URI: 
       # taz.de -- Bayerischer Satiriker Polt über Trachten: „Das ist nicht konservativ für mich“
       
       > Das Tragen von Tracht soll man ernst nehmen, sagt der Autor, Kabarettist
       > und Bayern-Erklärer Gerhard Polt. Aber nicht zu ernst. So wie alles
       > andere.
       
   IMG Bild: „Etwas erhalten zu wollen, ist ja per se nicht schlecht“: Gerhard Polt 2023
       
       taz: Herr Polt, nehmen wir die Tracht zu wenig ernst? Oder zu ernst? 
       
       Gerhard Polt: Wer ist wir?
       
       taz: Die Gesellschaft. 
       
       Polt: Ich kann für die Gesellschaft nicht reden. Ich kann nur sagen, dass
       ich Leute kenne, die die Tracht mögen, und eigentlich keine Leute kenne,
       die sie nicht mögen. Wenn Leute die Tracht nicht tragen, heißt das ja
       nicht, dass sie die Tracht nicht mögen. Ich wohne im Oberland, am
       Schliersee, und hier ist natürlich die Tracht der Ausdruck einer gewissen
       Zusammengehörigkeit. Jedes Jahr im November, am Leonhardstag, gibt es bei
       uns einen Pferdeumzug mit Reitern und Wagen und da hocken dann die Frauen
       drin im Schalk, der Festtagstracht. Und wenn man so einen Schalk einmal
       gesehen hat von den Frauen, dann muss ich sagen: Das ist eine tolle Sache.
       Also mit Sicherheit für jemand, der schneidert oder so, ist der Schalk eine
       Herausforderung. Und soweit ich weiß, ist so etwas nicht billig. Das hat
       eine gewisse Qualität. Und die Männer haben natürlich die berühmte kurze
       Hose bei uns oder die lange Bundhose.
       
       taz: Wir haben Sie schon oft im Trachtenjanker gesehen, aber noch nie in
       einer Lederhose. Haben Sie überhaupt eine? 
       
       Polt: Eine Lederhose hab ich nur als kleiner Bub gehabt, danach nicht mehr.
       Aber ich trag’ die Joppe (Trachtenjacke – Anm. d. Red.) und ich hab eine
       Joppe, die hab ich gekriegt von einem, der ist gestorben. Er hat sie mir
       kurz vorher gegeben, weil er sie auch schon gehabt hat von einem, der
       gestorben ist. Ich habe jetzt also eine Miesbacher Joppe, wo zwei Leute
       sozusagen rausgestorben sind.
       
       taz: Das gehört auch zur Tracht, oder? Dass man die teuren, guten Stücke
       weitervererbt? 
       
       Polt: Ja, eine gewisse Kleidung, eine Joppe, eine Lederhose, kann man
       weitervererben, das kann man machen.
       
       taz: Macht das einen Unterschied für Sie auf der Bühne, ob das Publikum in
       Tracht vor Ihnen sitzt oder im Jogginganzug? 
       
       Polt: Nein, eigentlich nicht. Wobei ich sagen muss, wir haben gerade eine
       Vorstellung in Neufahrn bei Wolfratshausen gehabt, im Bierzelt. Da waren
       viele im Publikum direkt aus der Umgebung und kannten sich, zum Beispiel
       von der Freiwilligen Feuerwehr, die waren sich ziemlich nah. Das macht dann
       einen Unterschied. Wenn man jetzt in einer Großstadt auftritt, kommen die
       Leute oft von überall her und kennen sich nicht.
       
       taz: Die Tracht ist ja vor allem sichtbar bei Umzügen wie dem
       Leonhardiritt, bei Heimatabenden und Festen. Gäbe es ohne den Touristen
       überhaupt einen Trachtler? Wird der Trachtler erst Trachtler im Auge des
       Touristen? 
       
       Polt: Ich glaube, dass es Touristen gibt, die die Tracht sehen wollen als
       [1][etwas Farbiges] und sich drüber freuen. Die schauen sich Festzüge an,
       aber die Einheimischen genauso. Es ist einfach ein Spektakel, weil die
       Trachten zum Teil einfach sehr schön und augenfällig sind. Manche Leute,
       die das nicht so kennen, sind erstaunt, was es da alles gibt. Manchen ist
       wurscht, warum es die Tracht gibt, die vertiefen nicht, woher sie kommt.
       Aber es gibt auch Leute, die können genau an den verschiedenen Knöpfen oder
       Stoffen erkennen, woher die Tracht kommt. Das sind Nuancen in der Tracht,
       genau wie im Sprachlichen. Wir wissen ja: In verschiedenen Tälern und
       verschiedenen Gegenden haben die Leute einen ähnlichen Dialekt, aber doch
       unterscheiden sie sich zum Teil immer noch in bestimmten Ausdrücken oder
       mit bestimmten Formulierungen.
       
       taz: Womit wir wieder bei der Zugehörigkeit wären. 
       
       Polt: Ja, freilich. Für Leute, die das wissen und sich dafür interessieren.
       Der größte Trachtenzug, glaube ich, ist ja der Oktoberfestzug, wo die
       Trachtler aufmarschieren am Anfang. Und das ist wirklich malerisch, das hat
       ja etwas, wenn die Leute von Weiß-der-Teufel-woher nach München kommen und
       ihre Trachten zeigen. Man ist immer wieder erstaunt, welche verschiedenen
       Formen es da gibt.
       
       taz: Bis in die Neunzigerjahre hat außer auf dem Festzug niemand [2][auf
       dem Oktoberfest] Lederhosen oder Dirndl getragen. Warum gibt es dort jetzt
       diesen Trachtenhype? 
       
       Polt: Ich weiß es selber nicht genau. Es ist halt eine Modesache, dass die
       Menschen vielleicht glauben, dass es gut wäre, sich so zu verkleiden, wenn
       sie da hingehen. Ein Muss ist es nicht, niemand wird gezwungen. Es gibt
       aber jetzt sogar einen Kostümverleih, hab ich gehört. Du kannst dir ein
       Dirndl oder so was leihen und dann da auftreten im Bierzelt. Es ist eine
       Sache, wo ich mich wundere, warum das so ist. Es ist schwierig: Warum ist
       eine Mode eine Mode?
       
       taz: Das Oktoberfest ist ein Exportschlager. In Brasilien gibt es eins, in
       New York, Hongkong und sogar in Ramallah gab es jahrelang ein
       [3][bayerisches] Bierfest. Woher kommt diese Faszination? 
       
       Polt: Ich war einmal in Carrara, in Italien, wo der Marmor herkommt. Da
       haben die ein Oktoberfest gehabt, das war verrückt! Ich schätze, diese
       Feste haben etwas Kommunikatives. Man geht davon aus, dass bei diesen
       Festen Leute schnell miteinander in Kontakt kommen. Ohne Förmlichkeiten,
       ohne irgendwelche sozialen Hürden. Das stimmt und stimmt gleichzeitig
       nicht. Weil wir wissen ja, dass es am Oktoberfest zum Beispiel durchaus
       Zelte für die Großkopferten gibt oder auch innerhalb eines Zeltes Plätze
       für die Großkopferten. Im Freien ist da aber immer noch die Möglichkeit,
       dass sich der Professor und der Taxifahrer gegenübersitzen und es ist
       wurscht, was einer ist.
       
       taz: Auch die Sorb:innen in der Lausitz haben eine Tracht, es gibt die
       Schaumburger Tracht in Niedersachsen und in Dortmund und Hannover sieht man
       zuweilen die kurdische Tracht. Im Ausland aber steht die bayerische Tracht
       oft für Deutschland als Ganzes. Warum? 
       
       Polt: Ich glaube, da vermischen sich Sachen. In Amerika zum Beispiel wissen
       die Leute nicht den Unterschied zwischen Bayern und Tirol, für die ist das
       eins. Richtig ist, dass der sogenannte deutsche Michel nicht mehr mit
       dieser Zipfelmütze in Erscheinung tritt, sondern [4][in bayerischer
       Tracht.] Weil einfach diese Tracht offensichtlich noch markanter ist als
       viele andere Trachten. Dieses Markante bleibt optisch mehr haften. Und da
       nehme ich an, dass man das gerne verwendet. Zack: Das ist der Deutsche, der
       Knödel frisst und [5][Bier sauft]. Der Italiener sitzt vorm Teller
       Spaghetti, die Franzosen fressen die Austern. Diese Versuche, Kulturen in
       den Griff zu bekommen, sind meistens eher unglücklich.
       
       taz: Wird der Mensch eigentlich konservativ, wenn er die Tracht anzieht?
       Oder zieht er die Tracht an, weil er konservativ ist? 
       
       Polt: Es kommt darauf an, was man mit konservativ meint. Wenn man sagt,
       jemand beharrt auf etwas, was er immer schon gemacht hat, und will, dass
       die eigenen Kinder das vielleicht auch machen. Dann kann man das
       „konservieren“ nennen. Konservieren heißt ja: etwas erhalten, von dem man
       glaubt, dass es erhaltenswert ist. Im Gegensatz zur Mode. Die Leihkostüme
       am Oktoberfest können ja auch wieder verfliegen. Aber Menschen in einem
       überschaubaren Ort, die schon immer die Tracht tragen, also locker 150
       Jahre, das ist keine Mode in dem Sinn. Sondern es ist ein
       Sich-Wiedererkennen-Wollen. Eine Sprache ist auch keine Mode, ein Dialekt
       ist auch keine Mode. Man hat ihn und gibt ihn weiter. Das ist nicht
       konservativ für mich, da finde ich das Wort etwas fehl am Platz. Etwas
       erhalten zu wollen, ist ja per se nicht schlecht. Es kommt darauf an,
       warum. Wenn man etwas prüft und feststellt, es ist nicht erhaltenswert,
       werden die Leute es ja vielleicht ablegen. Aber ich zum Beispiel finde das
       ganz toll, dass die Leute in meinem Ort das nach wie vor haben, weil sie
       sich wohl damit fühlen. Ich selbst trage die Joppe auch nicht bloß um zu
       zeigen, dass ich dazugehöre, sondern die Joppe ist gefällig und angenehm.
       
       taz: Wenn ein Mensch evangelisch ist und aus Franken, wie [6][der
       bayerische Ministerpräsident], kann die Tracht da auch bei der Integration
       helfen? 
       
       Polt: Ich kenne einen, das ist ein Musiker, der ist ein Perser. Der läuft
       in der kurzen Hosen rum und spielt bayerische Volksmusik und spielt
       internationale Musik auf der [7][Ziach (Steirische Harmonika – Anm. d.
       Red.)]. Und es ist nicht zu unterscheiden, dass der eigentlich aus Persien
       ist.
       
       taz: Im Landkreis Traunstein gibt es [8][die „A-f-D“, die
       Antifaschistischen Dirndl], die in der Tracht bayerische Musik machen gegen
       rechts und für die Rechte von Frauen und queeren Menschen. Braucht’ s des? 
       
       Polt: Für mich nicht. Wenn einer sich politisch äußert, dann soll er das
       machen. Aber wenn er glaubt, dass er das über ein Dirndl oder über die
       Tracht macht, weiß ich nicht, ob das der richtige Weg ist. Also ich ziehe
       meine Joppe nicht an, weil ich gegen Nazis bin, das hat damit nichts zu
       tun.
       
       taz: Die Antifaschistischen Dirndl sagen, dass sie die Tracht und die
       Traditionen nicht den Rechten überlassen wollen. 
       
       Polt: Die Rechtsradikalen laufen nicht unbedingt in einer Trachtenjoppe
       rum. Dass man denkt, die wären an der Kleidung erkennbar, das finde ich
       eine merkwürdige Einstellung.
       
       taz: Wie steht’s denn um die democracy? In Bavaria, in Germany? 
       
       Polt: Demokratie braucht [9][Humor]. Ohne Humor ist Demokratie schwierig.
       Und wenn den Leuten der Humor wegfällt, weil sie nur noch ernst tun, dann
       gibt es immer mehr Grabenkämpfe. Wenn keiner mehr über sich selbst und den
       anderen lachen kann, dann wird’s ernst. Und das kann der Demokratie nicht
       guttun. Ernsthaftigkeit mag ihren Platz haben, aber grundsätzlich müssen
       die Leute auch eine Gaudi haben und zu sich selbst und zum anderen ein
       gewisses lockeres Verhältnis haben. Und da wären wir wieder beim Biertisch
       und beim Volksfest, wo Leute nicht unbedingt politisch diskutieren müssen,
       aber sich unterhalten und sich auslassen mit ihren Sorgen. So werden sie
       vielleicht wieder lockerer.
       
       taz: Antrinken hilft gegen die Polarisierung, meinen Sie? 
       
       Polt: Einer meiner Lieblingsschriftsteller war immer der Oskar Maria Graf.
       Der hat einfach wunderbar gezeigt, dass auch in den schwierigen Zeiten der
       Weimarer Republik und des Hungers, ein bestimmtes Zusammensein sozusagen
       einen Trost gab. Inseln, wo Menschen hingehören und abschalten können,
       wären auch heute wichtig. Ob die Menschen das dann wirklich machen, ist
       wieder eine andere Sache.
       
       taz: Sie haben früher schon einmal gesagt: „Gemütlichkeit, das ist die
       Relation aus Zeit, Geld und Bier.“ 
       
       Polt: Die radikalen Leute, religiös radikal oder politisch radikal, die
       haben keine Freude. Du siehst es in ihren Gesichtern irgendwie, sie sind
       unzufrieden. Ich kann mich gut an die Aufnahmen von den Pegida-Aufmärschen
       erinnern. Diese starren, bösen Gesichter. Ich hab nur gedacht: Mensch, lach
       doch einmal, du Arschloch. Nach dem Aufmarsch trinkt er wieder ein Bier und
       isst einen Schweinsbraten, was will er mehr. Es gibt so viele Leute, denen
       es so viel schlechter geht als dir und du schaust streng und unerbittlich
       und hast keine Gaudi. Wenn ein Mensch eine Gaudi hat, dann bedeutet das für
       mich, dass er nachsichtig ist mit den Fehlern anderer und mit den eigenen
       vielleicht auch einmal.
       
       18 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Brauchtum/!t5240812
   DIR [2] /Oktoberfest/!t5013184
   DIR [3] /Bayern/!t5007713
   DIR [4] /Die-Wahrheit/!6098323
   DIR [5] /Getraenke/!t5019727
   DIR [6] /Markus-Soeder/!t5022389
   DIR [7] https://de.wikipedia.org/wiki/Steirische_Harmonika
   DIR [8] /20-April-in-Berchtesgaden/!6006590
   DIR [9] /Dritter-Weltkrieg-auf-TikTok/!6101949
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Hunglinger
       
       ## TAGS
       
   DIR Bayern
   DIR Brauchtum
   DIR Mode
   DIR Konservatismus
   DIR Tourismus
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR wochentaz
   DIR Reden wir darüber
   DIR Social-Auswahl
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Blumen
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Bayern
   DIR Kammerspiele München
   DIR Satire
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Klimaaktivistin über langen Atem: „In diesem Sinn bin ich wohl eine Staatsfeindin“
       
       Hanna Poddig ist schon seit 20 Jahren Vollzeit als Aktivistin unterwegs.
       Sie kennt sich so inzwischen mit Knästen und auch Talkshows aus.
       
   DIR Comeback des Blumenkleids: Sex, Macht, Blume, Königin
       
       Gut gelaunt, niedlich und beliebt: Das Blumenkleid ist zurück. Ist das
       Venuskult oder Ausdruck eines neuen Biedermeiers?
       
   DIR 97-Jährige über Arbeit mit Obdachlosen: „Mir ist der Respekt wichtig“
       
       Annemarie Streit kümmert sich in Hannover seit über 40 Jahren ehrenamtlich
       um Obdachlose. Die 97-Jährige denkt gar nicht daran, damit aufzuhören.
       
   DIR Schulferien in Bayern: Die globalisierte TK-Breze
       
       Pünktlich wie der Stau kommt die Debatte über Bayerns Ferien-Sonderweg.
       Identitätspolitik? Beherrscht keiner so souverän wie Markus Söder.
       
   DIR Gerhard Polt in den Kammerspielen: Die Erben singen tralala
       
       Der Humorist Gerhard Polt bringt sein neues Stück auf die Bühne der
       Münchner Kammerspiele – gewohnt bitter, gewohnt böse behandelt er dabei den
       Tod.
       
   DIR Kabarettist Gerhard Polt wird 80: Der Grand-Sinnierer
       
       Gerhard Polt, seines Zeichens Kabarettist, Satiriker, Beobachter und
       verhinderter Bootsverleiher, wird 80. Anlass genug für einen Gedanken.