URI: 
       # taz.de -- Aktivistin Ibtissame Lachgar: Die „meistgehasste Frau Marokkos“ wurde festgenommen
       
       > Die marokkanische Feministin Ibtissame Lachgar wird der Blasphemie
       > beschuldigt. Sie hatte ein Shirt mit der Aufschrift „Allah ist lesbisch“
       > getragen.
       
   IMG Bild: Sorgt mit ihren Aktionen für Aufsehen: die Aktivistin Ibtissam Lachgar
       
       Die marokkanische Feministin und Menschenrechtsaktivistin Ibtissame Lachgar
       wurde am Sonntag verhaftet. Die Staatsanwaltschaft in der Hauptstadt Rabat
       beschuldigt die 50-Jährige der „Blasphemie“ – der Gotteslästerung – und
       „der Beleidigung der islamischen Religion“. Der Grund: Sie hatte [1][Ende
       Juli auf X ein Foto von sich veröffentlicht], auf dem sie ein T-Shirt mit
       der Aufschrift „Allah ist lesbisch“ trägt.
       
       Das Bild ging viral, aber nicht im positiven Sinne. Es sorgte für
       Wutausbrüche und Drohungen gegen Ibtissame Lachgar, die in ihrem Umfeld
       gerne „Betty“ genannt wird. Nach eigenen Angaben gingen bei ihren Accounts
       auf sozialen Netzwerken „tausende Vergewaltigungsaufrufe, Morddrohungen und
       Aufrufe zur Steinigung“ ein.
       
       Marokko ist ein konservatives und religiöses Land. [2][König Mohamed VI.]
       ist laut der Verfassung der „Chef aller Gläubigen“. Wer Kritik an der
       Religion übt, lebt gefährlich. „Aus zwingenden Gründen wurde die betroffene
       Frau in Untersuchungshaft genommen“, heißt es in der Erklärung der
       Staatsanwaltschaft.
       
       Lachgar, die in Frankreich und Marokko aufwuchs, hat die doppelte
       Staatsbürgerschaft. Sie ging in Rabat auf die französische Auslandsschule,
       das Lycée Decartes, und studierte in Paris Psychologie. Die Tageszeitung El
       Faro de Melilla in der spanischen Exklave an der nordafrikanischen
       Mittelmeerküste erklärte sie bereits vor Jahren zur „meistgehassten Frau
       Marokkos“. 2009 gründete sie zusammen mit einer Freundin die „Alternative
       Bewegung für individuelle Freiheiten“ – auf Französisch abgekürzt: Mali.
       Mali bedeutet im marokkanischen Dialekt so viel wie „Was ist los mit dir?“
       oder „Was wirfst du mir vor?“.
       
       ## Auf der Todesliste
       
       Die erste Aktion der Gruppe war ein Picknick mitten im Fastenmonat Ramadan.
       Es kamen sechs TeilnehmerInnen und über 100 Polizisten. Auch weitere
       Aktionen sorgten für Aufsehen. So rief Mali zu einem Kiss-in vor dem
       Parlament in Rabat auf, nachdem ein jugendliches, unverheiratetes Paar 2013
       wegen eines Kussfotos von sich auf Facebook wegen „Erregung öffentlichen
       Ärgernisses“ festgenommen worden war.
       
       Mali tritt außerdem für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ein und
       [3][lud das holländische Abtreibungsschiff „Women on Waves“ 2012 ein]. Die
       Kriegsmarine rückte aus, um das Schiff zu suchen und zu blockieren. Die
       Holländerinnen allerdings hatten schon Tage zuvor, als Urlaubsyacht
       getarnt, in einem marokkanischen Hafen festgemacht. Marokkanische
       Pro-Choice-Aktivistinnen gelangten an Bord und spannten Transparente auf.
       Wochenlang bestimmte die Aktion die öffentliche Debatte. „Mali ist die
       einzige Bewegung zivilen Ungehorsams in Marokko, deshalb schockieren unsere
       Aktionen die Menschen“, erklärte Lachgar gegenüber der Tageszeitung in
       Melilla. „Menschenrechte sind universell und voneinander abhängig, und das
       ist in muslimischen Ländern wie Marokko ein großes Problem“, fügte sie
       hinzu.
       
       Lachgar bezeichnet sich offen als Atheistin und begeht damit in Augen der
       Konservativen ein weiteres Verbrechen. Für sie ist der Islam „wie alle
       religiösen Ideologien, faschistisch, phallokratisch und frauenfeindlich“.
       
       Nicht nur die marokkanische Justiz und die konservativen, religiösen
       Parteien wurden schnell auf Lachgar aufmerksam. Die streitbare Frau steht
       seit 2015 ganz offiziell auf einer von der Terrortruppe „Islamischer Staat“
       verfassten Todesliste.
       
       Nach ihrer Verhaftung am Sonntag hat die Justiz 48 Stunden Zeit, Betty
       Lachgar anzuklagen. Im Falle eines Gerichtsverfahrens drohen ihr bis zu
       fünf Jahre Gefängnis.
       
       11 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://x.com/IbtissameBetty/status/1951019429069717764
   DIR [2] /Konflikt-mit-Algerien/!5829154
   DIR [3] /Abtreibungsschiff-aus-den-Niederlanden/!5082461
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reiner Wandler
       
       ## TAGS
       
   DIR Marokko
   DIR Feministinnen
   DIR Menschenrechtsaktivistin
   DIR Blasphemie
   DIR Menschenrechte
   DIR Frauenrechte
   DIR Marokko
   DIR Marokko
   DIR Marokko
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Jugend in Marokko: Die „GenZ 212“ protestiert
       
       In der Jugend des nordafrikanischen Landes herrscht große Unzufriedenheit.
       Protestierende verlangen Bildung, Rechenschaft und Gesundheit vor Fußball.
       
   DIR Alleinerziehende Frauen in Marokko: Paragraf 490 drängt sie an den Rand
       
       Fatiha und Yasmine sind alleinerziehende Mütter in Marokko. Das dortige
       Familiengesetz macht ihnen das Leben schwer. Jetzt soll es reformiert
       werden.
       
   DIR Feministisches Manifest im Netz: Aufbegehren in Marokko
       
       Marokkanische Frauen bekennen sich zu Abtreibung und außerehelichem Sex.
       Sie fordern die Abschaffung dafür verhängter Haftstrafen.
       
   DIR Abtreibungsschiff aus den Niederlanden: Solidarität mit Marokkos Frauen
       
       Ein holländisches Klinikschiff mischt Marokko auf: Es bietet Abtreibungen
       an. Der Staat blockiert und lässt bei Anlegen des Schiffs den Hafen
       abriegeln.