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       # taz.de -- Bangladesch: Ein schwieriger Neuanfang
       
       > In Bangladesch hoffen die Menschen ein Jahr nach dem Sturz der Regierung
       > von Sheikh Hasina weiter auf den versprochenen und überfälligen Wandel.
       
   IMG Bild: Dhaka am 5. August vor einem Jahr: Demonstrierende feiern unter einem beschmierten Portrait von Sheikh Hasina deren Sturz
       
       Mumbai taz | Die übergroßen Wandbilder sind verschwunden. Kurz nach dem
       Sturz von Sheikh Hasina Wajed am 5. August 2024 wurden die Porträts von
       Bangladeschs Langzeitpremierministerin und ihres Vaters Sheikh Mujibur
       Rahman übermalt. Vor einem halben Jahr brannte deren Familiensitz in Dhaka,
       angezündet aus Wut. Doch die politische Neuausrichtung des Landes bleibt
       fragil. Die anfängliche Euphorie ist längst Ernüchterung gewichen.
       
       Trotzdem wird jetzt der Jahrestag gefeiert. Ein Programm zur demokratischen
       Erneuerung ist angekündigt, und [1][der 5. August wurde zum Feiertag
       erklärt]. Er erinnert an die wochenlangen landesweiten Proteste gegen das
       autoritäre Regime, bei denen etwa 1.400 Menschen starben. Konzerte, Filme
       und Gedenkfeiern prägen den Tag. Doch gibt es Warnungen, Anhänger des alten
       Regimes könnten provozieren.
       
       „Anfangs waren die Menschen überwältigt vor Freude, dass die autokratische
       Regierung gestürzt worden war“, sagt die renommierte Ökonomin Fahmida
       Khatun der taz. „Aber im Laufe dieses Jahres haben sich die Erwartungen und
       Gefühle gewandelt.“ Bangladesch steht an einem Scheideweg, auch wenn schon
       am 8. August 2024 eine Übergangsregierung eingesetzt wurde.
       
       Die Bevölkerung hoffte auf mehr als einen Personalwechsel: „Das vorherige
       Regime hat das Land in einen Zustand geführt, in dem die
       Rechtsstaatlichkeit praktisch zusammengebrochen war“, sagt Khatun.
       
       ## Nur eine kleine Elite hatte von Hasinas Politik profitiert
       
       Die viel gepriesene wirtschaftliche Entwicklung entpuppte sich als
       Illusion. „Der Großteil des wirtschaftlichen Fortschritts kam nur einer
       kleinen Elite zugute – Personen mit politischen Verbindungen oder Macht,“
       so Khatun.
       
       Trotz des Wirtschaftswachstums wuchs die soziale Ungleichheit. Die
       Hoffnungen richteten sich auf die Übergangsregierung unter
       Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus, dem Papst der Mikrokredite.
       
       Mehrere Reformkommissionen wurden eingesetzt. „Abgesehen vom Finanzsektor
       haben wir aber kaum konkrete Ergebnisse“, sagt Khatun. Ein Erfolg ist die
       Ausarbeitung des Bankenabwicklungsgesetzes. Es soll den angeschlagenen
       Finanzsektor stabilisieren, in dem politisch vernetzte Kreditnehmer
       jahrelang Milliardenverluste verursachten.
       
       „Problematische Banken sollen zusammengelegt und die Kapitalflucht gestoppt
       werden. Einige Konten von Bangladeschern wurden bereits in Großbritannien
       eingefroren“, so Khatun. Unter Hasina hatten korrupte Eliten Geld nach
       Dubai, Singapur oder in die USA abgezweigt.
       
       „Es gab 16 Jahre der Plünderung“, die nicht allein durch eine
       Übergangsregierung behoben werden können. Dies werde Jahrzehnte dauern,
       doch dränge die Zeit. Khatun fordert schnelle Neuwahlen.
       
       ## US-Zölle bringen neues Leid
       
       Während die Übergangsregierung nur begrenzte Befugnisse hat, stagniert
       jetzt die Wirtschaft. Das stark vom Textilexport abhängige Land [2][leidet
       nun unter den neuen US-Zöllen]. Zugleich bereitet es sich auf den Austritt
       aus der Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder vor. Die EU gewährt
       noch bis 2029 vergünstigten Marktzugang im Rahmen des „Everything but
       Arms“-Abkommens.
       
       Khatun sieht die wirtschaftliche Erholung eng mit politischer Stabilität
       verbunden. „Wahlen sind notwendig“, sagt sie, damit das Land eine klare
       Richtung einschlagen könne. Doch sie warnt: „Wahlen allein garantieren
       keinen Wandel. In der Vergangenheit wechselte die Macht, aber die
       schlechten Praktiken blieben.“
       
       Die Institutionen – von der Wahlkommission bis zur Justiz – müssten
       gestärkt werden, um langfristige Veränderungen zu ermöglichen. Andernfalls
       drohe ein Rückfall.
       
       ## Strukturen müssen sich ändern
       
       Historisch wechselten sich in Bangladesch zwei Familienclans an der Macht
       ab: die Awami Liga unter Hasinas Familie und die BNP unter der Familie
       ihrer Rivalin Khaleda Zia. „Wenn sich diese Strukturen nicht ändern, bringt
       ein Regierungswechsel wenig.“
       
       [3][Alle Aktivitäten der Awami Liga wurden inzwischen verboten] und
       Haftbefehl gegen Hasina erlassen. Sie lebt jedoch unangetastet in Indien im
       Exil. Politische Alternativen bleiben rar.
       
       Auch die Menschenrechtsverletzungen dauern an. „Darunter außergerichtliche
       Verhaftungen und Massenanklagen ohne belastbare Beweise sowie mangelnder
       Schutz von Journalist:innen“, sagt Jasmin Lorch vom Bonner Thinktank IDOS
       der taz.
       
       Sie warnt auch vor geopolitischen Verschiebungen, die Bangladeschs
       Demokratisierung erschweren könnten. Zwar setze die Übergangsregierung auf
       außenpolitische Balance zwischen Indien und China, doch die derzeit
       „engeren Beziehungen zu China könnten den Einfluss eines autoritären
       Modells stärken“.
       
       [4][Doch auch Indien, traditionell enger Partner und Hasinas Exilland],
       habe demokratische Standards nicht gefördert. Hoffnung setzt Lorch in die
       EU: „Eine Vertiefung der Beziehungen könnte helfen, sofern Brüssel es sich
       zum Ziel macht, demokratische Reformen in Bangladesch zu unterstützen.“
       
       ## Dringend demokratische Legitimation benötigt
       
       Sie weist auf ein strukturelles Problem hin: „Die Übergangsregierung ist
       nicht gewählt, ebenso wenig die Reformkommissionen. Deshalb müssen ihre
       Reformen später noch von einem gewählten Parlament oder Verfassungskonvent
       verabschiedet werden.“ Zwar fordere die oppositionelle BNP Wahlen, [5][doch
       auch diese Partei habe in der Vergangenheit oft autoritär regiert].
       
       Die Sorge bleibt, dass lediglich ein neuer Machtzirkel entstehen könnte –
       mit denselben Mustern aus Korruption und Klientelpolitik. Während Hasinas
       Regierungszeit kam es zu weitverbreiteten Menschenrechtsverletzungen,
       darunter Massenverhaftungen und außergerichtlichen Tötungen politischer
       Gegner.
       
       Unter Druck kündigte Übergangschef Yunus inzwischen Wahlen für Februar bis
       April 2026 an. Der inzwischen 85-Jährige erklärte, selbst nicht zu
       kandidieren. Es könnten die ersten freien und fairen Wahlen seit zwei
       Jahrzehnten sein.
       
       ## Selbstzensur der Medien
       
       Zunächst weckte die Neugründung der Bürgerpartei Nagorik Dal (NCP)
       Hoffnung. Sie wurde von Studierenden ins Leben gerufen, die die Proteste im
       Juli 2024 angeführt hatten. Doch breite Unterstützung blieb aus.
       
       „Viele sehen die NCP inzwischen als verlängerten Arm der
       Übergangsregierung“, sagt Khatun. Korruptionsvorwürfe und fehlende
       überzeugende Konzepte schadeten ihrer Glaubwürdigkeit.
       
       Auch die Pressefreiheit bleibt prekär: „Nach wie vor besteht Selbstzensur
       aus Angst vor Mobgewalt“, sagt der Journalist Zia Choudhary der taz.
       Besonders bei sensiblen Themen wie Religion sei Berichterstattung
       eingeschränkt.
       
       Zwar gebe es keinen Druck mehr durch die Regierung wie früher, aber: „Das
       Gefühl der Bedrohung bleibt.“ Die Übergangsregierung konnte die Lage bisher
       kaum entschärfen.
       
       Als positive Entwicklung bleibt der weibliche Widerstand vor einem Jahr.
       Frauen führten Märsche an, konfrontierten Polizei und Militär. Ihr Mut
       prägte das Bild der Revolution, sagt Umama Fatema von der Bewegung Students
       Against Discrimination. [6][Doch heute fühlten sich viele marginalisiert].
       Sie kämpfen weiter dafür, sichtbar und beteiligt zu bleiben.
       
       5 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.tbsnews.net/bangladesh/govt-declares-public-holiday-5-august-mark-july-mass-uprising-day-1179371
   DIR [2] /Textilindustrie-in-Bangladesch/!6104133
   DIR [3] https://thediplomat.com/2025/05/is-bangladeshs-awami-league-ban-a-step-toward-justice-or-a-democratic-backslide/
   DIR [4] /Regierung-in-Bangladesch/!6049061
   DIR [5] /Machtwechsel-in-Bangladesch/!6028502
   DIR [6] https://www.pressenza.com/2025/07/women-in-humanitarian-movements-the-july-mass-uprising-and-their-current-standing/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Natalie Mayroth
       
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