemberg und Neugierde auf den Osten. Ich glaube,
ich mochte damals, dass Leipzig so links und so punky war. Vielleicht war
ich auf der Suche nach einem Leben, das sich ein bisschen runterreduziert.
Ein Leben, das nicht auf dieses „Schaffen, schaffen, Häusle bauen“
fokussiert ist, sondern einem mehr Freiraum gibt. Das Kunststudium war da
vielleicht auch ein besonderer Fall.
taz: Sind Sie mit dieser „Schaffen, schaffen“-Mentalität aufgewachsen? War
das bei Ihnen in der Familie so?
Bauer: Ja, das ist aber auch Teil der Landwirtschaft. Man arbeitet und
arbeitet … Jetzt habe ich es manchmal, dass ich mich schlecht fühle, weil
die Arbeit, die ich jetzt mache, gar nichts mit den Händen zu tun hat.
Manchmal bin ich mir nicht ganz sicher, wie viel ich wirklich gearbeitet
habe, auch wenn ich den ganzen Tag am Laptop saß. Wenn man zum Beispiel die
Tiere gefüttert hat, dann weiß man, was man gemacht hat, weil die Tiere
dann satt sind.
taz: Hinterfragen Sie deswegen manchmal, was Sie machen?
Bauer: Ich glaube, dann hinterfrage ich, ob ich genug gemacht habe. Beim
Schreiben kenne ich ein ungefähres Ziel, das ich erreichen möchte, aber das
zu erreichen braucht manchmal mehrere Tage oder Wochen, Träumereien und
Verwerfungen. Vom landwirtschaftlichen Blick aus betrachtet, sitze ich
lange nutzlos rum. Aber Schreiben braucht halt mehr Zeit, als die Tiere zu
füttern.
taz: Gibt es den Hof Ihrer Eltern in Hohenlohe noch?
Bauer: Ja, meine Eltern sind noch jung, die sind Mitte 50 und arbeiten dort
noch. Die haben dort Angusrinder für Fleisch, aber nur im Nebenerwerb. Und
meine Mama hat ein Hofcafé, das ist immer sonntags offen.
taz: Wie ist das bei Ihnen in der Familie, [3][wer übernimmt den Hof nach
Ihren Eltern]?
Bauer: Ich glaube, ich habe als Kind schon auch ein bisschen gedacht, ob
ich Bäuerin werden soll. Aber meine Eltern haben immer gesagt, wir Kinder
sollen keine Bauern werden, eben weil es sich nicht rentiert. So ein
bisschen wie die Mutter im Film. Und als uns dann gesagt wurde, wir sollen
das nicht machen, hat auch niemand wirklich darüber nachgedacht. Mein
Bruder und meine Schwester werden das Haus zusammen nehmen, aber dort keine
Landwirtschaft mehr machen.
taz: Wie sieht es Ihre Familie, dass sie aus Hohenlohe weggegangen sind und
was Sie jetzt machen?
Bauer: Ich habe viel Glück mit meiner Familie. Meine Eltern fanden gut,
dass ich Kunst studiert habe. Das ist ja auch nicht immer der Fall. Und
jetzt bei dem Film gab es viel Support, alle haben mitgeholfen. Meine Oma
hat mitgespielt, meine Schwester hat die Stunts gemacht, mein Papa hat
[4][Johanna Wokalek], die die Bäuerin spielt, Traktor fahren beigebracht,
ein paar Szenen haben wir auf dem Hof meiner Tante gedreht. Das ist schon
viel wert. Für mich war es auch gut, dass ich wusste, ich mache den Film
nicht nur für mich fertig, sondern auch für die Mühen der anderen.
taz: Ich würde mit Ihnen gerne über Ihren Dialekt sprechen, das
Hohenlohische. Er spielt ja auch in Ihrem Film eine große Rolle. Sie sind
damit aufgewachsen. Wie war das für Sie, als Sie dann Ihre Heimat verlassen
haben?
Bauer: In der Schule konnten wir bis zum Gymnasium Dialekt sprechen. Wenn
man danach noch Dialekt gesprochen hat, wurde man ausgelacht. Das ist
eigentlich absurd, weil wir alle aus verschiedenen Dörfern kamen. Aber auf
dem Gymnasium waren viel mehr Akademikerkinder. Als Kind vom Bauernhof war
ich da die Ausnahme. Und wenn Leute dann Dialekt sprechen, oder auch wenn
Menschen mit Migrationsgintergrund nicht perfekt Deutsch sprechen, wird aus
der hochdeutschen Sicht sofort auf die Leute runtergeschaut. Auch das hat
mit diesen Vorurteilen zu tun. Mein Hochdeutsch, das ich inzwischen
spreche, ist nicht perfekt, aber das will ich auch gar nicht. Ich spreche
gerne Dialekt und habe das Gefühl, dass meine Persönlichkeit am ehesten zu
mir passt, wenn ich Dialekt spreche. Der Dialekt ist manchmal witziger. Für
manche Emotionen gibt es irgendwie keine Wörter oder man hat nicht gelernt,
darüber zu sprechen. Dann verpackt man das in Witze. Im Film gibt es zum
Beispiel den Moment, wo Katinka, die Tochter, sagt: „Eine gute Schaufel
kann man immer brauchen.“ Das ist ganz pragmatisch und dadurch eben auch
lustig.
taz: Viele Dialekte in Deutschland werden nur noch wenig gesprochen und
laufen Gefahr, auszusterben. Wie steht es um das Hohenlohische?
Bauer: Das Hohenlohische vermischt sich sehr mit anderen Dialekten und dem
Hochdeutschen, weil die Leute hin- und herziehen. Man merkt zum Beispiel
auch im Film, dass meine Oma einen anderen Dialekt spricht als die Kinder,
weil die Dialekte immer von Dorf zu Dorf unterschiedlich waren. Das löst
sich jetzt auf. Und viele, die aus Hohenlohe sind, haben sich das typische
„sch“ einfach abgewöhnt. Die sprechen jetzt ganz übertrieben perfekt. Dafür
hasse ich die ein bisschen.
taz: In Ihrem Film geht es viel um das [5][Frausein] auf dem Land, um
Geschlechterrollen und Aufgabenverteilung. Wie ist das bei Ihren Eltern
gewesen? Welche Vorbilder waren sie für Sie und ihre Geschwister?
Bauer: Bei meinen Eltern war das sehr gleichberechtigt und ich glaube, das
war auch der Grund, aus dem ich den Film machen wollte. Ich habe bemerkt,
dass in Filmen oft die Bäuerinnen fehlen. Da gibt es immer nur den Bauern.
In meiner Familie war das anders. Meine Opas hatten zum Beispiel nie so ein
schlechtes Frauenbild, wie man es dieser Generation so nachsagt. Die
wussten schon: Ohne die Frau läuft das nicht.
taz: Haben Sie auch Familien erlebt, in denen das anders war?Bauer: Den
Fall, dass der ältere Sohn den Hof bekommt, auch wenn die Schwestern
Interesse haben, gibt es die ganze Zeit. Oder auch, dass die Frau genauso
viel arbeitet, aber Haus und Hof dem Mann gehören. Das ist schon sehr
fragwürdig. Aber wenigstens dürfen Frauen jetzt auch Traktor fahren.
taz: Ging das früher nicht?Bauer: Nach dem, was ich mitbekommen habe, war
es immer ein riesiger Schritt, bis Frauen Traktor fahren durften. Da gab es
viele Vorurteile und mindestens einen dummen Spruch von den Männern.
taz: Können Sie denn Traktor fahren?
Bauer: Nicht die ganz großen. Unsere kann ich schon fahren, aber das sind
auch nicht die ganz, ganz großen. Dafür habe ich keinen Führerschein.
taz: Sie wohnen jetzt schon seit mehreren Jahren in der Stadt. Gibt es
Dinge vom Landleben, die Sie vermissen?
Bauer: Ich vermisse auf jeden Fall, viele Tiere zu haben. Ich glaube, ich
werde es auch mit 50 wieder in Angriff nehmen, ein paar Tiere zu habe.
taz: Was für Tiere?
Bauer: Ein Schwein vielleicht, ein Wollschwein. Minimum irgendwas Lustiges.
Ich vermisse auch, dass auf dem Land skurrilere Sachen passieren. Oft
denken die Leute, ja in der Stadt sei das ganze Leben. Aber ich finde, auf
dem Land passieren spannendere Sachen, weil man noch nicht so oft von denen
gehört hat.
taz: Haben Sie dafür ein Beispiel?
Bauer: Im Film gibt es zum Beispiel diese Lamakastration. Danach frisst der
Hund den Hoden des Lamas. Das finde ich witzig und spannender, als auf die
hundertste Party zu gehen. Es passieren unvorbereitet absurde Sachen. Mit
den Tieren, auch mit dem Wetter. Wenn man auf dem Land ist und ein Gewitter
kommt, dann bricht immer eine Action aus. Jetzt, wenn ich in der Stadt bin,
habe ich manchmal Angst vor Gewitter. In der Stadt habe ich nichts
Wichtiges zu tun, wenn ein Gewitter kommt, aber auf dem Land hatte man da
immer viele Aufgaben.
taz: Sie sagen, dass Sie auch die nächsten Filme über Personen auf dem Land
machen möchten. Inspiriert Sie das Land mehr als die Stadt?
Bauer: Ja, ich möchte gerne diese ungewöhnlichen Sachen erzählen, die man
nicht schon so oft gesehen hat. Auch weil Stadt mich nicht so arg
interessiert. Ich habe Drehs in der Stadt erlebt und das ist so
anstrengend. Mit den Autos rumfahren, dann die Straßen sperren … Das ist so
stressig und voll Beton. Meinen Film konnte ich barfuß drehen.
taz: Im Film gibt auch einen Erzählstrang, bei dem es um den Nachbarsbauern
geht. Er dreht komplett ab und macht dann verschiedene Protestaktionen, um
auf die schlechten Bedingungen für Bauern aufmerksam zu machen. Beziehen
Sie sich damit [6][auf die Bauernproteste], die es in den vergangenen
Jahren gab?
Bauer: Die Person im Film sollte ein Bauer sein, der sich an den Aktionen
der Bauern 2023 und auch schon lange davor beteiligt. Ich wollte zeigen,
was die Bauern eigentlich alles machen und dass es gar nichts bringt. Die
Selbstmordrate bei Bauern ist auch extrem hoch. Und das weiß niemand,
gerade weil das ein Beruf ist, bei dem man eigentlich keine Schwäche zeigen
darf. Das Bauersein ist so existenziell: Das Haus hängt damit zusammen, die
Familie, die Tiere. Das ist viel Verantwortung und das ist schon hart für
die Männlichkeit in unserer Gesellschaft. Die Selbstmordrate braucht man
bei Bauern wirklich nicht gendern … Aber klar, dabei geht es nicht nur um
die Bauern, sondern allgemein um die Sprachlosigkeit der Männer.
taz: Sie meinen, das, was Sie anhand von diesem Bauern erzählen, kann man
auf einen anderen Mann beziehen?
Bauer: Genau, auf einen Mann, der in der Stadt wohnt und auch nicht fähig
ist, seine Gefühle Psychologen mitzuteilen. Oder auf einen Mann, der
überfordert ist und keinen Ansprechpartner hat und dann durch diese ganze
toxische Männlichkeit immer weitermacht, bis er nicht mehr kann.
6 Aug 2025
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