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       # taz.de -- Französischer Aktivist über Olympia: „Migranten sollten die Postkartenkulisse nicht stören“
       
       > Die Olympischen Spiele von Paris 2024 gelten den nun konkurrierenden
       > deutschen Bewerberstädten und -regionen als Vorbild. Davor warnt Paul
       > Alauzy.
       
   IMG Bild: Gated Paris, Sommer 2024
       
       taz: Herr Alauzy, auch wenn Sie [1][als Anti-Olympia-Aktivist] vor und
       während der Olympischen Spiele von Paris immer wieder mit Kritik in
       Erscheinung traten – hatten die Spiele aus Ihrer Sicht denn auch schöne
       Seiten? 
       
       Paul Alauzy: Selbstverständlich! Es gab so viele schöne sportliche Erfolge
       bei den Spielen, die Stadt war voll von Menschen aus aller Welt, das
       Organisationskomitee und die Regierung haben die Spiele gut vorbereitet.
       Toll ist auch, [2][dass der öffentliche Nahverkehr ausgebaut wurde]. Wir
       stellen uns nicht hin und sagen, dass Olympia der reinste Albtraum war –
       das war es nicht.
       
       taz: Und doch? 
       
       Alauzy: So eine schöne Party hat ihren Preis. Obdachlose wurden vertrieben,
       Umwelt zerstört, Aktivisten ins Gefängnis gesperrt. Das muss man sich
       klarmachen. Olympia war wie ein Paradies für ein paar ausgewählte Leute,
       während andere in dieser Zeit die Hölle durchlebten.
       
       taz: Wie meinen Sie das genau? 
       
       Alauzy: Für mich als weißen Mann aus der Mittelklasse war das sehr
       angenehm, wenn ich mit meinem Fahrrad in diesen drei Wochen durch die Stadt
       fuhr – die vielen Polizisten, die an jeder Ecke standen, waren alle sehr,
       sehr höflich. Anders sah das etwa für Schwarze Menschen oder Obdachlose
       aus. Ihnen gegenüber zeigte sich die Polizei und das Militär sehr
       aggressiv.
       
       taz: Das heißt, unterm Strich hatten sich Ihre zuvor geäußerten
       Befürchtungen bewahrheitet? 
       
       Alauzy: Nun ja, wir hatten die Befürchtung, dass sich die Vertreibung von
       Obdachlosen auf die drei Wochen beschränkt und kurz davor beginnt. Doch je
       näher die Spiele rückten, desto deutlicher erkannten wir, dass die soziale
       Säuberung schon längst im Gang war: Schon im Mai, also viele Wochen vor den
       Spielen, waren rund 12.500 Menschen vertrieben worden. Die Straßen waren
       schon längst leergefegt.
       
       taz: Wie ging das vonstatten? 
       
       Alauzy: Sie wurden von Polizeieinheiten abgeholt, in eine Massenunterkunft
       gesteckt, um sie anschließend mit dem Bus in den Rest des Landes zu
       verfrachten. Dafür hat die Regierung extra eine Regelung geschaffen: In den
       kleineren Städten sollten sie für eine kurze Zeit eine Unterkunft bekommen.
       In den meisten Fällen landeten die Umgesiedelten danach auf der Straße.
       
       taz: Von der Pariser Straße auf eine Straße in der Provinz. 
       
       Alauzy: Nicht unbedingt. Einige Wochen vor den Spielen räumte eine Einheit
       ein von um die 500 Migranten besetztes Haus. Es war nur unweit des
       olympischen Dorfes. Sie sollten die gewünschte Postkartenkulisse nicht
       stören.
       
       taz: Die Vertreibung war also längst abgeschlossen, ehe sich die Blicke auf
       Paris richteten. 
       
       Alauzy: Weitgehend. Eine Woche vor den Spielen wurden die letzten rund 800
       Obdachlosen von der Straße geholt. Ihnen wurde versprochen, für drei Monate
       in Schulen oder Hotels schlafen zu dürfen. Das klingt okay, nur als sie
       wieder auf die Straße gelassen wurden, sie ihre alten Schlafplätze
       aufsuchten, da konnten sie dort nicht mehr hin – die Orte blieben mit
       Steinblöcken und Stacheldraht abgesperrt. Paris ist jetzt eine
       verbarrikadierte Stadt.
       
       taz: Das olympische Dorf sollte nach den Spielen zu einem nachhaltigen
       neuen Stadtteil umgewandelt werden, mit vielen Sozialwohnungen. Auch in
       Paris wird zusätzlicher Wohnraum dringend gebraucht, oder? 
       
       Alauzy: Es stehen schätzungsweise 300.000 Wohnungen in der Region Paris
       leer – in vielen Fällen, weil die Eigentümer auf steigende Preise setzen.
       Also: Eigentlich brauchen wir nichts neu bauen. Aber was die Umwandlung des
       olympischen Dorfs angeht: Das war eines dieser wundervollen Versprechen vor
       den Spielen, auf dessen Einhaltung wir jetzt, ein Jahr nach den Spielen,
       noch immer warten. Gerade einmal eine einzige Wohnung ist da jetzt
       fertiggestellt worden und kann besichtigt werden. Sie soll 350.000 Euro
       kosten und damit rund 30 Prozent über dem durchschnittlichen Marktpreis in
       der Gegend liegen. Auf die Sozialwohnungen warten wir noch.
       
       taz: Mithilfe eines extra erlassenen Gesetzes wurde KI-Videoüberwachung des
       öffentlichen Raums temporär ermöglicht. Die Pariser Polizei hatte schon vor
       den Spielen den Wunsch geäußert, die Technik auch danach weiterzunutzen.
       Wie ist der aktuelle Stand? 
       
       Alauzy: Das ist ein schönes Beispiel dafür, dass Olympische Spiele nicht
       nur soziale Kosten verursachen, sondern auch demokratische Kosten. Nach den
       Spielen hat der Pariser Polizeipräsident, ganz nebenbei, bestätigt, dass
       die Videoüberwachung des öffentlichen Raums mit KI weiterbestehen bleibt.
       Das erhöhe schließlich die Sicherheit. Mithilfe der KI lässt sich schnell
       abnormales Verhalten erkennen, wenn sich also etwa eine größere Gruppe
       Menschen versammelt, um gegen etwas zu demonstrieren. Das wird damit nun
       schneller unterbunden werden können, selbst wenn es sich gar nicht um
       gewalttätiges Verhalten handelt.
       
       taz: In Deutschland wollen sich nun [3][vier Städte beziehungsweise
       Regionen] für Olympia bewerben – glauben Sie daran, dass die Olympischen
       Spiele ohne die genannten Kehrseiten möglich sind, also zumindest
       theoretisch eines Tages in Deutschland denkbar wären? 
       
       Alauzy: Solange sich die modernen Olympischen Spiele nicht radikal
       verändern, halte ich das nicht für möglich. Mit den Olympischen Spielen der
       Gegenwart gehen immense Kosten einher, nicht nur finanziell, damit geht
       Korruption einher, Gentrifizierung und massive Polizeipräsenz und -gewalt.
       Wenn aber die Zivilgesellschaft wirklich eine Rolle spielen dürfte, es
       wirklich nur um den Sport, die internationale Solidarität und um das
       friedliche Zusammenkommen von Menschen aus der ganzen Welt gehen würde –
       dann glaube ich schon daran, dass sie ohne die Kehrseiten möglich sind.
       
       8 Aug 2025
       
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