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       # taz.de -- Grünen-Chef Banaszak auf Sommertour: Ostdeutscher ehrenhalber
       
       > Felix Banaszak trifft in Ostdeutschland auf Chemiearbeiter, linke Zentren
       > und Montagsdemos. Hilft seine Reise den Grünen auf dem Weg aus der Krise?
       
   IMG Bild: Kommt mit den Menschen ins Gespräch: der Grünen-Vorsitzende Felix Banaszak
       
       Freiberg/Döbeln taz | Von draußen nähert sich Lärm. Trillerpfeifen, Musik
       und Rufe. Felix Banaszak redet erst über den Krach hinweg, aber als die
       kleine Demo direkt unter dem offenen Fenster vorbeizieht, hält er doch
       verdutzt inne. „Es ist Montag“, klärt ihn schließlich eine Frau aus dem
       Publikum auf. [1][Die rechtsextremen sogenannten Montagsspaziergänge], in
       der Coronazeit entstanden, haben sich in etlichen Städten gehalten. So auch
       in Freiberg, einer 40.000-Einwohner-Stadt zwischen Chemnitz und Dresden.
       
       „Ah, das gibt es hier auch noch“, sagt der Grünen-Chef. Dann schwillt der
       Lärm auch schon wieder ab, jemand schließt das Fenster, und weiter geht es
       im Vortrag. Rund 60 Gäste sind an diesem Montagnachmittag ins Obergeschoss
       des Café Momo gekommen, ein Drittel davon Grünen-Mitglieder, der Rest
       ebenfalls wohlwollend. Gerade arbeitet sich Banaszak an Friedrich Merz und
       dessen wackligen Mehrheiten ab. Es gibt Applaus, als der 35-Jährige
       ankündigt, dass der Kanzler nicht ewig auf Stimmen aus der Opposition
       zählen kann: „Irgendwann ist Schluss mit betreutem Regieren!“
       
       Knapp zwei Wochen lang ist der Grünen-Vorsitzende auf Sommerreise. Die
       meisten Termine absolviert er in dem Teil des Landes, der – Zitat Banaszak
       – „wahrscheinlich falsch, vereinfachend und zusammenfassend Osten genannt
       wird“. [2][Dort steckt seine Partei tief in der Krise]. In Brandenburg und
       Thüringen flogen die Grünen letztes Jahr aus den Landtagen, in
       Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt droht ihnen nächstes Jahr
       ebenfalls das Aus.
       
       Mitte Juli haben zwei Kommunalpolitiker aus Gotha einen Brandbrief an die
       Parteispitze verfasst. Sie berichteten von Drohungen und Angriffen und
       schrieben: „Dieser Brief an euch ist ein verzweifelter Hilfeschrei, denn:
       Wir wissen nicht mehr weiter.“
       
       ## Gesittete Chemiearbeiter
       
       [3][Banaszak, seit letztem Herbst zusammen mit Franziska Brantner im Amt,]
       hätte auch ohne all das genug zu tun. Die Grünen sind sich uneinig darüber,
       wer sie nach dem Ende der Ära Habeck/Baerbock sein wollen. Impulse geben,
       eigene Positionen durchsetzen, den Laden trotzdem zusammenhalten: Der
       Parteichef muss liefern.
       
       Trotzdem – oder vielleicht genau deswegen – hat sich der Duisburger auch
       noch den Osten zur Aufgabe gemacht. Gerade erst hat er die grünen
       Bundestagsabgeordneten zu einer „Präsenzoffensive“ in Ostdeutschland
       aufgefordert. Er selbst will im Herbst ein Wahlkreisbüro in Brandenburg
       eröffnen, und schon jetzt ist er eben auf Erkundungsreise. „Wo die Luft
       brennt – unterwegs in einem Land, das reden muss“, lautet das Motto, unter
       dem die Partei die Tour angekündigt hatte. Im Zentrum stehe „der Austausch
       auf Augenhöhe – gerade mit Menschen, die skeptisch sind“.
       
       Ganz so ist es doch nicht gekommen. Es sind zwar ein paar Termine dabei,
       bei denen die Differenzen offenkundig sind. Bei der öffentlichen
       Veranstaltung im Freiberger Café berichtet Banaszak etwa von einem Gespräch
       mit Betriebsräten des Chemieparks Leuna, zu dem die Presse nicht zugelassen
       war. „Ich kann euch sagen, keiner von denen wird in den letzten Jahren die
       Grünen gewählt haben“, erzählt der Parteichef.
       
       Er habe sich mit den Chemiearbeitern aber respektvoll über russisches
       Erdgas und den Handel mit CO₂-Zertifikaten unterhalten können. Zum Abschied
       hätten sie immerhin auf die Tische geklopft. Und wer weiß: Vielleicht
       erzähle beim nächsten Stammtisch ja einer von ihnen, dass die Grünen gar
       keine Faschisten sind, sondern ganz normale Leute, mit denen man reden
       kann.
       
       ## Kleinstadt-Skater ohne Halle
       
       Der heimliche Schwerpunkt der Reise ist aber ein anderer: Besuche bei
       Akteuren, die für die Grünen Partner vor Ort sein könnten – und die
       Zuspruch dringend brauchen. Banaszak war beim CSD in Neubrandenburg, beim
       Anti-rechts-Festival in Jamel, bei der Ukrainehilfe in Altenburg.
       
       Am Mittwochmittag, vor der Veranstaltung in Freiberg, besucht er [4][im
       nahegelegenen Döbeln] das soziokulturelle Zentrum „Treibhaus“. Gegründet
       wurde es in den Neunzigern von jungen Punks, die nach einem Ort für
       Konzerte und Antifa-Arbeit suchten. Punk-Konzerte finden im Treibhaus immer
       noch stand, die Wände sind aber sorgfältig weiß gestrichen. Das Zentrum
       bietet heute auch Sprachkurse, Seniorinnengymnastik und Elternabende zu
       Medienkompetenz an. Sie wollen in die Stadtgesellschaft hineinwirken,
       erzählen die Macher*innen dem Grünen-Chef, pflegen dafür auch gute
       Kontakte mit den Landfrauen und der Freiwilligen Feuerwehr.
       
       Dennoch haben in Döbeln bei der Bundestagswahl 45 Prozent die AfD gewählt
       und auch das Treibhaus steht vor Problemen. Die Bedrohungen durch
       Rechtsextreme, das jährliche Zittern um Fördergelder. Eine Skatehalle,
       unter Trägerschaft des Treibhauses betrieben, wurde vor zwei Jahren
       geschlossen. Sie sollte einem Parkplatz für das neue Jobcenter weichen. Den
       Parkplatz gibt es zwar bis heute nicht, eine neue Skatehalle aber auch
       nicht. „Wir haben dadurch einen wichtigen Ort für junge Leute in der Stadt
       verloren“, sagt der Geschäftsführer des Zentrums.
       
       Banaszak nickt während des Gesprächs oft, einmal seufzt er auch. Man solle
       ihm bitte nicht nur auf die Schultern klopfen, hat er zu Beginn des Termins
       gesagt, sondern ganz offen mit ihm sprechen. „Ihr könnt ja auch nichts
       dafür“, sagt jetzt aber ein Mitarbeiter des Treibhauses. Im Bund und in
       Sachsen sind die Grünen nicht mehr in der Regierung, in Döbeln nur mit
       einem Mann im Stadtrat: Viel wird Banaszak für das Zentrum erst mal nicht
       tun können.
       
       ## Großvater in Gefangenschaft
       
       Später am Tag, im Café in Freiberg, kann er aber zumindest berichten, was
       er auf seiner Reise gelernt hat: dass es Treffpunkte und Vereine brauche.
       „Wo ein Raum wegbricht und ein Vakuum entsteht, wird es von Anderen
       gefüllt“. Dass man in Mecklenburg-Vorpommern nicht so viel abstrakt über
       den Klimaschutz sprechen sollte. „Sondern vielleicht etwas mehr über die
       Schönheit der Ostsee“. Und dass es Orte gibt, an denen nicht entscheidend
       ist, ob das Deutschlandticket 49 oder 58 Euro Ticket kostet. „Weil: Wie oft
       kommt hier eigentlich noch ein Bus?“ Alles keine brandneuen Gedanken,
       trotzdem ist es jetzt das Publikum, das eifrig nickt.
       
       Zweimal brennt die Luft im Raum dann aber doch noch, ein bisschen. Erst
       beschwert sich ein Mann über die minutenlangen Ausführungen des Parteichefs
       und die wenige Zeit für Fragen. „Wie viel du hier sprichst und wie viel wir
       sagen können, ist mengenmäßig nicht optimal.“ Dann meldet sich eine Frau
       und fordert, dass sich die Grünen endlich dem „Kriegsgeschrei“
       entgegenstellen. „Viele hier in Sachsen sind da sehr kritisch.“
       
       Seit kurzem spricht Banaszak vermehrt über seine Familiengeschichte, so
       auch jetzt. Als Kleinkind hat er vier Jahre lang bei seinen Großeltern
       gelebt. Sie stammten aus der Weltkriegsgeneration: Die Großmutter sei aus
       Schlesien geflohen, der Großvater sei Soldat gewesen und in russischer
       Gefangenschaft gelandet. „Meine Kindheit war geprägt von diesen täglich
       aufkommenden Kriegserinnerungen“, sagt Banaszak. „Es gibt wenig, was so
       präsent ist, ohne dass ich es selbst erlebt hätte.“ Krieg sei ihm schon
       immer zuwider gewesen.
       
       In der Sache stehe er trotzdem voll hinter der Ukraine-Unterstützung. Die
       Grünen hätten ihre Position in den letzten Jahren nur besser erklären
       müssen: Dass sie Waffen liefern, [5][gerade weil sie den Frieden sichern
       wollen.] „Wir haben das total unterschätzt, und ich glaube, das liegt auch
       an unserer westdeutschen Prägung.“ Zu schnell hätten die Grünen ihre
       Kritiker*innen „als Putin-Versteher diffamiert“. Zu selten hätten sie
       erwogen, dass hinter der Skepsis in Ostdeutschland auch die pure Angst vor
       Russland stecken könnte.
       
       Fünf Minuten später muss Banaszak los, auf zum nächsten Bürgergespräch,
       diesmal in Dresden. Er ist schon weg, als später die Rechten auf dem
       Rückweg von ihrem Montagsspaziergang noch mal am Café vorbeikommen. „Grüne
       an die Ostfront!“, rufen sie ein paar Mal. Dann ziehen auch sie weiter.
       
       6 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Schulze
       
       ## TAGS
       
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