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       # taz.de -- Italo-Pop-Revival: Deutsches dolce far niente
       
       > Musica leggera, Moshpits und Crucchi am Teutonengrill: Italo-Pop erlebt
       > den zigsten Hype in Deutschland. Warum ist das so? Ein Zustandsbericht.
       
   IMG Bild: „Ziehen von Bar zu Bar, den′n man singt: vom Blut der Erde, ein Wein für mich“, ungefähr so: Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys
       
       Pastellfarben, viel Amore und ein eingängiger Viervierteltakt. Inmitten von
       Plattenbauten fühlt sich der Sommerabend in der Arena „Gärten der Welt“
       weniger nach Berlin-Marzahn an, eher nach TV-Auftritt von Al Bano und
       Romina Power. Zwischen Bianchi-Trikots und Italien-Flaggen betreten
       stattdessen Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys die Bühne.
       
       Im weißen Zweireiher lobt Sänger Roy Bianco die heile Welt von
       Italo-Schlagern, „wo das Gute immer gut bleibt“. Das Publikum: wirkt
       weniger nach Fernsehshow, sondern ist eher jung und hip. Spätestens bei
       „Bella Napoli“ ist aus dem Schlagerstrudel ein Moshpit geworden und dieser
       ist nicht mehr zu stoppen. „Quanto costa die Liebe zu dir?“, singt die
       Band, ihre Tifosi grölen und man spürt kurz, wie das eigene Herz Azzurro
       schlägt.
       
       Ja, die junge Münchner/Augsburger Band Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys,
       die sich laut fiktionaler Biografie bereits in den 80ern in Italien
       gegründet hat, ist eine Persiflage auf genau diese Zeit und Stars wie G. G.
       Anderson. Trotz aller Selbstironie schwingt dann doch eine gewisse
       glaubwürdige nostalgische Begeisterung für ein Urlaubsitalien mit, die
       extrem gut ankommt.
       
       ## Italo-Hype in der Musikwelt
       
       La Dolce Vita liegt wieder im Trend. Nicht nur der zuckersüße
       Italo-Schlager zieht. Von Italo-Disco bis Italo-Pop, von Aperol Spritz bis
       Steinofenpizza und alte Maradona-SSC-Neapel-Fußball-Trikots als Must-have.
       Der Italo-Hype kulminiert wohl im Phänomen Roy Bianco & Die Abbrunzati
       Boys, doch er beherrscht schon seit langem die deutschsprachige Musikwelt.
       
       Vermutlich beginnt der Trend neueren Datums 2014 mit der österreichischen
       Band [1][Wanda] und ihrem Debütalbum „Amore“. Mittlerweile kennt wohl jeder
       die romantische Geschichte, die Tante Ceccarelli damals in Bologna erlebt
       hat. 2023 nimmt dann der Berliner Peter Fox seinen Song „Toscana Fanboys“
       zusammen mit Italo-Legende Adriano Celentano auf. Und sogar die Berliner
       Party-Rap-Nervensäge Ski Aggu widmet seine neueste Single d[2][er
       sizilianischen Stadt Palermo]: „Spaghetti aglio-olio, Dicka, ich fühl’
       mich grandissimo“. Hilfe!
       
       Italianità erlebt ihr zigstes Revival. Und man fragt sich: Was ist da los
       in der deutschsprachigen Musik? Wie kommt es, dass dolce far niente wieder
       en vogue ist? Woher rührt dieser wiederkehrende Trend für italienische
       Musik und Ästhetik? Und ist das, was hier ankommt, überhaupt noch
       italienisch?
       
       ## Roy Bianco und den Abbrunzati Boys
       
       Ein Gespräch mit Roy Bianco und den Abbrunzati Boys ist – da sie gerade
       touren – leider nicht möglich. Dafür aber mit Francesco Wilking. Der
       Deutsch-Italienier übersetzt für sein Bandprojekt Crucchi Gang seit fünf
       Jahren deutschsprachige Popsongs ins Italienische, sowohl sprachlich als
       auch musikalisch und hat damit „zufällig eine Art Feeling getroffen“.
       Crucchi [krukki] bedeute übersetzt so viel wie „Kackdeutsche“.
       
       Zuletzt sind seine Fassung von „Emanuela (Giu Le Mani)“ in der
       Interpretation von Fettes Brot und „Filosofo“ von Dilla erschienen, die
       italienischen Coverversionen werden von den deutschen Künstlern selbst
       eingespielt. Die Idee stammt von Charlotte Goltermann, die mittlerweile
       Managerin des Projekts ist. „Am Anfang hielt ich es für eine Schnapsidee“,
       lacht Wilking. Dann habe er angefangen, „Bungalow“ von Bilderbuch zu
       übersetzen.
       
       „War total geil, die Kulturen zu verbinden, indem man einen Song so covert,
       dass es Italo-Pop sein könnte.“ Die italienische Fassung von „Bungalow“
       könne – von der Melodie, der Rhythmik, der Thematik – [3][auch ein Lied von
       Lucio Battisti aus dem Jahr 1975] sein. „Nimmt man bei Wandas „Bologna“ den
       Text weg, würde man gar nicht an Italien denken. Das ist nicht konkret
       italienische Musik, sie haben einfach eine italienische Geschichte erzählt
       und das Album ‚Amore‘ betitelt“, sagt er.
       
       Laut Wilking würde das einfach eine andere Art von Italiensehnsucht
       bespielen – nach etwas, das es tatsächlich nicht wirklich gibt, mit dem
       realen Alltagsleben in Italien hat es nichts zu tun.
       
       ## Urlaub, Eis und Zitronen
       
       Die Ästhetik luftiger Anzüge gepaart mit öligem Italo-Charme kommt heute
       wieder unglaublich gut an. Auch bei Leuten, die vermutlich bisher kaum über
       den Brenner nach Süden gefahren sind. „Das ist einfach ein
       Social-Media-Trend“, glaubt Wilking. „Wir kokettieren auch mit Urlaub, Eis
       und Zitronen. Aber wir versuchen trotzdem, die Pizza nicht mit Gouda zu
       belegen“, sagt er. Also weg von den „Pizza-Pop-Klassikern“ à la Giovanni
       Zarrella, hin zur wahrhaftigen italienischen Musik.
       
       Dann schwärmt Wilking von der [4][„musica leggera“, Easy Listening der
       60er-Jahre, von Sängerinnen wie Mina] oder Ornella Vanoni, von den ganz
       großen Popsongs, „bei denen im Refrain ein Streicherhimmel aufgeht“, von
       tiefgründigen Cantautori wie Gino Paoli oder Lucio Dalla. Und sogar „Bello
       e impossibile“, ein Song von Rockröhre Gianna Nannini zählt er dazu.
       „Musica leggera heißt einfach leichte Musik“, erklärt Wilking. „Das hat was
       Eskapistisches. Und kann trotzdem tiefgründig sein.“
       
       Vielleicht ist es ja gerade das, was den Italienern besser gelingt: sich
       den Problemen bewusst zu sein, und trotzdem das Leben zu genießen? Etwas,
       was sich die Deutschen immer herbeisehnen, aber in ihrer „Zuerst die
       Arbeit, dann das Vergnügen“-Attitüde nur schwer schaffen. „Was man von den
       Italienerinnen und Italienern lernen kann, ist, das Unwichtige wahnsinnig
       wichtig zu nehmen“, sagt Eric Pfeil, [5][Experte für Italo-Pop, der das
       Festival di Sanremo liebt] und selbst das deutsch gesungene Italo-Pop-Lied
       [6][„Radio Gelato“] komponiert hat.
       
       In den vergangenen Jahren sind von Pfeil zwei musikalische
       Italien-Reiseführer erschienen, und er hat sich selbst nicht ganz zu
       unrecht als [7][„Botschafter eines differenzierteren Italienbildes“
       bezeichnet].
       
       ## Musica leggera – leichte Musik
       
       Was für den Kölner Autor und Musiker die Größe von Musica leggera ausmacht,
       ist, dass sie „tiefgründig und seicht zugleich sein kann“. Guter Italo-Pop,
       das ist Pathos, extremer Melodizismus und gekonntes Grenzüberschreiten.
       „Italienisch ist vor allem die singbarste Sprache der Welt. Sie haben die
       Oper, die Canzone napoletana“, sagt Pfeil. „Und jeder versteht, was für ein
       Drama hinter dem Wort Amore steckt.“
       
       Aber da gebe es noch das „Touristenmenü“ – die deutschen Schlagerstars der
       1980er mit „Betriebsfeierausstrahlung und einem Pilsatem, den man durch
       den Fernseher riechen konnte“, genau jene Atmosphäre, welche Roy Bianco &
       Die Abbrunzati Boys parodierten. Und für die Italiener unter Trash laufe.
       Ein „Touristenmenü“, das die rechtsgerichtete Meloni-Regierung übrigens
       gerne stärker auftischen möchte, um die Marke „Italia“ zu reetablieren, die
       Toto Cutugno 1983 mit seinem Hit „L'italiano“ wohl eher versehentlich hat
       anklingen lassen: Kunst, Kultur, Ästhetik, Sommer.
       
       ## „Sich bräunen, aber im Solarium.“
       
       In Deutschland scheint sie immer wieder zu funktionieren, die
       niederschwellige Annäherung an Bella Italia. Der Berliner DJ und
       Elektronikproduzent Mathias Modica nennt es: „Sich bräunen, aber im
       Solarium.“ Auch er ist Deutsch-Italiener und hat mit seinem
       Dancefloor-Label Toy Tonics vor Kurzem den dritten Teil der
       Compilation-Serie veröffentlicht. Italo-Disco-Sound mit einer italienischen
       Handgeste auf dem Cover, grün auf rot. [8][Es ist seine Antwort auf ein
       weiteres Revival: Italo-Disco.]
       
       Man könnte es als ein schnelles Touristenmenü bezeichnen, das die
       italienische Musikindustrie ab Ende der 70er servierte: [9][elektronische
       Tanzmusik, mit viel Leichtigkeit, Synthesizer, holprigen englischen Texten,
       Drum-Machines, Urlaubsfeeling und guter Laune]. Simpelst produzierte,
       tanzbare Songs wie „Self Control“ von Raf gelten als Vorläufer der
       elektronischen Popmusik der 90er-Jahre. Wobei: „Den Begriff Italo-Disco hat
       ein Deutscher erfunden, kein Italiener“, erklärt Modica.
       
       Eines der berühmtesten Italo-Disco Stücke sei wohl „Vamos a la playa“ von
       Righeira. „[10][Da geht es um eine Atombombenexplosion, klingt aber wie der
       leichteste Strand-Song ever]“, sagt er. Auch hier ergeben Leichtigkeit,
       Komplexität und etwas Exzentrik wieder die Formel für italienische
       Popmusik, obwohl der Text Spanisch ist.
       
       Und Modica schwärmt ebenfalls von den italienischen Singer-Songwritern der
       1960er: „Für die eher kühlen Teutonen mit protestantischer Prägung hat das
       erst mal was Befremdliches – Leidenschaft und die Ausarbeitung des Details
       im Essen, in der Kunst, im Kirchenbau.“ Und doch lieben sie es.
       
       ## Hochgerollte Karottenjeans der 80er
       
       Italo-Disco, in Italien belächelt, brachte in den 80ern erst mal Geld.
       „Wenn man Den Harrow, der nicht mal selber gesungen hat, auf Italienisch
       ausspricht, klingt es nach Denaro, also Geld“, lacht Modica. In Deutschland
       tanzt man nun wieder in den Clubs zu den italienischen Beats. „Es ist
       wirklich grotesk, wenn deutsche DJs sich italienische Alias-Namen geben und
       [11][auf 80er-Jahre-Paninari-Style] mit hochgerollten Karottenjeans
       machen“, sagt Modica, der sich beim Auflegen Kapote nennt. Er will es
       anders machen.
       
       Am Samstagabend im [12][Oxi-Club in Berlin-Friedrichshain] ist die Stimmung
       ausgelassen, man bewegt sich im Rhythmus disco-funkiger Beats. Ab und zu
       eine Synthie-Melodieeinlage auf Italienisch. Der Laden ist voll, der
       Schweiß tropft von der Decke. Das ist die mittlerweile kultige Partyreihe,
       die Toy Tonics einmal im Monat veranstaltet: „Italomania“.
       
       [13][Modica] nennt die Stilrichtung Italian Disco – DJs legen Disco-Tracks
       mit italienischen Vocals auf. Hauptsache tanzbar. Sie bringen wieder ein
       bisschen mehr Dolce Vita nach Berlin.
       
       12 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
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