# taz.de -- Propaganda der Hamas: Die Grausamkeit der Geiselvideos
> Hamas und PIJ veröffentlichten zwei neue Videos der israelischen Geiseln.
> Es ist Teil ihrer psychologischen Kriegsführung. Und die Strategie geht
> auf.
IMG Bild: Demonstrierende in Tel Aviv fordern nach den neusten Videos erneut die sofortige Freilassung aller Geiseln
Vor der Kamera steht ein ausgemergelter, gebrochener Mann, der weinend um
sein Leben bettelt: Er sei „kurz vor dem Tod“, sagt Rom Braslavski auf
Hebräisch, übersetzt mit arabischen Untertiteln. „Seit zwei Jahren leide
ich.“ Seine Hände und Füße würden tagsüber gefesselt, er könne nicht mehr
essen oder trinken, sondern müsse über seine Sonde ernährt werden, sagt die
blasse, knochige Gestalt.
Das sechsminütige Propagandavideo, mit melancholischer Klaviermusik
unterlegt, wurde am Donnerstag veröffentlicht von der Terrorgruppe
Palästinensischer Islamischer Dschihad (englisch kurz PIJ), einer kleineren
islamistischen Miliz, die ebenfalls an dem von der Hamas geführten Angriff
auf Israel am 7. Oktober beteiligt war und Menschen nach Gaza verschleppte.
Zu Beginn des Videos steht, es sei aufgenommen worden, bevor der PIJ den
Kontakt zu der Zelle, die Braslavski gefangen halten soll, verloren habe.
Verifizieren lässt sich das nicht.
Solche Videos sind Teil der psychologischen Kriegsführung von Hamas und Co.
Sie verstoßen auch gegen das Völkerrecht. Human Rights Watch hat vorherige
Geiselvideos beider Terrororganisationen [1][als Kriegsverbrechen
bezeichnet]. Schon im November 2023 rief die Menschenrechtsorganisation die
Hamas und den PIJ dazu auf, „noch inhaftierten Personen [zu] ermöglichen,
über private Kanäle mit ihren Familien zu kommunizieren und Besuche von
einer unparteiischen humanitären Organisation zu empfangen“. Passiert ist
das bis heute nicht.
Vor 668 Tagen wurde Rom Braslavski vom Nova-Festival entführt, wo er im
Sicherheitsdienst arbeitete, als palästinensische Terroristen die
Psytranceveranstaltung [2][in ein Blutbad verwandelten]. Überlebende
berichten, wie Braslavski viele Festivalbesucher rettete. Erst am
Nachmittag, Stunden nach Beginn des Massakers in den frühen Morgenstunden,
wurde er von PIJ-Kämpfern nach Gaza verschleppt. Braslavski, der auch
deutscher Staatsbürger ist, ist inzwischen 21 Jahre alt, er verbrachte
seine letzten zwei Geburtstage in Geiselhaft.
Am Freitag veröffentlichte die Hamas, die Gaza kontrolliert, ein weiteres
Geiselvideo. Evyatar David, ebenfalls am 7. Oktober vom Nova-Festival
entführt, sieht darin aus wie kaum mehr als ein Skelett. Im Video muss er
sein eigenes Grab schaufeln. Er zeigt auf eine Art selbst gebastelten
Kalender an der Wand des Tunnels, in dem er gefangen gehalten wird, worauf
er seine knappe Ernährung – lediglich Linsen und Bohnen – dokumentiert. An
einigen Tagen bekomme er nichts zu essen. Dem israelischen Premierminister
Benjamin Netanjahu sagt er: „Ich fühle mich im Stich gelassen.“
## Stärke und Terror
Davids Familie vergleicht das Propagandavideo der Hamas mit Aufnahmen der
Schoah. Es ist eine Assoziation, die die Terrororganisation bewusst wecken
will, nur zu ihren eigenen zynischen Zwecken. Auf Telegram kursiert eine
Bildmontage der Hamas mit der Überschrift „Holocaust 2025“: Braslavski und
David sitzen neben ausgehungerten palästinensischen Kindern und Häftlingen
der Lager der Nationalsozialisten. Im Hintergrund steht ein Konterfei von
Netanjahu mit Hitlerbart.
Die schwer auszuhaltenden Aufnahmen der ausgehungerten Geiseln haben vor
allem zwei Funktionen: Israelis zu terrorisieren und der arabischen Welt
Stärke zu zeigen. Nicht zufällig erschien das Video des PIJ von Braslavski
– anders als [3][zahlreiche vorherige Geiselvideos] – nur in hebräischer
und arabischer Sprache.
Dabei sind diese Bilder eine bewusst provozierte Inszenierung: Hunger
trifft die palästinensische Zivilbevölkerung hart, nicht aber die
allermeisten Kämpfer der Terrororganisationen, die sich in Tunneln
verschanzen, wo sie die Geiseln gefangen halten.
Die Propagandavideos sollen zudem Druck erzeugen, um einen Waffenstillstand
möglichst im Sinne der beiden Terrororganisationen zu erlangen, die ihre
Waffen nicht niederlegen wollen – egal, welchen Preis palästinensische
Zivilisten in Gaza dafür zahlen. Denn die Hamas weiß nur zu gut, dass mit
diesen Videos der Druck nicht auf sie wachsen wird, die restlichen Geiseln
freizulassen, sondern alleine auf den jüdischen Staat, seinen brutalen
Krieg in Gaza zu beenden.
50 israelische Geiseln befinden sich bis heute in Gaza, nur etwa 20 von
ihnen sollen noch am Leben sein. Die Propagandavideos von Rom Braslavski
und Evyatar David sind eine weitere traurige Erinnerung daran, dass sie
fast zwei Jahre lang im Stich gelassen wurden: von der Netanjahu-Regierung,
die die rein militärisch fast unmöglich erscheinende Zerschlagung der Hamas
priorisiert hat; von der internationalen Gemeinschaft, die sich zu Recht
über [4][Fotos des Hungerns und der Zerstörung] in Gaza bestürzt zeigt,
aber die Geiseln allzu gern vergisst, weil sie mit dem Feinbild Israel, das
alleiniges Übel in diesem Krieg sei, kollidiert; und von Deutschland, einem
Land [5][mit immer noch sieben Staatsbürgern] in Geiselhaft in Gaza, deren
Schicksale hierzulande kaum für Aufmerksamkeit sorgen.
Das muss sich ändern. Und zwar achshaw, wie israelische Demonstrierende bei
ihren Protesten jeden Schabbat auf dem Geiselplatz in Tel Aviv skandieren –
jetzt.
4 Aug 2025
## LINKS
DIR [1] https://www.hrw.org/news/2023/11/10/gaza-hostage-videos-outrage-personal-dignity
DIR [2] /Ein-Jahr-nach-dem-7-Oktober/!6038224
DIR [3] /Medienstrategie-der-Hamas/!6032254
DIR [4] /Krieg-und-Fotos/!6101615
DIR [5] https://www.timesofisrael.com/liveblog_entry/visiting-german-fm-meets-families-of-7-german-israeli-hostages-held-by-hamas/
## AUTOREN
DIR Nicholas Potter
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