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       # taz.de -- Tagebuch aus Russland: Lernen darf nur, wer schon genug weiß
       
       > Russisch-Kenntnisse und legaler Status erforderlich: Wie die Regierung in
       > Moskau Kinder aus migrantischen Familien ausgrenzt.
       
   IMG Bild: Mit dem „Tag des Wissens“ wird traditionell das russische Schuljahr eröffnet
       
       Asmira arbeitet als Verkäuferin in einem kleinen Lebensmittelgeschäft in
       einem Vorort von [1][St. Petersburg]. Sie und ihr kleiner Sohn kamen vor
       sechs Monaten aus [2][Usbekistan] hierher, um bei ihrem Bruder zu leben,
       der den Laden eröffnet hat. Jetzt hilft sie ihm manchmal beim Verkauf. Die
       Kunden kommen, um Bier und Zigaretten zu kaufen. Manchmal gehe ich auch
       dahin. Asmira nimmt das Geld an und tauscht mit ihnen einfache gebrochenen
       Russisch aus, aber selbst das fällt ihr schwer.
       
       Derzeit leben in St. Petersburg etwa 210 000 Migrant:innen, die meist aus
       den zentralasiatischen Ländern und dem Südkaukasus kommen. 20.000 von ihnen
       sind Kinder. Nach Angaben der russischen Behörden ist die Zahl der
       Migrant:innen in den letzten Jahren aufgrund strengerer Vorschriften und
       Kontrollen um fast 60 Prozent zurückgegangen. In diesem Jahr wurde ein
       neues Gesetz eingeführt: Bei der Einschulung müssen sich die Kinder sowohl
       legal in Russland aufhalten als [3][auch Russisch sprechen]. Die Behörden
       haben spezielle Sprachtests für junge Ausländer:innen entwickelt. Wenn
       ein Kind den Test erfolgreich besteht, wird es in die Schule aufgenommen,
       und wenn nicht, kann der Test in drei Monaten wiederholt werden.
       
       Asmiras Sohn ist bereits 8 Jahre alt, aber sie ist sicher, dass er in
       diesem Jahr nicht eingeschult wird, weil er kaum Russisch spricht. Es ist
       sehr teuer, einen Nachhilfelehrer zu engagieren, und Sprachkurse für Kinder
       von Ausländer:innen sind eine Autostunde von zu Hause entfernt. Und
       auch da wird eine Gebühr verlangt. In ganz St. Petersburg gibt es nur eine
       einzige gemeinnützige Organisation, die sich um die Anpassung und
       Integration von Kindern kümmert, aber sie kann nicht alle aufnehmen.
       
       Nicht-russischsprachige Kinder gemeinsam mit russischsprachigen Kindern zu
       unterrichten, ist eine Herausforderung für Lehrer:innen, Schüler:innen
       und Eltern gleichermaßen. Sie begrüßten das neue Gesetz mit einem
       erleichterten Seufzer.
       
       ## Nachhilfe für ihre Kinder können nur wenige bezahlen
       
       „Meine letzte Klasse bestand zu 80 Prozent aus ausländischen Kindern“, sagt
       Alexandra, eine Grundschullehrerin. Die Hälfte ihrer Schüler:innen
       sprach überhaupt kein Russisch, und zwei von ihnen waren 14 Jahre alt und
       gingen in die erste Klasse, obwohl sie eigentlich in die siebte Klasse
       gehören würden. Weil sie die Sprache nicht beherrschten, konnten sie dort
       einfach nicht aufgenommen werden.
       
       Trotz der Schwierigkeiten erinnert sich Alexandra mit Wärme an ihre Kinder.
       Sie sagt, dass ausländische Kinder viel fleißiger und disziplinierter sind.
       Im vergangenen Jahr hat Alexandra eine neue Klasse übernommen, in der es
       nur ein paar Kinder mit Migrationshintergrund gibt. Zwei von ihnen
       beherrschen immerhin einfache Sätze auf Russisch. Im ersten Schuljahr
       lernten sie sprechen, lesen und zählen. Das war vor allem der Tatsache zu
       verdanken, dass die Lehrerin die Eltern anrief und auf zusätzlichem
       Unterricht bestand. Sie hatte Glück, dass die sich darauf einließen.
       
       Gleichzeitig kann ein Verbot des Unterrichts für Kinder, die kein Russisch
       sprechen, nach Ansicht vieler Experten zu einer Ausgrenzung führen. Denn
       der Schulbesuch ist für sie fast die einzige Möglichkeit der Integration.
       Zudem sind nicht alle Eltern bereit, auf eigene Kosten Russisch zu lernen.
       In Russland wird nicht jedem Kind das Recht auf kostenlose Schulbildung
       garantiert. Nicht mehr, früher war das anders.
       
       [4][Ekaterina Kabanowa] lebt als Journalistin in Russland. 
       
       Aus dem Russischen von [5][Tigran Petrosyan]. 
       
       Durch Spenden an die [6][taz Panter Stiftung] werden unabhängige und
       kritische Journalist:innen vor Ort und im Exil im Rahmen des Projekts
       „Tagebuch Krieg und Frieden“ finanziell unterstützt.
       
       25 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Ekaterina Kabanowa
       
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