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       # taz.de -- Repression in der Türkei: LGBTQI*-Aktivist in der Türkei verhaftet
       
       > Der 23-jährige Aktivist Enes Hocaoğulları wurde am Flughafen in Ankara
       > festgenommen. Er hatte zuvor polizeiliche Repressionen in der Türkei
       > kritisiert.
       
   IMG Bild: Enes Hocaoğulları wurde in der Türkei verhaftet, nachdem er vor dem Europarat Erdogan kritisiert hatte
       
       „Liebe Freunde, mir geht es gut.“ In einer kurzen Nachricht aus dem
       Gefängnis hat sich Enes Hocaoğulları am Donnerstag an seine Freunde im
       türkischen LGBTQI*-Verein KAOS gewandt. Dort macht man sich seit seiner
       Verhaftung am Dienstagabend große Sorgen. „Als Schwuler im Knast zu sein,
       ist besonders“, schrieb Hocaoğulları weiter, „aber ich komme klar“.
       
       Am Dienstagabend war der LGBTQI*-Aktivist bei seiner Einreise in die Türkei
       am Flughafen in Ankara verhaftet worden. Zuvor hatte er mehrere Monate in
       Frankreich verbracht. Seit seiner Verhaftung sitzt Hocaoğulları im
       Hochsicherheitstrakt im berüchtigten Sincan-Gefängnis in Ankara. Der
       offizielle Grund seiner Festnahme ist eine Rede, die er bereits Ende März
       bei einer Veranstaltung des Europarats in Straßburg gehalten hatte.
       
       Der 23-jährige Aktivist war dort als Jugenddelegierter bei einer Sitzung
       von Regional- und Kommunalvertretern aus allen 46 Mitgliedsländern des
       Europarats aufgetreten. Er berichtete über seine Erfahrungen, die er
       unmittelbar davor bei den Demonstrationen gegen die Verhaftung des
       Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu gemacht hatte.
       
       Sichtlich emotional berührt, wie es in einem Video von seinem Auftritt zu
       sehen ist, beklagte er die massive, gegen die Demonstranten gerichtete
       Polizeigewalt und berichtete über viele Festnahmen, auch seiner Freunde.
       Die Ereignisse zeigten, wie Demokratie und Menschenrechte in der heutigen
       Türkei mit Füßen getreten würden. Er beendete seine Rede mit der Bemerkung,
       dies sei ein „Wake-up Call“ für Europa, die Mitgliedsländer des Europarates
       müssten sich für die Verfolgten in der Türkei einsetzen.
       
       ## Türkei wirft ihm Volksverhetzung vor
       
       Unmittelbar nach Hocaoğulları Rede im Europarat nahm die Staatsanwaltschaft
       in Ankara Ermittlungen auf. Seine Äußerungen in Straßburg werden ihm nun
       als Volksverhetzung und als Aufruf zum Aufstand ausgelegt, doch als
       schwuler Aktivist dürfte er ohnehin auf der Abschussliste der Polizei
       gestanden haben.
       
       Marc Cools, Präsident des Kongresses bei dem Hocaoğulları auftrat,
       protestierte heftig gegen die Verhaftung. Doch Staatsanwaltschaft und
       Regierung der Türkei reagierten darauf bislang nicht. Schon länger zeichnet
       sich Präsident Recep Tayyip Erdoğans Regierung dadurch aus, dass sie den
       Europarat weitgehend ignoriert.
       
       Vor Jahren hatte der [1][Europäische Gerichtshof für Menschenrechte] in
       Straßburg, die wichtigste Institution des Europarats, von der Türkei die
       Freilassung der beiden prominenten politischen Gefangenen Osman Kavala und
       Selahattin Demirtaş gefordert. Beide sitzen noch immer im Gefängnis. Ein
       Verfahren zum Ausschluss der Türkei aus dem Europarat wurde daraufhin zwar
       eingeleitet, liegt aber auf Eis.
       
       Die Verhaftung von Enes Hocaoğulları fügt sich ein in ein größeres Bild der
       Repression: gegen die gesamte Opposition und im Besonderen gegen die
       Oppositionspartei CHP, deren Präsidentschaftskandidat İmamoğlu ist. Seit
       März vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein [2][Bürgermeister der CHP] oder
       Angestellte der Istanbuler Stadtverwaltung, die mit İmamoğlu
       zusammenarbeiteten, verhaftet werden.
       
       ## Beispiellose Kampagne
       
       Rund 500 von ihnen sitzen mittlerweile wegen angeblicher Korruption,
       Präsidentenbeleidigung oder Widerstands gegen die Staatsgewalt im
       Gefängnis. Es ist eine in der Türkei bislang beispiellose Kampagne gegen
       die säkulare Opposition, angefangen von Politikern über Journalisten bis zu
       Studenten. Angesichts dessen, das beklagt nicht nur Enes Hocaoğulları,
       fallen die Reaktionen aus Europa sehr mau aus.
       
       7 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Wolf Wittenfeld
       
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