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       # taz.de -- Mieterbund-Präsidentin zur Mietenpolitik: „Wohnen ist die soziale Krise unserer Zeit“
       
       > Melanie Weber-Moritz fordert Bußgelder für Verstöße gegen die
       > Mietpreisbremse. Wer die Wohnungsfrage lösen wolle, müsse auf Wien
       > schauen.
       
   IMG Bild: Astronomischer Anstieg trotz Mietpreisbremse: Die Mieten in Großstädten sind in zehn Jahren um rund 50 Prozent gestiegen
       
       taz: Frau Weber-Moritz, Sie sind die erste hauptamtliche weibliche
       Präsidentin des Deutschen Mieterbunds. Leiden Frauen anders unter der
       Wohnungsnot? 
       
       Melanie Weber-Moritz: Frauen haben im Durchschnitt ein geringeres Einkommen
       und von daher weniger Chancen auf eine neue Wohnung. Das betrifft besonders
       Alleinerziehende. Also ja, es gibt schon eine weibliche Seite der
       Wohnungsproblematik.
       
       taz: Und muss man darauf politisch reagieren?
       
       Weber-Moritz: Es sind natürlich alle Mieterinnen und Mieter betroffen, wenn
       es darum geht, ausreichend bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Gleichzeitig
       müssen wir uns um bestimmte Gruppen besonders kümmern: Alleinerziehende,
       Obdachlose, Geflüchtete, Menschen mit geringem Einkommen und Familien mit
       Kindern.
       
       taz: Der Mieterbund möchte das Wohnen als Grundrecht ins Grundgesetz
       aufnehmen. Was würde das konkret verändern? 
       
       Weber-Moritz: Das fordern wir schon seit Langem. Eine Wohnung ist ein
       besonderes Gut, das nicht vergleichbar ist mit einem Auto oder einem
       anderen Gegenstand, den man konsumiert. Jeder Mensch braucht ein Zuhause,
       und das muss besonders geschützt sein. Vor allem in Zeiten, da immer mehr
       Menschen Angst haben, ihre Wohnung zu verlieren.
       
       taz: 30.000 Zwangsräumungen haben im Jahr 2023 stattgefunden. Wenn wir
       Wohnen als Grundrecht begreifen würden, wäre das dann noch möglich? 
       
       Weber-Moritz: Eine Verankerung im Grundgesetz würde nicht zwangsläufig alle
       Probleme auf dem Wohnungsmarkt lösen – das gilt auch für Zwangsräumungen.
       Aber es würde das gesellschaftliche Bewusstsein stärken, dass wir für den
       Schutz der Wohnung mehr tun müssen. Es wird gerne gesagt, dass die
       Wohnungsfrage die soziale Frage unserer Zeit sei. Aber das stimmt so
       nicht, denn Wohnen ist die soziale Krise unserer Zeit. Der Staat muss im
       Sinne der Daseinsvorsorge endlich alle Mittel ergreifen und alle Hebel in
       Bewegung setzen, um sie zu lösen.
       
       taz: Das Grundgesetz schützt explizit das Eigentum. Aber es heißt auch:
       Eigentum verpflichtet. Was heißt das für Sie als Mieterbund-Präsidentin? 
       
       Weber-Moritz: Wenn Menschen eine Wohnung mieten, entsteht eine
       Vertragsbeziehung und gehen Mieter ein Dauerschuldverhältnis ein. Dieses
       ist in gewisser Weise geschützt, weil wir ein soziales Mietrecht haben. Ob
       hier mehr oder weniger für Mieter:innen passieren sollte, wird von uns
       anders beantwortet als von wohnungswirtschaftlichen Verbänden. Das Problem
       ist: Es gibt automatisch ein Ungleichgewicht im Vertragsverhältnis.
       
       taz: Wie meinen Sie das? 
       
       Weber-Moritz: Ein Privatvermieter hat zum Beispiel die Möglichkeit,
       Eigenbedarf anzumelden, sodass Mieter ihre Wohnung verlieren. Hätten wir
       einen entspannten Wohnungsmarkt, wäre das nicht ganz so schlimm. Aber wenn
       Sie heute eine noch bezahlbare Wohnung verlieren, haben Sie in Groß- und
       Mittelstädten wenig Chancen, eine bezahlbare Alternative zu finden. Das
       heißt, wir haben großes Interesse daran, das Vertragsverhältnis so
       mieterfreundlich wie möglich zu gestalten, weil eine Wohnung eben keine
       Ware wie jede andere ist.
       
       taz: Man kann die Wohnungsnot nicht nur über mietrechtliche Regularien
       bekämpfen, oder? 
       
       Weber-Moritz: Definitiv brauchen wir auch mehr bezahlbaren Wohnraum.
       Schätzungsweise 550.000 Wohnungen fehlen bundesweit, insbesondere
       Sozialwohnungen, aber auch bezahlbare Wohnungen für Menschen, die keinen
       Anspruch auf eine Sozialwohnung haben und aufgrund ihres niedrigen
       Einkommens nicht jeden aufgerufenen Mietpreis bezahlen können.
       
       taz: Wir haben in den letzten Jahrzehnten einen drastischen Verlust von
       Sozialwohnungen gehabt, weil diese Wohnungen in unserem System nach einer
       gewissen Zeit immer ihren Status verlieren. Dieses Jahr investiert die
       Bundesregierung 3,5 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau, Tendenz
       steigend. Müssten wir nicht mal zugeben, dass dieses System überhaupt nicht
       funktioniert? 
       
       Weber-Moritz: Wir haben aktuell rund 1,1 Millionen Sozialwohnungen und elf
       Millionen potenziell Anspruchsberechtigte. Das Verhältnis stimmt also
       überhaupt nicht. Wir sind deshalb beim Deutschen Mieterbund schon sehr
       lange der Auffassung, dass wir aus dieser zeitlich befristeten Preisbindung
       herauskommen müssen. Es muss gelten: Einmal Sozialwohnung, immer
       Sozialwohnung. Die Stadt Wien hat beispielsweise mit ihren
       Gemeindewohnungen ein wirklich großes Angebot für sehr viele Menschen
       bereitgestellt und schafft es dadurch, die Mietpreise insgesamt zu dämpfen.
       Das muss auch unser Ziel sein. Wir brauchen langfristig bezahlbaren
       Wohnraum.
       
       taz: Mit der neuen Wohngemeinnützigkeit, die unter der Ampelregierung
       eingeführt wurde, können Unternehmen Steuervorteile bekommen, wenn sie
       dauerhaft preisgünstigen Wohnraum schaffen. Verspricht das Erfolg? 
       
       Weber-Moritz: Es gab in der alten Bundesrepublik sehr lange eine
       Wohngemeinnützigkeit. Damals wurden rund ein Viertel der Neubauwohnungen
       darüber geschaffen, insgesamt 4,8 Millionen. Aber 1990 wurde die
       Wohngemeinnützigkeit wieder abgeschafft, weil man der Auffassung war,
       Deutschland sei „zu Ende gebaut“. In der Folge haben wir jetzt deutlich zu
       wenige kommunale, gemeinnützige oder genossenschaftliche Wohnungen, die
       günstige und faire Preise bieten. Die Wiedereinführung war deshalb gut und
       richtig, aber es fehlt die dafür notwendige Finanzierung, damit sich das
       ganze Segment etablieren kann.
       
       taz: Könnte die Bundesregierung die Mittel, die für den sozialen
       Wohnungsbau gedacht sind, nicht einfach in die Gemeinnützigkeit stecken? 
       
       Weber-Moritz: Wir brauchen beides. Aus dem Haushalt fließt schon zu wenig
       Geld in den sozialen Wohnungsbau. In diesem Jahr sind es 3,5 Milliarden
       Euro. Wir fordern von Bund und Ländern 12,5 Milliarden jährlich sowohl für
       den sozialen Wohnungsbau als auch für den Bau bezahlbarer Wohnungen. Der
       Bedarf ist da, die Städte wachsen – und dies wird zunehmend auch zur
       wirtschaftlichen Frage. Menschen können einen neuen Arbeitsplatz in einer
       Stadt nur antreten, wenn sie dort auch eine Wohnung finden.
       
       taz: Gleichzeitig ist die Wohnfläche in Deutschland sehr ungleich verteilt. 
       
       Weber-Moritz: Wir haben einen Generationenunterschied, der sich immer mehr
       bemerkbar macht. Die ältere Generation hat vielleicht noch
       Eigentumswohnungen oder große, noch günstige Mietwohnungen. Aber sie zieht
       nicht aus, weil jeder Umzug viel teurer und eine Verschlechterung wäre.
       Gleichzeitig suchen viele junge Menschen verzweifelt nach einer passenden
       bezahlbaren Wohnung. Auf den Wohnungsmärkten bewegt sich kaum etwas, wir
       haben quasi einen Stillstand. Es gibt viele Ideen, wie man das verändern
       kann, etwa durch Wohnungstausch – aber in der Praxis funktioniert es leider
       nicht.
       
       taz: Dabei gibt es an manchen Orten auch hohe Leerstände. Welches Potenzial
       bietet der vorhandene Bestand? 
       
       Weber-Moritz: Allein aus Umwelt- und Klimaschutzgründen ist es natürlich
       attraktiver, Bestände zu ertüchtigen, aufzustocken, nachzuverdichten oder
       beispielsweise Bürogebäude zu Wohnungen umzugestalten, statt neu zu bauen.
       
       taz: Eine große Herausforderung der nächsten Jahre ist, den Gebäudebestand
       zu sanieren, um die Klimaziele zu erreichen. Leider ist das mit großen
       Mieterhöhungen verbunden. Warum wird das so wenig thematisiert? 
       
       Weber-Moritz: Mir ist das Thema ein Herzensanliegen. Der überwiegende Teil
       der 21 Millionen Mieterhaushalte lebt in alten Gebäuden, die schlecht
       gedämmt sind und überwiegend fossil beheizt werden. Dort ist der Bedarf der
       Sanierung am größten. Gleichzeitig erhöht sich die Miete nach einer
       Sanierung signifikant – und das betrifft vor allem die
       Einkommensschwächeren.
       
       taz: Nach den derzeitigen Regeln kann sich eine 50-Quadratmeter-Wohnung
       nach einer Modernisierung um bis zu 150 Euro monatlich verteuern. 
       
       Weber-Moritz: Wir machen im Jahr rund eine Million Rechtsberatungen, unter
       anderem zum Thema Modernisierungsmieterhöhung. Unserer Erfahrung nach ist
       die Miete nach einer Modernisierung im Durchschnitt um 20 bis 30 Prozent
       höher. Andererseits: Wird nicht saniert und energetisch ertüchtigt, haben
       Mieter das Problem steigender Energiekosten. Es ist also aus
       klimapolitischer und sozialpolitischer Sicht nötig, die Bestände
       schnellstmöglich zu sanieren. Wir müssen es aber für Mieter kostengünstiger
       regeln.
       
       taz: Tatsächlich sparen Mieter*innen durch eine Sanierung auch
       Energiekosten ein, aber das gleicht nicht die Mieterhöhung aus. Wie geht es
       besser? 
       
       Weber-Moritz: Wir könnten warmmietenneutral sanieren. Das könnte der
       Gesetzgeber beispielsweise regeln, indem er die Modernisierungsumlage auf
       rein energetische Sanierungen beschränkt. Im Moment können 8 Prozent der
       Kosten von Modernisierungsmaßnahmen dauerhaft auf Mietende umgelegt werden,
       zum Teil unabhängig davon, ob sie Energie einsparen – zum Beispiel auch ein
       neuer Fahrstuhl oder Balkon. Zudem muss der Staat Sanierungen stärker
       fördern, damit sich die Investition für Vermieter lohnt.
       
       taz: Wie hoffnungsvoll sind Sie bei der aktuellen Regierung? 
       
       Weber-Moritz: Bei diesem Thema eher skeptisch – ich befürchte, dass es
       hinten herunterfallen könnte.
       
       taz: Wo sehen Sie im Mietrecht außerdem Handlungsbedarf? 
       
       Weber-Moritz: Die einfache Verlängerung der Mietpreisbremse bis 2029 reicht
       nicht. Sie hat viele Ausnahmetatbestände, unter anderem umfassende
       Sanierung und Neubau ab 2014. Die Mietpreisbremse muss verschärft und
       verbessert werden, indem sie ohne Ausnahmen bundesweit und unbefristet gilt
       und bei Nichteinhaltung ein Bußgeld droht. Darüber hinaus müssen möbliertes
       Wohnen, Indexmieten und Kurzzeitvermietung stärker reguliert und
       Wuchermieten geahndet werden. Für Bestandsmieten brauchen wir einen
       bundesweiten Mietenstopp.
       
       taz: Wenn heute ein Vermieter eine Wohnung laut Mietpreisbremse zu teuer
       vermietet, muss er keine Strafe fürchten. Warum ist das so? 
       
       Weber-Moritz: Weil es derzeit nicht anders geregelt ist. Aber es gibt den
       Vorstoß der Bundesjustizministerin, den Verstoß zukünftig mit einem Bußgeld
       zu ahnden. Es soll eine Expertenkommission geben, die sich damit und mit
       dem Thema Mietwucher befasst. Wir müssen die Mietenexplosion auf vielen
       Ebenen besser in den Griff bekommen.
       
       taz: Die Union würde eher sagen: Wir müssen die Eigentumsbildung stärken,
       dann wären Menschen unabhängiger vom Mietmarkt. 
       
       Weber-Moritz: Dieser Wunsch ist an vielen Orten völlig illusorisch.
       Deutschland ist ein Mieterland. In Berlin leben über 80 Prozent der
       Menschen zur Miete. Bei den heutigen Bau- und Immobilienpreisen können sich
       nur sehr wenige Eigentum leisten. Natürlich kann man auch die
       Eigentumsbildung fördern, aber das löst nicht das Problem auf den
       angespannten Wohnungsmärkten.
       
       taz: Der Staat versucht mit dem Wohngeld Menschen bei hohen Mietkosten zu
       unterstützen. Manche kritisieren, das sei ein Preistreiber, zudem lande das
       Geld indirekt in den Taschen von Vermietern und Wohnungskonzernen. 
       
       Weber-Moritz: Das Wohngeld ist ein wichtiges Instrument, um Menschen akut
       zu helfen. Gleichzeitig löst es nicht das Problem im Kern: Wenn die Mieten
       steigen, muss auch der Anteil bei den Wohnkosten entsprechend wieder höher
       angesetzt werden, damit man die Wohnung weiterhin bezahlen kann. Das ist
       keine gute Dynamik. Wir brauchen ein Segment auf dem Wohnungsmarkt, das
       dauerhaft bezahlbar bleibt.
       
       8 Sep 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jasmin Kalarickal
       
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