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       # taz.de -- Landwirtschaft und Klimakrise: Einen kühlen Kopf bewahren
       
       > Die Landwirtschaft leidet unter der Klimakrise, die sie auch
       > mitverursacht. Ein Milchkuhbetrieb in der Uckermark versucht, dem gerecht
       > zu werden.
       
   IMG Bild: „Was für die Kuh gut ist, ist auch gut für uns“, sagt Landwirt Keanu Heuck
       
       Berlin taz | Der Segen fällt buchstäblich vom Himmel. Landwirt Keanu Heuck
       atmet auf, endlich geht Regen auf die dürren Weiden auf den Hügeln der
       Uckermark nieder. Erst seit Kurzem arbeitet der Dreißigjährige hier als
       Leiter des Milchkuhbetriebs von [1][Hemme Milch] nahe Angermünde. An seinem
       neuen Arbeitsplatz wird der Blick auf die Wetter-App nun noch stärker mit
       Sorgen begleitet, in Brandenburg ist es weitaus trockener als in seiner
       Heimat in Schleswig-Holstein.
       
       „Gut ist, dass es jetzt über längeren Zeitraum regnet“, sagt Heuck. „Wenn
       es lange trocken ist, [2][wird der Boden fest und kann nichts aufnehmen].
       Schon gar nicht, wenn ganz viel Wasser auf einmal kommt.“ Mit einem Stock
       bohrt er in die Erde und stellt zufrieden fest: „Das ist schon ganz tief
       eingesickert. Das ist wichtig, damit das Wasser nicht sofort wieder
       verdunstet.“
       
       Dürre- und Hitzeperioden, Extremwetterlagen und Überschwemmungen – dank des
       Klimawandels ist das auch in Westeuropa das neue Normal. Bereits 2019
       wurden auf der [3][Agrarministerkonferenz] Leitlinien verabschiedet, wie
       sich die deutsche Landwirtschaft an die neuen klimatischen Bedingungen
       anpassen muss. Welche Maßnahmen konkret angewandt werden, müssen jedoch die
       Landwirte selbst entscheiden – und das vor allem auch erst mal erproben.
       
       Auf den Feldern von Hemme Milch wächst neben Silomais jetzt auch Luzerne,
       beide kommen als Futterpflanzen für Kühe zum Einsatz. „Luzernen bilden
       tiefe Wurzeln und sind deswegen weniger hitzeempflindlich“, sagt Heuck.
       
       ## Hat konventionelle Tierhaltung Vorteile?
       
       Neben der Suche nach Feldfrüchten, die auch bei Dürre für ausreichend
       Tiernahrung sorgen, beschäftigt die Landwirte vor allem die Frage, wie für
       das Tierwohl gesorgt werden kann. Eine Kuh fühlt sich bei Temperaturen bis
       15 Grad wohl, schon bei 20 Grad gerät sie in Hitzestress. „Bei der
       Milchproduktion entsteht im Inneren der Kuh sehr viel Wärme“, erklärt
       Heuck. „Die Kühe brauchen also Abkühlung.“
       
       Hemme Milch setzt dagegen ausgerechnet auf eine konventionelle
       Wirtschaftsweise, das heißt, dass die rund 600 Mutterkühe den Großteil des
       Jahres im Stall stehen. 600 Tiere täglich auf die Weide zu bringen, sei
       hier logistisch nicht möglich, sagt Heuck. „Sowieso geht Weidehaltung nur,
       wenn es ausreichend regnet und genug Gras nachwächst.“ Biobauern müssten in
       Trockenphasen zufüttern. Heuck weiß das aus Erfahrung, bis vor Kurzem hat
       er selbst in einem Biobetrieb gearbeitet.
       
       In Hitzephasen sei ein schattiger Stall aber ohnehin der beste Ort für die
       Kuh, so Heuck. „Die Seiten sind geöffnet, sodass wir immer Frischluft
       haben“, sagt er bei einer Führung durch den Stall. „Die Ventilatoren an der
       Decke halten die Luft in Bewegung und die Tiere kühl.“ Während vorne eine
       Reihe Kühe Trockenfutter frisst, liegen in der Reihe dahinter Tiere im
       Stroh und käuen wider. Ruhig trotten die Kühe zwischen Steh- und
       Liegeposition hin und her, manche gönnen sich eine Po- und Rückenmassage
       unter einer großen „Wellnessbürste“. Kein Muhen ist zu hören.
       
       „Was für die Kuh gut ist, ist auch gut für uns“, sagt Heuck. Kühe in einem
       gut durchlüfteten Stall würden seltener krank, auch machten sie
       kontinuierlich ihre „Arbeit“: fressen und wiederkäuen. Bei einer
       Hochleistungskuh, die wie hier am Tag durchschnittlich 37 Liter Milch
       produziert, sind das im Schnitt 25 Kilo Futter, die an einem Tag
       verarbeitet werden müssen.
       
       ## Die KI hilft mit
       
       Eine Kuh im Hitzestress schafft das nicht, sagt der Agrarwissenschaftler
       Israel Flamenbaum. Vor allem nicht, wenn es sich um Kuhrassen wie die bei
       uns am meisten verbreitete schwarz-weiße [4][Holstein-Friesian] handelt.
       Sie seien solche Temperaturen nicht gewöhnt. Der Berater zitiert in einem
       Fachartikel eine amerikanische Studie, nach der sich Hitze deutlich auf die
       Milchproduktion auswirkt und erhebliche finanzielle Einbußen mit sich
       zieht.
       
       „Bisher hatten wir keine großen Einbußen“, sagt der Geschäftsführer von
       Hemme Milch, Gunnar Hemme. Er erklärt sich dies mit dem neuen Stallkonzept,
       die großen Deckenvenitilatoren zeigten ihre Wirkung. Nicht mal die
       Stromkosten seien gestiegen – der Betrieb hat Solarzellen auf dem Dach,
       erzeugt den Strom also selbst.
       
       Auch KI kommt im Stall zum Einsatz: Betriebsleiter Heuck ist gerade dabei,
       ein digitales Werkzeug einzuführen, um das Wohlsein der Kühe zu überwachen.
       Dafür bekommen die Kuh eine Sonde ins Ohr, die mit seinem Mobilfunkgerät
       verbunden ist. Eine KI-unterstützte App macht sich mit dem Lebenswandel der
       einzelnen Kuh vertraut. Gibt es große Unterschiede, also liegt die Kuh etwa
       häufiger und länger als gewöhnlich, ertönt auf seinem Gerät ein Alarmton.
       
       Werden in Zukunft also auch die Landwirt:innen nur noch vor dem
       Bildschirm sitzen? Keanu Heuck lacht. „Nein, natürlich mache ich trotzdem
       meine Runde durch den Stall“, sagt er. „Durch diese App bekomme ich jedoch
       schneller mit, wenn was nicht stimmt. Mehrmals am Tag alle 600 Kühe genau
       zu beschauen, das schaffe ich nicht.“
       
       ## Die Angst vor der „Rülpssteuer“
       
       Insgesamt 23 Mitarbeiter:innen zählt der Milchhof Hemme, 8 Frauen sind
       darunter. Viele der Arbeiter:innen kommen aus Polen, die Grenze ist nur
       30 Autominuten entfernt. Morgens und nachmittags wird gemolken. Eine ganze
       Achtstundenschicht braucht es, um alle Kühe zu melken. Das Besondere hier
       ist, dass die Milch selbst verarbeitet wird. „Wir sind hier wie ein alter
       Bauernhof“, sagt Heuck. „Vom ersten Saatkorn bis zum fertigen Produkt
       machen wir hier alles selbst.“
       
       Kurze Wege sind gut für den betriebseigenen CO2-Abdruck. Das Tierfutter
       wird auf den benachbarten Feldern angebaut, auf dem Hof verarbeitet und
       gelagert. Die jährlichen 8 Millionen Liter Milch werden zum Großteil über
       eine Rohrleitung gepumpt, den Rest bringt ein Wagen die 150 Meter zur
       Molkerei. Heuck: „Sobald wir größere Tanks haben, ist auch damit Schluss.“
       
       Sich Gedanken über klimaeffizientes Wirtschaften zu machen, ist für die
       Bauern nicht nur sinnvoll, weil sie die Folgen des Klimawandels als Erstes
       zu spüren bekommen. Am Horizont zieht für die deutschen Viehhalter auch
       noch eine andere dunkle Wolke auf: die „Rülpssteuer“. Die wurde in Dänemark
       bereits im vergangenen Jahr eingeführt, um die Bauern zu klimaschonenden
       Maßnahmen zu animieren.
       
       Der Hauptgrund dafür: Das Methan, das Kühe beim Wiederkäuen ausstoßen. Das
       Gas ist noch klimaschädlicher als CO2 und kommt am zweithäufigsten in der
       Atmosphäre vor. Die Viehwirtschaft trägt erheblich zum Klimawandel bei.
       Nach Schätzung des Umweltbundesamts sind im vergangenen Jahr 76,6 Prozent
       der Methanemissionen auf die Landwirtschaft zurückzuführen, wobei das Gros
       (93 Prozent) die Rinder- und Milchkuhhaltung verantwortete.
       
       ## Das Problem Methan
       
       Das Futter spielt eine entscheidende Rolle, wenn es heißt, den
       Methanausstoß zu reduzieren. „Je kleiner das Trockenfutter gehäckselt ist,
       desto verdaulicher ist es“, sagt Heuck. „Auch ist es wichtig, die Tiere nur
       auf Weiden zu schicken, auf denen das Gras nicht so hoch steht.“ Kommt es
       zu Futterwechsel, etwa in der Trockenstehphase vor der Geburt des Kalbes,
       so achtet der Tierwirt darauf, dass die Kühe sich langsam an das neue
       Futter gewöhnen. „Im Stall gibt es verschiedene Bereiche mit
       unterschiedlichem Futter, durch das die Tiere im Wochen-Rhythmus
       durchwandern“, so Heuck.
       
       Mindestens so wichtig wie das Management des Futters ist der Umgang mit den
       Hinterlassenschaften der Kühe. Auch über die Gülle wird Methan in die
       Atmosphäre abgegeben, der Ammoniak im Urin wird zudem in Lachgas
       umgewandelt – laut Bundesumweltamt ist es 265-mal schädlicher als CO₂. Über
       die Hälfte der deutschen Emissionen stammen aus der Landwirtschaft.
       
       „Wir streuen in den Liegeboxen Urgesteinsmehl aus, das bindet den
       Ammoniak“, erklärt Heuck. Ein Mistschieber sorgt dafür, dass die
       Ausscheidungen der Kühe sofort entfernt werden. Über einen unterirdischen
       Kanal kommt die Gülle auf direktem Weg in die Biogasanlage, übrig bleibt
       ein Substrat zum Düngen.
       
       ## Wachstum oder Verzicht?
       
       „Anders als die meisten Betriebe haben wir uns nicht auf Feld- oder
       Viehwirtschaft spezialisiert, sondern betreiben beides nach dem Prinzip der
       Kreislaufwirtschaft“, erklärt Geschäftsführer Hemme. „Die Gülle von unseren
       Kühen kommt auf unsere Felder, wo sie Humusboden aufbaut. Und der kann
       Wasser und CO2 speichern. Außerdem haben wir so einen guten Boden für
       unsere Feldfrüchte, die wir für das Tierfutter anbauen.“
       
       Das klingt alles gut. Ob Maßnahmen, wie sie bei Hemme Milch angewandt
       werden, ausreichen werden, um die deutsche Klimabilanz wesentlich zu
       verbessern, ist jedoch fraglich. Umweltverbände sehen keinen anderen Weg,
       [5][als die Milchproduktion zu reduzieren]. Foodwatch etwa plädiert für
       eine Halbierung der deutschen Milchkuhbestände.
       
       Forscher:innen des [6][Thünen-Instituts] rechnen dagegen nicht damit,
       dass die deutsche Milchproduktion einbrechen wird. Hierzulande gebe es noch
       ausreichend Flächen, die bei einem moderat voranschreitenden Klimawandel
       gut für die Grünlandwirtschaft und Milchproduktion geeignet seien, schreibt
       der Leiter Instituts, Bernhard Osterburg, der taz. „Wenn die
       Milchproduktion aufgrund des Klimawandels in anderen Ländern unter Druck
       gerät, eingeschränkt wird oder teurer wird, kann die Wettbewerbsfähigkeit
       der deutschen Milchproduktion sogar noch steigen.“
       
       1 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://hemme-milch.de/
   DIR [2] /Landwirtschaft-in-Klimakrise/!5865074
   DIR [3] /Wir-haben-es-satt-Demo-in-Berlin/!5566605
   DIR [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Holstein-Rind
   DIR [5] /Veganismus/!t5013096
   DIR [6] https://www.thuenen.de/de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Karlotta Ehrenberg
       
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