# taz.de -- Pyrrhussieg für linken Lesekreis: Hamburger Gericht bezweifelt Karl Marx’ Verfassungstreue
> Wenn sich der „Marxistischen Abendschule“ keine Verfassungsfeindlichkeit
> unterschieben lässt, dann doch wenigstens dem Theorie-Altvorderen?
IMG Bild: Gedenktafel mit Porträt von Karl Marx an seinem Geburtsort in Trier
Ist Marx-Lesen mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO)
vereinbar? Nein, befand kürzlich das Hamburger Verwaltungsgericht. Wie
bitte? Ist „Das Kapital“ jetzt illegal? Sind wir zurück in den 1970ern?
Droht haufenweise Soziologie-Erstsemestern das Berufsverbot? Und was sagt
[1][Karl Marx’] Geburtsstadt Trier dazu? Aber von vorn.
Es geht hier eigentlich um einen [2][Sieg des Hamburger Lesekreises
„Marxistische Abendschule Forum für Politik und Kultur e. V.“] (Masch)
gegen das Landesamt für Verfassungsschutz. Dass der die Masch als
linksextrem in seinen Jahresberichten geführt hatte, war rechtswidrig, fand
das Gericht im April. Aber nur, weil dem seit 1981 bestehenden Lesekreis
die „aktiv-kämpferische“ Haltung fehle, der Verfassung auch was anhaben zu
können, [3][legte das Gericht im schriftlichen Urteil vom 10. Juli nach].
Ein Pyrrhussieg, denn weiter heißt es: „Die auf die [4][Theorien von Karl
Marx] zentrierte Betätigung des Klägers steht prinzipiell im Widerspruch
zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung.“ Und nicht nur das, die
ganze „von Marx begründete Gesellschaftstheorie […] dürfte in wesentlichen
Punkten mit den […] Prinzipien der FDGO nicht vereinbar sein“.
Wo fangen wir da an? Wir könnten ein paar konservative Philosoph*innen
bitten, die Bedeutung von Marx als Grundlage der Sozial- und
Wirtschaftswissenschaft zu erörtern. Oder ein paar andere Urteile der
bürgerlich-kapitalistischen Klassenjustiz aus jüngster Zeit studieren. Zum
Beispiel das des Berliner Verwaltungsgerichts zur [5][Klage der Zeitung
Junge Welt gegen ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz], in dem es
heißt, aus marxistischer Orientierung allein folgten nicht zwingend
Bestrebungen gegen die FDGO, und Revolution könne „auch eine radikale, sich
aber noch im Rahmen des Grundgesetzes haltende Umgestaltung der
Gesellschaft sein“ ([6][Urteil vom] [7][18. 7. 2024]).
## Man kann mühsam lächeln oder den Kopf schütteln
Schaut her, Marx ist Auslegungssache! Differenziert ist so was wie sein
zweiter Vorname. Vordenker der dialektischen Methode und so. Aber das
können andere besser erklären als die Autorin dieser Zeilen.
Der Punkt ist, es ist leicht, sich über die Urteilsbegründung des Gerichts
lustig zu machen. Man kann milde lächeln, weil es seine Haltung mühsam über
eine [8][Stichwortsuche im Online-Staatslexikon] zu belegen versucht. Man
kann amüsiert den Kopf schütteln, weil es sich ausschließlich auf das
politische Pamphlet „Das Kommunistische Manifest“ bezieht. Haha, Marx ein
Antidemokrat? Er hat doch [9][so viel mehr geschrieben], wissen wir aus dem
Lesekreis oder dem Einführungsseminar. Das hat der Richter wahrscheinlich
verpasst, weil er irgendwelche Paragrafen pauken musste.
Ja, das Urteil ist irgendwie niedlich. Leider gibt es ein Problem. Es ist
gefährlich. Auch wenn es nur eine schriftliche Begründung ist, Gerichte
beziehen sich auf Urteile anderer Gerichte wie das des Hamburger
Verwaltungsgerichts. Das schreibt im Kern: Wenn eine Gruppe hauptsächlich
Marx liest, ist das prinzipiell verfassungsfeindlich und nur okay, wenn die
Lesenden unbedeutend genug und nicht „aktiv-kämpferisch“ drauf sind. Für
Rechtsanwalt [10][Ridvan Ciftci], der die Masch vor Gericht vertrat, ist
das eine Gefahr für alle Marx-Lesekreise. „Jeder Verein, der sich
hauptsächlich auf Marx bezieht, kann damit Beobachtungsobjekt werden.“
Zugegeben, wer wie wir nach der Marx-Lektüre die Gesellschaft wirklich
verändern will, kann sich nicht darauf verlassen, dass ihre Institutionen
den Weg dahin ebnen. Vielleicht, um es mit dem [11][Hamburger
Kriminalsoziologen Moritz Assall] zu sagen, verstößt Marx nicht gegen die
Verfassung der BRD, sicher aber gegen ihre Verfasstheit.
P.S.: Seine Geburtsstadt Trier sieht Karl Marx nicht als
verfassungsfeindlich an und betrachtet ihn „und sein philosophisches Werk
differenzierter“.
9 Aug 2025
## LINKS
DIR [1] /Karl-Marx/!t5014023
DIR [2] /Klage-der-Marxistischen-Abendschule/!6101920
DIR [3] /Klage-der-Marxistischen-Abendschule/!6101920
DIR [4] /Marxismus/!t5022045
DIR [5] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/verassungsschutzbericht-verfassungsschutz-junge-welt-pressefreiheit
DIR [6] https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/NJRE001591260
DIR [7] https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/NJRE001591260
DIR [8] https://www.herder.de/staatslexikon/artikel/marxismus/
DIR [9] /Karl-Marx-Experte-ueber-Aussenpolitik/!6058339
DIR [10] https://www.vsa-verlag.de/nc/detail/artikel/nach-gelesen/
DIR [11] https://www.akweb.de/politik/extremismusvorwurf-vom-verfassungsschutz-linke-organisationen-verlieren-gemeinnuetzigkeit/
## AUTOREN
DIR Amira Klute
## TAGS
DIR wochentaz
DIR Schwerpunkt Stadtland
DIR Hamburg
DIR Justiz
DIR Schwerpunkt Grundgesetz
DIR Karl Marx
DIR Marxismus
DIR Reden wir darüber
DIR Social-Auswahl
DIR GNS
DIR Rechte Szene
DIR Hamburg
DIR Schwerpunkt Pressefreiheit
DIR Schwerpunkt Antifa
DIR Marxismus
DIR Online-Petition
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR VS geht gegen Linken-Abgeordneten vor: Der Wächter wird selbst zur Gefahr
Der Hamburger Verfassungsschutz will Deniz Celiks Kritik an der Behörde
juristisch verbieten. So schützt man keine Demokratie, so untergräbt man
sie.
DIR Wissenschaftler über Marx und Demokratie: „Marx würde wählen“
Ein Hamburger Gericht hat kürzlich Karl Marx' Theorien als antidemokratisch
bezeichnet. Quatsch, sagt der Gesellschaftswissenschaftler Alex Demirović.
DIR Klinikchef gegen Pressefreiheit: Wer kritisch berichtet, wird nicht verkauft
Der Chef der kommunalen Kliniken in Ostfriesland mochte Berichte der
Lokalzeitungen nicht. Dann wollte er ein Verkaufsverbot in den Häusern
erlassen.
DIR Mitarbeiter von SPD-Mann abgewiesen: Antifa-Shirt im Bundestag unerwünscht
Ein Mitarbeiter des SPD-Abgeordneten Droßmann wird wegen eines
Antifa-Shirts der Zugang zum Bundestag vorübergehend verwehrt. Droßmann ist
empört.
DIR Klage der Marxistischen Abendschule: Ein Gespenst geht um im Verwaltungsgericht
Ein Hamburger Gericht äußert Zweifel an Karl Marx' Verfassungstreue. Steht
jetzt jeder Marx-Lesekreis unter Verdacht?
DIR Petitionsplattform innn.it: Haltung statt Gemeinnützigkeit
Als Reaktion auf ein Urteil des Bundesfinanzhofs verzichtet die
Petitionsplattform innn.it auf ihre Steuerbegünstigung.