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       # taz.de -- Kürzungen in Berlin: Soziale Infrastruktur unter Dauerbeschuss
       
       > Auch wenn Milliardenkürzungen ausbleiben, verheißen die nächsten Jahre
       > nichts Gutes für den Sozialbereich. Ein Bündnis sagt Einsparungen den
       > Kampf an.
       
   IMG Bild: Jugendliche protestieren im Märkischen Viertel gegen Kürzungen in der Jugendsozialarbeit
       
       Berlin taz | Der Bezirk hat noch nicht mal alle Gelder für die bereits seit
       Anfang des Jahres laufenden Projekte ausgezahlt, da stehen schon die
       nächsten Kürzungen im Raum, berichtet Samira Bekkadour, Projektleiterin bei
       Outreach. Der gemeinnützige Träger bietet berlinweit mobile
       Jugendsozialarbeit an, in Neukölln ist der Bedarf besonders hoch. Doch der
       Bezirk habe ihr mitgeteilt, dass im nächsten Jahr eine Finanzierungslücke
       von 1,6 Millionen Euro drohe. Wie sich das auf die Jugendsozialarbeit
       auswirkt, ist unklar. „Es kann sein, dass wir Stellen streichen müssen“,
       sagt Bekkadour.
       
       Wegfallende Projekte, auslaufende Stellen und kein Plan, wie es im nächsten
       Monat oder Jahr weitergeht – für viele Beschäftigte im Sozialbereich ist
       die extreme Unsicherheit seit zwei Jahren Dauerzustand. Daran ändert auch
       der neue, [1][großzügig durch Schulden finanzierte Doppelhaushalt] nichts,
       fürchten die freien Träger, die sich in einem neuen Bündnis
       zusammengeschlossen haben, mit dem sie am Dienstag dauerhafte Perspektiven
       forderten.
       
       „Der soziale Bereich steht sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene
       unter Druck“, sagt Markus Galle, Pressesprecher der Arbeiterwohlfahrt, der
       taz. Die AWO ist Mitinitiator [2][des neuen Bündnis Soziales Berlin.] Wie
       viele seiner Kolleg:innen fürchtet Galle im neuen Doppelhaushalt weitere
       Einsparungen für den Sozialbereich. Am 11. September ruft das Bündnis daher
       zu einer Kundgebung vor dem Abgeordnetenhaus auf.
       
       Ein Kahlschlag wie die drei Milliarden Euro, die in diesem Jahr aus dem
       laufenden Haushalt herausgekürzt wurden, soll laut dem Entwurf für den
       Doppelhaushalt 2026/27 zwar ausbleiben. Mehr Geld soll es allerdings auch
       nicht geben. „Auch Nullrunden sind Kürzungen“, sagt Galle. Lohn- und
       Betriebskosten würden ständig steigen. Da bliebe oft nur die Einschränkung
       des Angebots.
       
       ## Angebote müssen schließen
       
       Als Beispiel nennt Galle die erst vergangene Woche bekannt gegebene
       Schließung zweier Standorte der Migrationsberatung. Das Projekt wird vom
       Bund finanziert, der verlangt aber neuerdings einen Eigenanteil von 20
       Prozent, mehr als der Träger leisten kann. Auch der Senat wollte nicht
       einspringen.
       
       Dass in einem vergleichsweise üppig finanzierten Haushalt trotzdem
       zahlreiche freie Träger bangen müssen, liegt vor allem an der prekären
       Finanzierung des Sozialbereichs. Die Träger übernehmen staatliche Aufgaben
       wie Integrationsleistungen, Jugendsozialarbeit oder Obdachlosenhilfe.
       Dafür werden sie vom Staat bezahlt, allerdings oft in Form meist nur auf
       ein bis wenige Jahre befristeter Projekte. Meist kommen die Gelder auch
       noch von unterschiedlichen Stellen: Bund, Land, Bezirke.
       
       Hauptverantwortlich für die Budgetsteigerung im neuen Rekordhaushalt sind
       vor allem feste Posten wie Gehälter und Pensionen. Hier kann der Senat
       nicht kürzen. Die befristeten Projekte, die noch dazu bei unterschiedlichen
       Senatsverwaltungen angesiedelt sind, lassen sich hingegen am schnellsten
       wegkürzen, wenn Geld eingespart werden muss.
       
       So auch bei den Bezirken, [3][die auch im aktuellen Haushaltsentwurf
       strukturell unterfinanziert sind.] Oft bleibt den Verwaltungen nichts
       anderes übrig, als an den sozialen Projekten zu sparen, die sie freiwillig
       finanzieren – es sei denn, sie kriegen durch politischen Druck oder
       Rechentricks die Projekte doch noch weiter finanziert. Eine Zitterpartie,
       die sich für viele Träger auch im nächsten Jahr fortführen wird.
       
       ## Zermürbende Unsicherheit
       
       „Es macht Mitarbeitende mürbe und die Jugendlichen verängstigt“, sagt
       Bekkadour von Outreach. Nach jetzigem Stand sollen in Neukölln 15
       Jugendeinrichtungen geschlossen werden – es sei denn, es ließe sich noch
       irgendwo Geld auftreiben. Problematisch sei auch, Kolleg:innen so
       langfristig zu halten oder gar neu einzustellen. „Du kannst keine Leute
       einstellen, wenn der Vertrag nur bis zum Ende des Jahres befristet ist“,
       sagt Bekkadour.
       
       Dazu kommt, dass die Verwaltung kaum mit den Trägern kommuniziert, wann und
       wo gekürzt werden soll. „Es gibt eine große Diskrepanz, was die Politik
       sagt und was die Verwaltung macht“, kritisiert Galle. Oft würden einzelne
       Senatsvertreter:innen die Finanzierung eines Projekts zusagen, nur um
       von der Verwaltung einige Wochen später eine Ablehnung zu kassieren.
       
       „Zum jetzigen Zeitpunkt ist keinerlei Verlass auf den Senat“, sagt auch
       Projektleiterin Bekkadour. Dabei hält gerade Vertrauen das dysfunktionale
       Finanzierungssystem im Sozialbereich am Laufen. Zusagen und
       Finanzierungsbescheide erhalten die Träger oft erst, nachdem die Projekte
       gestartet sind.
       
       Damit sich die Träger trotzdem vorbereiten können, verlassen sie sich auf
       das Wort der Verwaltungen. So hat Outreach immer noch nicht alle Gelder für
       das laufende Jahr erhalten. „Kleinere Träger wären da schon zu Grunde
       gegangen“, sagt Bekkadour.
       
       ## Unzuverlässiger Senat
       
       Einen weiteren Wortbruch beging der Senat aus Sicht der Träger, indem die
       Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst nicht mehr ausfinanziert. Nach der
       letzten Tarifrunde steigen dort die Gehälter um 5,5 Prozent. Die Bezahlung
       der Beschäftigten der freien Träger orientierte sich bislang am
       Tarifvertrag ihrer Kolleg:innen im öffentlichen Dienst (TvÖD). Nun soll
       die Steigerung nur noch um 2 Prozent übernommen werden. Für Träger mit
       Tarifvertrag, der sich am TvÖD orientiert, bedeutet die Kürzung,
       Stellenabbau und eingeschränktes Angebot.
       
       Es sei wichtig, sich gegen den Kahlschlag zu wehren, sagt Bekkadour, „Jeder
       Kürzung im sozialen Bereich müssen wir gemeinsam begegnen“. Erst vor zwei
       Wochen hat Outreach einen Protesttag unter dem Motto „Vallah Unkürzbar“
       mitorganisiert. Jugendeinrichtungen in ganz Berlin blieben symbolisch
       geschlossen. Es wird wohl nicht die letzte Aktion bleiben.
       
       5 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Berliner-Landeshaushalt-2026-und-2027/!6098982
   DIR [2] https://buendnissoziales.berlin/#kontakt
   DIR [3] /Der-Berliner-Senat-und-die-Bezirke/!6098783
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jonas Wahmkow
       
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