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       # taz.de -- Im Theatermuseum München: Helden der Hinterbühne
       
       > Das Handwerk lebt! Erst mit Künsten aus vielen Händen kann eine
       > Theaterinszenierung entstehen. Das ist zu erleben im Deutschen
       > Theatermuseum München.
       
   IMG Bild: Eine Maske von Shakespeare wird im Residenz Theater angefertigt
       
       „Die im Dunkeln sieht man nicht“, ließ Bertolt Brecht in der
       „Dreigroschenoper“ seinen Mackie Messer singen. Und was für die
       Klassengesellschaft gilt, stimmt auch fürs Theater. 450 Menschen waren an
       der Entstehung der neuen „Romeo und Julia“-Inszenierung am Münchner
       Residenztheater beteiligt. Davon sind auf der Bühne zu sehen: 12
       Schauspieler*innen, vier Musikerinnen und drei Live-Kameramänner. Für die
       braucht es allerdings schon einen genaueren Blick.
       
       Der Rest denkt und lenkt, baut, schneidert und agiert hinter den Kulissen.
       Ganze 16 Gewerke hat die Ausstellung „making THEATRE“ gezählt, mit der das
       Deutsche Theatermuseum in München beleuchtet, wie ein Theaterereignis
       entsteht.
       
       Dafür war es live bei den Proben zu „Romeo und Julia“ dabei und hat allen
       Beteiligten, wie [1][Resi-Intendant Andreas Beck] bei der Vorbesichtigung
       salopp bemerkte, „nicht nur über die Schulter, sondern in die Unterwäsche
       geschaut“.
       
       ## Das Theater macht sich nackt
       
       Im Mai war Premiere, im Juni wurde die Ausstellung eröffnet. Eine derartige
       „Live-Kuration“ ist ein Wagnis für beide Seiten. Das Kurator*innenteam
       muss mit Stift, Mikro und Kamera Mäuschen spielen, ohne den Prozess allzu
       sehr zu beeinflussen. Und das Theater macht sich nackt, indem es seine
       eigentlich geschützten Probenräume und Werkstätten öffnet.
       
       Chapeau der jungen Regisseurin Elsa-Sophie Jach, die sich dem freiwillig
       ausgesetzt hat. Und das, geht man nach den vielen Videos, die sie beim
       lauten Nachdenken oder in Gesprächen mit anderen zeigen, offenbar auch noch
       stets freundlich und entspannt.
       
       Ohnehin geht es in dieser Ausstellung weniger um die sensible Künstlerseele
       als um das Theater als Organismus. Die Ausstellungsarchitektur von Sigi
       Colpe versinnbildlicht das durch Theaterlatten, die sich zu immer
       komplexeren Gebilden gruppieren, je näher es auf die Premiere zugeht.
       Irgendwann steht da ein verästeltes „Theaterwesen“ im Raum.
       
       Doch schon im Eingangsbereich des Museums geht man durch einen Lattenwald,
       auf dem „Wir sind viele“ steht. Es bleibt nicht der einzige Wink in
       Richtung Politik, die oftmals keinen Schimmer hat, auf welchen Arbeitsmarkt
       ihre Sparvorgaben treffen.
       
       ## Blick hinter die Kulissen
       
       Darüber hinaus richtet sich die Ausstellung an Theatergänger, die gerne mal
       hinter die Kulissen schauen wollen, aber auch an junge Menschen auf
       Orientierungssuche, welcher Job für sie passt. Spezielle Führungen für
       Schüler wenden sich unter dem Titel „Wer macht Theater?“ explizit an alle
       Schulformen.
       
       Denn was man hier sieht, sind nicht nur Leckerbissen für Spezialisten wie
       die „First Folio“ von 1623, eine seltene Erstausgabe von Shakespeares
       Werken, oder eine Timeline mit den technischen Meilensteinen in der
       Geschichte des Residenztheaters von 1986 bis heute, sondern vor allem
       Menschen bei der Arbeit.
       
       So zeigen kurze Videos, wie die Regie mit der Dramaturgie diskutiert, die
       Kostümbildnerin mit den Gewandmeister*innen Stoffe aussucht oder die
       Maskenabteilung mit der Julia-Darstellerin Lea Ruckpaul das Volumen ihrer
       Perücke überprüft und bespricht, wie viel Zeit bei der Aufführung für die
       Kostümwechsel sein wird.
       
       ## Musikprobe, Schlosserei, Schreinerei
       
       Kuratorin Maren Richter interessierte vor allem der „mäandernde
       Suchprozess“ des Ausprobierens und Verwerfens, schön nachzuvollziehen am
       Bühnenbild, das von der Fantasie seiner Erfinderin Marlene Lockemann bis
       zur Fertigung durch diverse Hände geht und durch technische und
       handwerkliche Expertisen modifiziert wird. Es gibt eine Aufnahme von der
       ersten Musikprobe, Momentaufnahmen aus Schlosserei, Schreinerei und der
       Logistik der Transportabteilung und Geruchsproben aus dem Malersaal.
       
       Sehr witzig sind die kolorierten Zeichnungen im Comic-Stil, in denen Lisa
       Frühbeis besondere Momenten festgehalten hat. Von der Schauspielerin, die
       bei der Hitze nicht in ihre Strumpfhose kommt über die choreografische
       Feinjustierung („Pujan, mehr nach rechts!“, „Thomas, kannst du nochmal …“)
       bis zum Bühnenmeister, der vor der Premiere nochmal die Hydraulik
       kontrolliert.
       
       Den komplettesten Einblick aber bietet eine Video-Installation im letzten
       Raum, die auf drei Wänden einen dreistündigen Mitschnitt der Generalprobe
       zeigt. Man sieht allerdings nur die Hinterbühne, wo der Inspizient und die
       Tontechnikerin an ihren Pulten sitzen und Schauspieler*innen auf ihren
       Auftritt warten, und die Seitenbühnen, wo ab und zu mal jemand durchs Bild
       läuft oder ein Signal blinkt.
       
       Und über all dem schwebt das beruhigende Gefühl, dass alle auf ihrem Posten
       sind. Nur die, die vorne im Rampenlicht stehen, sieht man ausnahmsweise
       nicht. Dafür muss man schon die paar Meter rüber ins Residenztheater
       wechseln, wo Jachs „Romeo und Julia“ sicher noch eine ganze Weile gezeigt
       werden wird.
       
       ## Mit Abstand geschaut
       
       In Zeiten knapper Kassen „dem Theater eine Lanze brechen“ wollte Kuratorin
       Richter. Und das ist ihr gelungen. Dass die Historikerin selbst keine
       Theater-Insiderin ist und mit Abstand auf ihren Gegenstand schaut, trägt
       zur Niederschwelligkeit der Ausstellung bei. Für Leute vom Fach mögen
       einige der Erklärtexte und Zitate an der Wand zu basal sein, dafür gibt es
       ein bisschen was zu jedem Bereich, von Infos zur Inklusion im Theater bis
       zur interaktiven Spielerei.
       
       Und auch bestehende Hierarchien leugnet diese museale Transparenzoffensive
       nicht: Schaubilder zeigen, wie es um das Thema Machtmissbrauch bestellt
       ist, dass 28 Prozent der am Theater Beschäftigten unter 2.000 Euro
       verdienen und wer die längsten Arbeitszeiten hat. Spoiler: Frauen – und
       hier vor allem die zahlreichen Assistentinnen.
       
       26 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Neuer-Intendant-Residenztheater-Muenchen/!5638843
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sabine Leucht
       
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