URI: 
       # taz.de -- Politik gegen queere Menschen in den USA: „Ich finde diese Besessenheit wirklich obszön“
       
       > Anwalt Chase Strangio versucht, Trumps Macht durch Unterlassungsklagen
       > einzudämmen. Sein Schwerpunkt: die Rechte von trans Menschen.
       
   IMG Bild: Chase Strangio und seine Kolleg:innen vom ACLU Ende 2024 vor dem Supreme Court
       
       taz: Chase Strangio, sind die USA unter Donald Trump noch ein Rechtsstaat? 
       
       Chase Strangio: Einerseits ist diese Regierung offensichtlich nicht daran
       interessiert, Regeln einzuhalten. Sie setzt sich über verschiedenste Normen
       hinweg, mit dem ideologischen Ziel, die Macht der Milliardär:innen zu
       festigen. Zugleich folgt Trump vielen bestehenden Regeln. Wir haben
       beispielsweise Gesetze, die den Beamt:innen der [1][Abschiebebehörde ICE]
       enorme Befugnisse einräumen. Wenn wir uns für Rechtsstaatlichkeit
       einsetzen, sollten wir uns also bewusst sein, was das bedeutet. Der
       Rechtsstaat hat viele gewaltvolle und diskriminierende Elemente.
       
       taz: Trump bricht das Gesetz und nutzt es zugleich. Was ist sein
       übergeordnetes Ziel? 
       
       Strangio: Ich sehe ihn nicht als eine Art König, der die anderen
       staatlichen Gewalten abschaffen will. Es ist fast noch tückischer: ein
       Theater der Demokratie. Wir sehen, dass unsere Institutionen ausgehöhlt
       werden. Trump kann allein durch Drohungen eine Menge Macht ausüben. Er
       droht Medien mit Strafverfolgung – die kapitulieren. Er entzieht
       Universitäten Gelder – die folgen seinen politischen Vorgaben. Wir bewegen
       uns in die Orbán-Putin-Richtung, wo die Systeme von „Checks and Balances“,
       also Machtkontrolle durch Gewaltenteilung, nicht abgeschafft sind, sondern
       immer mehr im Dienste der Staatschefs funktionieren.
       
       taz: Sie haben mal gesagt, dass Sie als Anwalt „Schadensbegrenzung“
       betreiben, weil Sie glauben, dass sich auf juristischem Weg keine wirkliche
       Gerechtigkeit erlangen lasse. Wie meinen Sie das?
       
       Strangio: Ich bin nicht Rechtsanwalt geworden, weil ich an das bestehende
       Recht glaube, sondern weil ich mich als Teil von Bewegungen für einen
       gesellschaftlichen Wandel sehe. Schauen wir uns das Rechtssystem der USA
       an: ein System, das im Kern angelegt wurde, um die Sklavereiwirtschaft
       aufrechtzuerhalten und weißen Landbesitzer:innen den Reichtum zu sichern.
       Ich glaube nicht, dass wirkliche Freiheit in diesem System möglich ist. Ich
       sehe meine Rolle vor allem darin, so viel Distanz wie möglich zwischen der
       staatlichen Gewalt und den Communities zu schaffen, sodass die Menschen
       Raum haben, um Widerstand zu organisieren und eine wünschenswerte Welt zu
       schaffen.
       
       taz: Ich interpretiere das auch als Aufruf dazu, nicht passiv darauf zu
       hoffen, dass die Justiz alles wieder in Ordnung bringt. 
       
       Strangio: Es ist ein Aufruf, die Erwartungen anzupassen. Gerichte haben in
       einer Demokratie eine wichtige Kontrollfunktion, aber das bedeutet eben
       nicht, dass sie uns retten. In den Jahren nach Donald Trumps erster
       Amtsübernahme gab es unter Liberalen eine deutliche Tendenz, auf die
       Gerichte zu starren, mit der Vorstellung, diese seien die Bastion der
       Demokratie. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen daran heute weniger
       glauben, allerdings oft verbunden mit einem Gefühl der Verzweiflung. Die
       ist angebracht. Aber es braucht auch eine neue Vorstellung davon, wie
       Gerechtigkeit im Großen und Ganzen aussehen könnte. Wenn man in die
       Geschichte schaut, wurden soziale Bewegungen, die sich zu abhängig von der
       Justiz machten, oft stillgelegt.
       
       taz: Trump hat, seitdem er wieder im Amt ist, eine große Zahl von
       Präsidialverfügungen erlassen. Organisationen wie Ihre, die American Civil
       Liberties Union (ACLU), versuchen, mit Unterlassungsklagen vor
       Bezirksgerichten dagegenzuhalten. Mit welchem Erfolg? 
       
       Strangio: Es funktioniert bis zu einem gewissen Grad. Wenn man sich nur die
       Fälle der ACLU gegen die Trump-Regierung ansieht, haben wir in 75 Prozent
       einstweilige Verfügungen von den Bezirksgerichten erreicht. Das setzt sich
       allerdings nicht immer sofort um, insbesondere wenn man es mit einer
       renitenten Regierung zu tun hat. Insgesamt aber haben die einstweiligen
       Verfügungen einen positiven Effekt. Schon als Motivation zur Opposition.
       
       taz: Das Oberste Gericht entschied Ende Juni im Fall [2][„Trump v. CASA“] –
       in dem es um Trumps Abschaffung der automatischen Staatsbürgerschaft per
       Geburt ging – dass Bezirksgerichte derartige Präsidialverfügungen nicht per
       landesweiter Verfügung stoppen können. Was bedeutet das Urteil für den
       Widerstand? 
       
       Strangio: Das Recht auf Staatsbürgerschaft per Geburt ist durch den
       vierzehnten Zusatzartikel der Verfassung gesichert. Insofern ist Trumps
       Verordnung gänzlich verfassungswidrig. Die Regierung weiß das natürlich und
       versucht alle möglichen Tricksereien. Sie behauptet, dass die
       Entscheidungen von Bezirksgerichten nur für diejenigen Leute gelten
       dürften, die geklagt haben, und nicht landesweit für alle Menschen. Dass
       der Supreme Court der Regierung jetzt recht gegeben hat, ist ein Angriff
       auf alle unteren Gerichte und deren Möglichkeiten, die Macht des
       Präsidenten zu kontrollieren.
       
       taz: Wir sind also in einem System gefangen, in dem die Bezirksgerichte nur
       sehr begrenzt eingreifen können und das Oberste Gericht meist auf Trumps
       Seite steht? 
       
       Strangio: Ja, auf gewisse Weise stimmt das. In meiner Rolle als politischer
       Kommentator betone ich, wie zynisch, düster und falsch das alles ist. Wenn
       ich hingegen als Anwalt spreche, weise ich darauf hin, dass uns Wege
       bleiben. Zum Beispiel: Auch wenn der Supreme Court entscheidet, dass
       landesweite Unterlassungsverfügungen durch Bezirksgerichte nicht zulässig
       sind, können wir als ACLU immer noch im Namen eines Mitgliederverbands
       klagen. Das sind dann Hunderttausende Menschen, die Hilfe bekommen. Wir
       können auch für verschiedene Personen oder Gruppen eine Sammelklage
       einreichen. Wir versuchen alles herauszuholen, was unter den begrenzten
       Umständen möglich ist.
       
       taz: Sprechen wir über Ihren Fachbereich, die Rechte von trans Menschen.
       Wie würden Sie deren Situation beschreiben? 
       
       Strangio: Wir erleben einen unfassbaren Backlash gegen Fortschritte für
       LGBT-Personen im Allgemeinen, trans Menschen sind davon besonders
       betroffen. Das drückt sich nicht nur in der Aushöhlung ihres rechtlichen
       Schutzes aus, sondern auch dadurch, dass trans Menschen im Diskurs zum
       Sündenbock gemacht werden – mit einer medialen Fixierung auf unsere
       Körper. Was wir in den USA beobachten, ähnelt dabei sehr stark dem, was
       wir auch in Europa sehen. Rechte Parteien und Regierungen haben sich
       regelrecht in das Thema verbohrt. Es geht darum, Männer und Frauen in ihre
       „richtigen“ Rollen zu zwingen, es geht um Kontrolle über die Bevölkerung.
       Und es sind nicht nur LGBT-Personen, die von diesem Backlash betroffen
       sind, sondern Migrant:innen, People of Color und alle, die irgendwie mit
       Gleichberechtigung und Inklusion zu tun haben. Es herrscht die Haltung vor,
       die Linke sei zu weit gegangen.
       
       taz: Der Autor Andrew Sullivan hat genau dieses Argument gerade in einem
       [3][Essay für die New York Times] vorgebracht. Sullivan, selbst
       homosexuell, ist der Meinung, dass die Schwulen- und Lesbenbewegung
       erfolgreich gewesen sei, weil sie sich auf Bürgerrechte wie die
       gleichgeschlechtliche Ehe konzentriert habe. Die LGBT-Bewegung hingegen
       scheitere an ihrer eigenen Radikalität, so Sullivan, indem sie etwa
       geschlechtsangleichende Behandlungen für Minderjährige fordere. Was
       halten Sie von dieser Argumentation? 
       
       Strangio: Es ist eine ahistorische Erzählung, dass sich politischer Erfolg
       dadurch erzielen lässt, dass man einen Teil einer Community aufgibt. Die
       Idee – entweder aus Unwissenheit oder in böser Absicht – lautet, dass wir
       die Gleichstellung homosexueller Menschen bewahren, wenn wir aufhören
       würden, uns für trans Menschen einzusetzen. Aber das stimmt natürlich
       nicht. Die treibenden Kräfte gegen trans Menschen sind die gleichen, die
       auch „Obergefell“ [so der Name eines Supreme-Court-Urteils von 2015, das
       die gleichgeschlechtliche Ehe landesweit legalisierte, Anm. d. Red.]
       aufheben wollen. Sie wollen also auch Andrew Sullivans Gleichberechtigung
       untergraben. Die Ironie ist ja, dass ich mit meiner Arbeit genauso für
       Sullivans Rechte kämpfe wie für die Rechte von trans Kids.
       
       taz: Wie ist denn die Bewegung gegen trans Menschen historisch gewachsen? 
       
       Strangio: Es handelt sich um eine globale Kampagne, die bereits seit
       Jahrzehnten läuft und Milliarden Dollar verschlungen hat. Vieles läuft nach
       den gleichen Mustern, mit denen homosexuelle Menschen bekämpft wurden.
       Etwa, in dem dafür gesorgt wurde, dass sie nicht an Regierungsposten kamen,
       vom Militärdienst ferngehalten wurden, keine Lehrer:innen werden
       durften, nicht an sportlichen Wettbewerben teilnehmen konnten, weil sie
       dann mit in der Umkleidekabine gesessen hätten. Nichts davon ist also
       wirklich neu. Es dreht sich heute wie damals um den vermeintlichen Schutz
       von Frauen und Kindern. Eine wichtige Rolle spielt hier die christliche
       Rechte, die ganz gezielt LGBT-Menschen dämonisiert. Sie glauben, dass wir
       eine Bedrohung für die Gesellschaft sind.
       
       taz: Wie erklären Sie sich diese Obsession? 
       
       Strangio: In gewisser Weise ist es auch für mich unerklärlich. Ich finde
       diese Besessenheit wirklich obszön. Immer wieder Titelgeschichten.
       Unerbittliche Schlagzeilen. „Fox News“ beispielsweise hat innerhalb von
       vier Monaten rund 400 Beiträge über trans Sportler:innen ausgestrahlt,
       obwohl es davon in den USA nur sehr wenige gibt.
       
       taz: Von den 500.000 Athlet:innen im Hochschulsportverband NCAA sind
       gerade mal 10 trans. 
       
       Strangio: Aber aufgrund des politischen und medialen Klimas glauben die
       Menschen, dass zwanzig Prozent der US-Bevölkerung trans seien. Das hat
       nichts mit der Realität zu tun. Es ist ein Spiel mit den Ängsten der
       Menschen in einer sich verändernden Welt, damit sie am Ende einen „strong
       man“ wählen. Jemanden, der die alte Ordnung wiederherstellt. Trans Menschen
       bringen das binäre Geschlechtersystem ins Wanken. Wenn starre Systeme
       destabilisiert werden, ist das immer eine Bedrohung für die Herrschaft.
       
       taz: Trump erklärte gleich [4][am Tag seiner Amtseinführung], dass die
       Regierung von nun an nur noch zwei Geschlechter anerkennen werde. Wie wird
       das umgesetzt? 
       
       Strangio: Wir haben die Veränderungen sehr schnell auf behördlichen
       Dokumenten gesehen, zum Beispiel auf neu ausgestellten Ausweisen. Das löst
       natürlich Chaos und Ängste aus. Trumps Behauptung, dass es nur zwei
       Geschlechter gebe, verträgt sich weder mit biologischen Erkenntnissen noch
       mit den Gesetzen der zurückliegenden Jahrzehnte. In der Vergangenheit gab
       es zwar auch viele regressive Regeln, aber dass Menschen auf ihrem Ausweis
       das bei der Geburt zugeteilte Geschlecht vermerken müssen, das gab es lange
       nicht. Jetzt sind wir in einer Situation, in der Leute, denen niemand
       ansehen würde, dass sie trans sind, gezwungen sind, Ausweise herumzutragen,
       die offensichtlich nicht stimmig sind. Was wiederum dazu führt, dass ihnen
       Betrug vorgeworfen wird.
       
       taz: Was hat sich für trans Menschen seit Trumps Amtsantritt noch
       verändert? 
       
       Strangio: Zunächst mal ist gleich geblieben, dass trans Menschen in
       republikanisch regierten Bundesstaaten keinen Zugang zu den ihnen
       entsprechenden Toiletten haben und es keine adäquate
       Gesundheitsversorgung für Unter-18-Jährige gibt. Ziel der Regierung ist
       es, diese Maßnahmen auch auf nationaler Ebene zu verankern. Was sich in
       den vergangenen Monaten verschlechtert hat, ist die Situation an den
       Universitäten. Immer mehr Einrichtungen geben der Regierung nach und
       schließen trans Sportler:innen aus. Gerade erst hat die University of
       Pennsylvania einer Athletin, [5][Lia Thomas], sogar ihre gewonnenen Titel
       aberkannt. Ein Kinderkrankenhaus in Los Angeles hat kürzlich sein Zentrum
       für Trans-Gesundheitsversorgung geschlossen. Auch der Ausschluss von trans
       Menschen aus dem Militär hat enorme Auswirkungen. Es gab zuletzt Tausende
       im aktiven Dienst.
       
       taz: Im Dezember haben Sie als erste trans Person in der Geschichte der USA
       einen Fall vor dem Supreme Court vertreten. Bevor wir über den Fall selbst
       sprechen – wie war diese Erfahrung? 
       
       Strangio: Ich bewege mich in meiner Arbeit oft zwischen Räumen der
       Community und Räumen der Justiz, und das ist eine Herausforderung. Ähnlich
       wie bei berufstätigen Eltern, die das Gefühl haben, sowohl zu Hause als
       auch bei der Arbeit zu versagen. Und man muss natürlich immer auch Codes
       und Sprache wechseln. Aber egal wo, ich folge immer einem Fixstern, einem
       übergeordneten Ziel, und das ist der Kampf für meine Community. Das hat mir
       auch vor dem Obersten Gericht geholfen. Ich bin da nicht reingegangen mit
       der Hoffnung, dass der Vorsitzende Richter mich als trans Mensch
       respektiert – ich war einfach auf meine Aufgabe konzentriert. Und ich weiß
       mittlerweile auch, wie wichtig meine Anwesenheit für viele Menschen war.
       Repräsentation alleine ist zwar nicht der Horizont, aber es bedeutet etwas,
       wenn eine trans Person bei solchen Entscheidungen mit im Raum ist.
       
       taz: In dem verhandelten Fall ging es um ein Verbot
       geschlechtsangleichender Behandlungen für Minderjährige im Bundesstaat
       Tennessee. Sie haben argumentiert, dass dieses aus zwei Gründen
       verfassungswidrig sei: einmal, weil es gegen die Geschlechtergleichstellung
       verstoße, und auch, weil es Eltern das Recht nehme, medizinische
       Entscheidungen für ihre Kinder zu treffen. Der Oberste Gerichtshof war
       anderer Meinung. 
       
       Strangio: Das Gericht hat sich nicht einmal mit unserem Argument für
       Elternrechte befasst. Es ging also einzig um den
       Gleichbehandlungsgrundsatz. Wenn du ein trans Mann bist, hast du keinen
       Zugang zu Hormonen. Wenn du ein cis Mann bist, dann kommst du an diese
       Hormone. Das Gericht musste schon sehr viel ignorieren, um hier keine
       Verletzung der Gleichberechtigung zu erkennen.
       
       taz: Was bedeutet das Urteil für den juristischen Kampf für Trans-Rechte? 
       
       Strangio: Es schränkt unsere Klagemöglichkeiten ein, wenn es um die
       Gesundheitsversorgung für junge Menschen geht. In anderen Kontexten können
       wir weiter verfassungsrechtliche Ansprüche machen, einschließlich für die
       Gesundheitsversorgung von trans Erwachsenen.
       
       taz: Manche haben argumentiert, es sei riskant gewesen, diesen Fall vor den
       Obersten Gerichtshof zu bringen. 
       
       Strangio: Keine Klage einzureichen, hieße aufzugeben. Und das ist keine
       Option. Wir können Gesetze wie jenes in Tennessee nicht einfach ohne
       Widerspruch hinnehmen.
       
       taz: Die ACLU kämpft zurzeit an verschiedenen Fronten, um die Repressionen
       der Regierung gegenüber trans Menschen zu verhindern. Wie steht es um die
       anderen Fälle? 
       
       Strangio: Wir klagen in drei Fällen, die speziell Trans-Rechte betreffen.
       In einem geht es um die Regierungsentscheidung, dass trans Menschen einen
       Ausweis mit ihrem Geburtsgeschlecht haben müssen. Das Bezirksgericht hat
       uns recht gegeben, weshalb zumindest theoretisch alle trans Menschen
       vorläufig noch einen Ausweis mit ihrem richtigen Geschlechtseintrag
       erhalten sollten. In einem anderen Rechtsstreit geht es um den Zugang zu
       Gesundheitsversorgung für trans Personen in Gefängnissen. Auch hier haben
       wir über eine Sammelklage von einem Bezirksgericht recht bekommen. In einem
       weiteren Fall haben wir erreicht, dass die Regierung Krankenhäuser nicht
       dazu zwingen darf, trans Menschen unter 19 Jahren von der Versorgung mit
       entsprechenden Medikamenten abzuschneiden. Das allerdings ist eine
       landesweite Verfügung, wir müssen also abwarten, wie es nach dem
       einschneidenden CASA-Urteil des Supreme Court weitergeht.
       
       taz: Wie verhält sich eigentlich die Demokratische Partei zu diesen
       Fragen? 
       
       Strangio: Die Prioritäten dieser Partei wurden zuletzt mal wieder deutlich,
       als das republikanische Haushaltsgesetz im Kongress verhandelt wurde – und
       manche demokratische Abgeordnete derweil nichts Besseres zu tun hatten, als
       [6][Zohran Mamdani], New Yorks neuen linken Bürgermeisterkandidaten,
       anzugreifen. Die Partei landet immer wieder an dem Punkt, bestimmte
       Bevölkerungsgruppen zu verraten. Nach der Wahl 2024 dauerte es nicht lang,
       bis die Erzählung verbreitet wurde, dass der Einsatz für Trans-Rechte ein
       Grund dafür gewesen sei, dass die Wahl verloren wurde. Das ist empirisch
       komplett falsch. Unterm Strich betrachte ich das Ganze überparteilich: Wir
       brauchen eine Massenbewegung, eine Mobilisierung gegen die Politik des
       Establishments.
       
       taz: Weil Sie die Masse ansprechen: Wo steht die US-Bevölkerung beim Thema
       Trans-Rechte? 
       
       Strangio: Wenn man der Bevölkerung eintrichtert, dass eine Gruppe von
       Menschen viel mehr Macht hat als der Rest, dann macht sich das irgendwann
       bemerkbar. Ich bin jüdisch und habe als Heranwachsender viel über die
       Geschichte der Unterdrückung des jüdischen Volkes gelernt. Aus einer linken
       Perspektive. Und trotzdem glaubte sogar ich selbst dem überzeichneten
       Bild, wonach der jüdische Einfluss auf die USA sehr groß sei.
       Verschwörungserzählungen über Minderheiten bringen uns in jedem Fall an
       dunkle Orte. Wir sollten also aufpassen, wenn es beispielsweise heißt, dass
       die American Academy of Pediatrics, die größte US-Vereinigung von
       Kinderärzt:innen, von trans Aktivist:innen kontrolliert werde.
       
       taz: Sie haben mal in einem Interview gesagt, dass Sie durch Ihre
       geschlechtsangleichende Behandlung einen Frieden mit sich und der Welt
       gefunden hätten. Glauben Sie, dass zu viele Menschen die Bedeutung dieser
       Behandlungen schlichtweg nicht verstehen? Oder ist es ihnen egal? 
       
       Strangio: Ich glaube, die meisten Menschen wissen erst mal gar nichts zu
       diesem Thema. Würde man die Gegner:innen fragen, was
       geschlechtsangleichende Behandlungen sind und warum genau sie verboten
       gehörten, könnten die allerwenigsten drei zusammenhänge Sätze von sich
       geben. Das ist ja nicht nur bei diesem Thema so. Leute lesen oft nur
       Schlagzeilen. Wir alle machen das ja manchmal so. Dazu werden sie mit
       Falschinformationen bombardiert, immer häufiger KI-produziert. Wir stehen
       also vor ungeheuren Herausforderungen, gegen dieses Klima anzukommen und
       andere, wahrhaftige Geschichten zu erzählen.
       
       taz: Und wie steht es um die Unterstützung für Trans-Rechte aus der
       Bevölkerung? 
       
       Strangio: Ich finde, dass mehr Solidarität zwischen den Bewegungen nötig
       ist. Aber ich habe zugleich auch Hoffnung. Ich sehe jeden Tag Menschen, die
       unter desaströsen Bedingungen Außergewöhnliches vollbringen. Als es im
       Januar in Los Angeles brannte, taten sich Nachbar:innen zusammen. Das
       gleiche passierte in meiner Nachbarschaft in Queens, als 2020 die Pandemie
       ausbrach. Wenn ich an eine Sache glaube, dann an die Kraft der Menschen,
       füreinander zu sorgen. Und die Geschichte queerer Menschen ist genau diese
       Geschichte. Ich war kürzlich in Provincetown, einer Stadt in Massachusetts,
       die für ihre LGBT-Community bekannt ist. Dort erzählten mir die Leute, dass
       zu Beginn von Covid jeder gewusst habe, was zu tun sei, weil Provincetown
       noch über so viel Erfahrung aus jener Zeit verfügte, in der Menschen an
       Aids starben. So habe die Covid-Impfquote in Provincetown dann auch bei
       fast 100 Prozent gelegen. Was ich sagen will: Wir können auf unsere
       Geschichte des Überlebens und Kümmerns zurückgreifen.
       
       2 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Trump-schickt-Nationalgarde/!6090047
   DIR [2] /Noch-mehr-Macht-fuer-Trump/!6094457
   DIR [3] https://www.nytimes.com/2025/06/26/opinion/gay-lesbian-trans-rights.html
   DIR [4] /Trumps-Dekret-gegen-trans-Personen/!6060005
   DIR [5] /Trans-Verbote-im-US-Sport/!6079411
   DIR [6] /Buergermeisterwahl-in-New-York/!6098697
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lukas Hermsmeier
       
       ## TAGS
       
   DIR wochentaz
   DIR Schwerpunkt LGBTQIA
   DIR Transfeindlichkeit
   DIR Schwerpunkt USA unter Trump
   DIR Lesestück Interview
   DIR GNS
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Joanne K. Rowling
   DIR USA
   DIR Gender
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR trans in den USA: Sie ist ihr eigener Ritter
       
       Schon als Kind wusste sie, dass sie trans ist, sagt Arta Brito. Trumps
       Regierung bestreitet ihre Existenz – und sie kämpft darum, sie selbst zu
       sein.
       
   DIR Geburtstagsgruß an J. K. Rowling: Ausschluss aus der Zaubergemeinschaft
       
       Joanne K. Rowling, Erfinderin der Harry-Potter-Welt, wird 60 Jahre alt.
       Unsere Autorin wünscht der Anti-Transaktivistin einen Sinneswandel.
       
   DIR Oberstes Gericht der USA: Verbot zur Behandlung von Trans-Jugendlichen bestätigt
       
       Konservative Richter überstimmen liberale Minderheit. Verbote wie das jetzt
       bestätigte in Tennessee gibt es in über der Hälfte aller US-Bundesstaaten.
       
   DIR Trans-Verbote im US-Sport: „Wir fühlen uns alle attackiert“
       
       Eine trans Athletin an einer Highschool in Maine sorgt für Aufregung. Trump
       kämpft gegen „Männer im Frauensport“. Gouverneurin Mills hält dagegen.