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       # taz.de -- Klassenkampf an der Imbissbude: Der Döner, 10 Euro und ein Trugschluss
       
       > Der Kultstatus der fleischigen Kulttasche wird erheblich gestört – durch
       > Preissteigerungen, die die einen belasten und von denen die anderen
       > nichts haben.
       
   IMG Bild: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (r) zu Besuch beim deutschen Botschafter in der Türkei, am 22.4.2024
       
       Es gibt Dinge, die sollten ewig halten: Lieblingspullis, Festivalbändchen –
       und der Döner um die Ecke. Unkompliziert, erschwinglich, leicht
       knoblauchig. Ein Stück Alltag, ohne den Impuls, zur Delikatesse zu werden.
       Dieser dampfende, tropfende, leichte Handschmeichler in Alufolie – er ist
       Mahlzeit und Gesellschaftskitt. Der Döner ist vielleicht das letzte große
       Lagerfeuer der urbanen Zivilisation. Man steht nebeneinander, murmelt „mit
       alles“, nickt beim „scharf?“ und zahlt bar. Für einen kurzen, Moment:
       Klassenunterschiede gelöscht.
       
       Bürohengst, Bauarbeiter, BWL-Student, Nachtschwärmer – alle vereint im
       heil(ig)en Dreiklang aus Brot, Fleisch, Soße. Kein Dresscode, kein
       Smalltalk, kein Latte-Art. Nur ehrlicher Hunger. Und der Wunsch, dass es
       schnell geht.
       
       Selbst politisch ist der Döner unterdessen, er schaffte es sogar bis in die
       ganz große Politik. Bei seinem Staatsbesuch in der Türkei im April 2024
       überreichte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier tatsächlich einen
       Dönerspieß. Nein, keine Pointe – das war das offizielle Gastgeschenk. Der
       Präsident, der sonst Kuckucksuhren verteilt, verschenkt Fleisch am Stab.
       Diplomatie auf Spießhöhe.
       
       Doch, oje, auf einmal kratzt der Dönerpreis am Zehn-Euro-Limit. Zehn Euro!
       Für eine einzige Fleischtasche! Man fragt sich: Was haben wir bloß falsch
       gemacht? Und muss lesen: In [1][Murr streiken die Leute am Dönerspieß]. Sie
       wollen bessere Löhne, Tarifverträge, faire Bedingungen. Richtig so, klingt
       völlig selbstverständlich. Aber das ist es in der Branche nicht. Und
       plötzlich wird Dönerkulinarist:innen bewusst: Der günstige Döner war
       offensichtlich nie wirklich günstig, sondern subventioniert. Und das nicht
       etwa durch die Lebensmittelindustrie, das Verbraucherministerium oder etwa,
       weil Dönerlädenbetreiber:innen an den Döner für alle glauben. Nein,
       es wurde subventioniert durch harte Arbeit, schlechten Lohn, zu wenig
       Anerkennung. Der Döner war immer günstig.
       
       Während der [2][Döner längst Kulturgut] geworden ist, kämpfen in der
       Produktion viele um das Selbstverständliche: faire Löhne, Tarifverträge,
       sichere Arbeitsbedingungen. Das ist in der Dönerbranche aber Ausnahme statt
       Regel und sagt mehr über die Arbeitsverhältnisse hierzulande als jede
       Sonntagsrede. Wenn sich am Ende niemand zuständig fühlt – weder die Politik
       noch die Branche und nicht einmal wir an der Theke – dann bleibt dem Döner
       wohl nichts anderes übrig, als ins Exil zu gehen.
       
       9 Aug 2025
       
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