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       # taz.de -- Stadtkuratorin startet Großprojekt: Vom All zum Allgemeingut
       
       > Das Hamburger Projekt „From the Cosmos to the Commons“ beschäftigt sich
       > mit Bildern vom Himmel. Im Zentrum steht das komplexe Werk von Aby
       > Warburg.
       
   IMG Bild: In das Planetarium zurück gekehrt: Aby Warburgs „Bildersammlung zur Geschichte von Sternenglaube und Sternkunde“
       
       Was ist das, das da nachts am Himmel funkelt, was bedeutet das? Heerscharen
       von Priestern und Wissenschaftlern, Astrologen und Astronomen haben seit
       Menschengedenken versucht, den Sternenhimmel zu erklären und mit mythischen
       Erzählungen, Kunst und gewaltigen Bauwerken seine Bedeutung für die Erde zu
       bestimmen.
       
       Auch die [1][Hamburger Stadtkuratorin] Joanna Warsza beginnt ihr auf fünf
       Jahre angelegtes Großprojekt mit dem großen Ganzen: „From the Cosmos to the
       Commons – Vom All zum Allgemeingut“ ist ein schöner Titel für die Aufgabe,
       die die Hamburger Kulturbehörde mit der deutschlandweit ziemlich
       einzigartigen Position einer Kuratorin für zeitlich begrenzte
       Kunstinterventionen im öffentlichen Raum finanziert.
       
       Außenskulpturen im Stadtpark, Ausstellungen im Planetarium und im Kunsthaus
       am Klosterwall, dazu ein Symposion im [2][Warburg-Haus] und zahlreiche
       Veranstaltungen sind ein Angebot zum Weiterdenken. Eindrucksvoll
       demonstriert das eine Videoarbeit, schon 1977 von Charles und Ray Eames
       realisiert: Vom Nullpunkt eines Quadratmeters wird das Universum in
       Zehnerpotenzen durchmessen, ins Große gezoomt zu einhundert Millionen
       Lichtjahre entfernten Sternen und in der Gegenrichtung zu kleinsten
       inneratomaren Abständen.
       
       Die Farbe des Kosmos, die Orientierung im All, im Alltag und im Neo-Kosmos
       virtueller Scheinrealitäten, das reale Auffinden der roten Pinnnadel der
       Google-Karten, bis hin zu einem traditionellen Sextanten: All das wird in
       der von Anna Nowak kuratierten Ausstellung „Between Stars and Signals“ im
       [3][Kunsthaus Hamburg] abgehandelt. Vieles ist auch heute noch mysteriös:
       Es sind Satelliten im Orbit, die auf Erden helfen, die nächste Ecke zu
       finden, es sind – wie schon seit jeher – nur wenige verständliche Formeln,
       die das Universum bestimmen sollen.
       
       Das Projekt von Joanna Warsza hat sein Zentrum in der „Bildersammlung zur
       Geschichte von Sternenglaube und Sternkunde“. Sie wurde vom Hamburger
       Kulturwissenschaftler [4][Aby Warburg] 1929 für das Planetarium konzipiert,
       bald eingelagert, und im Folgenden abwechselnd vergessen und
       wiederentdeckt. Jetzt ist sie im eindrucksvoll rohen Kesselsaal des
       Planetariums, einst ein Wasserturm, bis Ende August wieder zugänglich.
       
       Ging es Aby Warburg in seinen Jahrtausende umfassenden Bildtafeln und
       Abgüssen zur Geschichte des Sternenkultes um die Überwindung eines nur
       magischen Himmelsbildes, so ist gerade das Spekulative und Irrationale für
       die aktuelle Kunst ein Anknüpfungspunkt. Formal geht es dann um forschende
       Notate und scheinbar präzise Geometrien, die einen vagen, wolkigen Grund
       überlagern – so wie einst die Verbindungslinien zwischen den Sternen, die
       die Himmelsfiguren erst vorstellbar machen. Und die sind kulturell sehr
       verschieden. So wurde das Sternbild des großen Bären zu verschiedenen
       Zeiten und in verschieden Kulturen auch als Wagen, Wurfschaufel, Pflug,
       Hüfthorn, Kochtopf oder beladenes Boot gedeutet.
       
       Diese Kunst lotet mit teils erklärt antiwissenschaftlichem Impuls neue
       Zugangsweisen der Kosmosorientierung aus: Das indische Raqs Media
       Collective stellt eine Monduhr vor, die Künstlerin Agnieszka Polska baut
       Oktopus- oder Schmetterlingsuhren. Eine mythische Muttergottheit zeigt Hoda
       Tawakol im Kunsthaus und mit ihrer Zelt-Skulptur im Park ruft die
       französisch-ägyptische Künstlerin die altägyptische Himmelsgöttin Nut in
       Erinnerung: Sie ist die Sternenbrücke der Nacht, verschlingt jeden Abend
       die Sonne und gebiert sie morgens wieder neu.
       
       Die fünf persönlichen Sterngottheiten der Roma-Künstlerin Malgorzata
       Mirga-Tas in den Außennischen des Planetariums wiederum sind ein starkes
       Statement mit aufwendig erläuterbaren Bezügen zu den Monatsfiguren in den
       einst rätselhaften Fresken des Renaissance-Palastes „Schifanoia“ in
       Ferrara. Die konnte erstmals Aby Warburg durch eine
       ägyptisch-indisch-arabische Traditionslinie erklären.
       
       Die vier goldenen arabischen Schriftzeichen rechts und links daneben
       verweisen nicht nur auf den starken Einfluss, den orientalische
       Gelehrsamkeit seit dem Mittelalter auf Europas Himmelskunde hatte. Es sind
       heute unlesbare Kalligraphien des Astrologen Ibn Muqla aus Bagdad, schon
       seit dem 10. Jahrhundert verloren und nun vom deutsch-iranischen Künstler
       Timo Nasseri dem errechneten damaligen Sternenstand nachempfunden.
       
       Aber ob das alles so hochgebildet Hergeleitete diejenigen auch erreicht,
       die den Park zum Picknicken oder Hundeausführen, fürs Radfahren und andere
       seltsame Sportarten nutzen?
       
       22 Jul 2025
       
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