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       # taz.de -- Backgammon-WM: Wie ich zum Glück mein Finale verloren habe
       
       > Unser Autor will bei diesem Wetter weder kicken noch joggen. Aber zum
       > Tavla aka Backgammon reicht es noch. Fast jedenfalls.
       
   IMG Bild: Einer guckt immer zu: Backgammon-Spiel – und rechts sitzt der frühere Boxweltmeister Artur Grigorian aus Usbekistan
       
       Es ist ein beschissener Sommer in Berlin: wolkig, regnerisch und
       unberechenbar. [1][Joggen] oder Basketballspielen ist nur schwer möglich.
       Was bleibt Menschen, die ohne Sport nicht leben können? Langweilige
       Trainingsspiele schauen, spekulative Transfernews verfolgen – oder besser
       noch: sich auf Nicht-Sport einlassen. Jeden Sommer in Kreuzberg kommen
       großartige Menschen zusammen, um einen Nicht-Sport zu spielen: [2][Tavla],
       auch bekannt als Backgammon. Das Turnier heißt Kreuzberger
       Weltmeisterschaft.
       
       Tavla ist ein türkischer Nationalsport, es nicht zu beherrschen bringt
       soziale Minuspunkte. Klar spielt Glück eine Rolle, vielleicht schlägst du
       mit ein paar guten Würfen ab und zu mal einen starken Gegner. Aber ein
       ganzes Turnier gewinnst du so nicht. Um ein Turnier zu gewinnen, brauchst
       du eine Mischung aus Glück, Ausdauer und Nerven.
       
       Ausdauer, weil ein einziger falscher Zug dein Ende bedeuten kann. Nerven
       brauchst du wegen der „Yancı“, das sind Leute, die du vielleicht kennst
       oder auch nicht, die sich um dich versammeln, dich beobachten und nur
       darauf warten, dass du einen Fehler machst, den sie dann kommentieren
       können.
       
       In der Türkei war ich nie ein besonders begabter Tavla-Spieler. Aber es
       gibt Dinge, die man im Ausland irgendwie besser weiß, weil es andere von
       dir [3][als Türke erwarten]. Zum Beispiel zu wissen, wo man den besten
       Döner isst. Ich spiele Tavla nur sporadisch und aus Spaß mit denselben zwei
       Leuten am Späti, ganz ohne Konkurrenzdenken.
       
       Und trotzdem bleiben Passant:innen stehen, geben Tipps und fühlen sich
       genötigt, einen Blick zu riskieren, nur um durch ihre Präsenz anzudeuten:
       Ich kenne mich mit dem Spiel aus. Auch wenn Schachspieler es belächeln, ist
       Tavla der König der „Sitz-auf-deinem-Hintern-und-spiel“-Spiele, wenn es
       darum geht, eine Menschenmenge anzuziehen. Das Würfeln, die Kommentare zum
       Würfelergebnis, das Platzieren der Backgammon-Steine auf dem Brett – es ist
       wie ein Tanz.
       
       Ich begann zu trainieren, denn ich wusste, dass ich mich nicht nur gegen
       die türkischen Profis wappnen musste, die mit ihrem Muskelgedächtnis und
       ihrer Gelassenheit mit geschlossenen Augen in ihrem Element sind, sondern
       auch gegen die kalkulierenden Europäer, die nie zucken und nie patzen. Eine
       Woche lang spielte ich mit jedem, den ich im Späti traf, Tavla zur
       Vorbereitung: mit Dieben oder Kartoffelverkäufern.
       
       Ich war bereit – zumindest redete ich mir das ein. Nach den Reden und der
       Auslosung haben die Spiele begonnen. In [4][Hemingways] „The Sun Also
       Rises“ fragt ein Mann einen anderen, wie er bankrottging. Die Antwort ist
       dieselbe wie für mein verlorenes Selbstvertrauen beim Turnier: „Allmählich,
       und dann plötzlich.“ Von drei Spielen in der Gruppenphase verlor ich zwei.
       Zweifelnd klebte ich mit der Nase an der Tabelle, rechnete herum und
       versuchte, mich irgendwie in die Runde der besten Drittplatzierten zu
       manövrieren. Gerade als ich schon fast abgeschrieben war, kam das Glück.
       
       Plötzlich stand ich im Finale und schaute mir an, wie meine potenziellen
       Gegner im Halbfinale spielten. Mir war klar, dass beide besser waren als
       ich. Draußen wurde der Regen immer stärker. Für das Finale verlagerte sich
       die Runde nach drinnen. Die Tische wurden im Hinterzimmer des Restaurants
       in der Mitte aufgestellt. Die Zuschauer:innen standen wie bei einem
       Boxkampf ringsherum. Hätte ich gewonnen, wäre es zu schön gewesen. Und
       nicht passend für diese Kolumne. Ich habe verloren, aber es war der beste
       Nicht-Sport-Moment dieses Jahres.
       
       5 Aug 2025
       
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