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       # taz.de -- Film über Verschwörungstheoretiker: Die Putzfrau ist ein „Repto“
       
       > Durchdringen noch möglich? In ihrem Dokumentarfilm „Soldaten des Lichts“
       > zeigen Julian Vogel und Johannes Büttner die Schwurblerszene in
       > Deutschland.
       
   IMG Bild: Einen Vogel haben im Dokumentarfilm „Soldaten des Lichts“ so einige
       
       Das Geschäft mit dem, was wir Wirklichkeit nennen, hat sich spätestens mit
       der Coronapandemie nachhaltig verändert. Klar gab es immer schon
       Verschwörungsmythen. Viele Studien belegen, dass gerade Krisenzeiten der
       perfekte Nährboden dafür sind. Dass Menschen aus (existenziellen)
       Unsicherheiten plötzlich einem Bären aufsitzen und vor allem auch, dass
       (politische) Ideologen diese Mythen aus Eigeninteresse und Kalkül
       instrumentalisieren.
       
       In den USA können wir Letzteres gerade live und in oranger Farbe
       beobachten: Multiversen scheinen heute („They’re eating the cats“)
       buchstäblich zu existieren. Wie so eine ganz eigenen Regeln und Gesetzen
       folgende Welt von innen aussieht, zeigt Julian Vogels und Johannes Büttners
       Dokumentarfilm „Soldaten des Lichts“.
       
       Völlig neutral und mit neugierigem Blick folgt der Film David aka Mister
       Raw, mit dem Büttner zur Schule gegangen ist, in die Reichsbürger- und
       Schwurblerszene. David ist der Kopf hinter der Rohkosteria Frankfurt, einem
       roh-veganen Restaurant, dessen Außenfenster im Film der Schriftzug „Faschos
       verpisst euch“ schmückt. Darüber hinaus vermarktet er als roh-veganer
       Influencer seine irrsinnigen Ideen und agiert nahe an den Reichsbürgern und
       weiteren verschwörungsideologischen Szenen.
       
       Der charismatische, völlig von sich überzeugte junge Mann lebt super
       gesund, er pflegt den Garten seiner hellen Wohnung und propagiert gegenüber
       seinen Fans und Kunden solche Dinge wie Selbstoptimierung und krude
       Heilmethoden. „Du bist mitten in der Entgiftungsphase. Der Krebs stirbt,
       wenn die Temperatur bei 42 Grad ist“, erzählt er einer Krebskranken am
       Telefon, die sich von seinen Wildkräutersäften Heilung erhofft.
       
       ## Soldaten des Lichts
       
       Mit Timo hält er sich quasi einen Arbeitssklaven, der Umbauten in seinem
       Laden macht oder ihm Pflanzendrinks mixt. Er habe Timo gerettet, erzählt
       David stolz seinen Followern. „Timo war schwer psychotisch, völlig in einer
       anderen Welt, von der Dunkelheit komplett besetzt, und was wir mit ihm
       gemacht haben, Leute, ist nicht nur auf geistiger, sondern auf körperlicher
       Ebene zu sehen.“ Sie seien „Soldaten des Lichts“.
       
       Von Timos Eltern erfahren wir gegen Ende des Films, dass es bei ihrem Sohn
       mit Coronademos und Spaziergängen angefangen habe, bei denen er mit Leuten
       aus der Szene in Kontakt gekommen sei. Mit Blick auf
       Radikalisierungsmechanismen manifestieren sich in dem tragischen Schicksal
       des psychisch vulnerablen Sohnes die Gefahren einer von
       Verschwörungstheorien getragenen Szene.
       
       Es macht schwindelig, wie sich in diesen Kreisen – das zeigt „Soldaten des
       Lichts“ bewusst ausgiebig – die verrücktesten Ideen ganz selbstverständlich
       aufeinanderstapeln. Da sagt ein gefeierter Geistheiler im Interview mit
       David so etwas wie „In der Endzeit ist alles möglich“, er hält die Putzfrau
       für einen „Repto“ – Verschwörungsdeutsch für Reptiloid, ein
       menschenähnliches Wesen mit reptilienartigen oder außerirdischen
       Eigenschaften – und erzählt dem Influencer in der Interviewpause, dass er
       mit seinen Pseudotherapien soviel Geld gemacht habe, dass er nicht wisse,
       wohin damit.
       
       Auch Peter Fitzek, der selbsternannte König des Reichsbürger-Deep-States
       beziehungsweise Fantasiestaates „Königreich Deutschland“, taucht im Film
       auf. Er gibt sich als großer Führer und Superheiler, der eine Mutter nach
       der Geburt per „Schnellheilung“ derart wieder hergestellt haben will, dass
       eine Ärztin einen Tag später von ihrer Niederkunft keine Spuren mehr
       gefunden haben soll. „Ohhh“, raunen und nicken David und weitere Jünger.
       
       ## Alle sind überzeugt
       
       Das Erschreckende ist, dass die Protagonisten wirklich überzeugt von dem zu
       sein scheinen, was sie selbst oder die kapitalistisch-kalkuliert denkenden
       Szene-Dudes wie David von sich geben. Vogel und Büttner zeigen eine in sich
       geschlossene Parallelrealität, die sich nicht auf einem fernen Planeten
       findet, sondern mittendrin in unserer Gesellschaft. Wie soll man zu diesen
       Menschen noch durchdringen? Das ist eine zentrale Frage, die der Film
       produktiv provoziert, ohne sich anzumaßen, sie beantworten zu können.
       
       „Soldaten des Lichts“ ist ein weiterer deutscher Dokumentarfilm, der in
       eine zweifelhafte Szene eintaucht. Schon 2018 porträtierten Pablo Ben Yakov
       und André Krummel in „Lord of the Toys“ einen Influencer und seine
       palavernde Influencer-Clique, die mit dumpfen, gewaltverherrlichenden und
       auch rechten Inhalten erfolgreich sind, manche mehr, manche weniger.
       
       Das aktuelle Dokumentarfilmkino operiert glücklicherweise alles andere als
       politikverdrossen gegen unsere nach rechts kippende Gegenwart. Auch mit
       [1][Martina Priessners „Die Möllner Briefe“] und Marcin Wierzchowskis „Das
       Deutsche Volk“ kommen im September zwei Filme in die Kinos, die die Folgen
       drastischer rechter Gewalt zeigen.
       
       Ersterer beleuchtet, ausgehend von dem rassistischen Brandanschlag von
       Mölln im November 1992, Erfahrungen der Überlebenden und erzählt von
       Solidarität. Wierzchowski begleitet die Hinterbliebenen und Überlebenden
       des Anschlags von Hanau im Jahr 2020 bei ihrer Trauerarbeit und zeigt
       ihren Kampf um Anerkennung und die Aufarbeitung der Tat.
       
       Auch „Soldaten des Lichts“, der eine objektivere Perspektive wählt, ist
       politisches Kino. Er erzählt nicht von den Folgen kollektiver Gewalt, aber
       porträtiert eindrücklich eine Szene, die – das klingt im Film an mehreren
       Stellen an – nahe an faschistoiden Vorstellungen und Parteien wie der AfD
       operiert. Und der mit ihren Kapitalisierungs- und Machtmechanismen keine
       Ideologie zu bekloppt und damit alles zuzutrauen ist. „Ich kreiere meine
       eigene Wirklichkeit“, sagt David. Ein brandaktuelles, gefährliches Mantra
       mit antifaktischer und meist antidemokratischer Grundierung.
       
       9 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
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   DIR Jens Balkenborg
       
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