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       # taz.de -- Inklusion für sehbehinderte Fußballfans: Echte Pionierarbeit
       
       > In Sachen digitaler Barrierefreiheit ist im Fußball noch viel Luft nach
       > oben. Der 1991 gegründete Fanclub „Sehhunde“ zeigt, wie es geht.
       
   IMG Bild: Regina Hillmann (roter Anorak) war schon damals dabei: Hertha BSC gegen den 1.FC Köln 2006 im Olympiastadion
       
       Der 15. Oktober 1999 war ein historischer Tag. Nicht so sehr, weil Bayer
       Leverkusen den SSV Ulm mit 4:1 schlug und Ulf Kirsten dabei zwei Tore
       schoss, sondern weil die Partie das erste Fußballspiel in Deutschland war,
       bei dem es im Stadion eine Blindenreportage gab. Umgesetzt wurde diese Idee
       gemeinsam mit dem Fanklub Sehhunde, einem 1991 gegründeten Zusammenschluss
       von blinden und sehbehinderten Fußballfans.
       
       Schon damals [1][mit dabei war Regina Hillmann] – eigentlich Fan des 1. FC
       Köln – als Mitbegründerin und langjährige Vorsitzende der Sehhunde. In der
       Anfangszeit war es ihnen vor allem um den Austausch untereinander gegangen,
       erzählt sie. „Aber das Thema Blindenreportage ist schnell eine wichtige
       Aufgabe des Vereins geworden und auch geblieben.“
       
       „Echte Pionierarbeit war das“, sagt Manuel Beck. Er selbst war 1999 gerade
       einmal zwölf Jahre alt und lebte als Fan des FC Bayern in Oberfranken.
       Inzwischen wohnt er in Köln, versteht sich eher als Fußballfan denn als Fan
       eines bestimmten Vereins und ist seit März 2. Vorsitzender der Sehhunde.
       Auch beruflich befasst er sich mit Inklusion – unter anderem beim [2][DJK
       Sportverband Köln]. Ein Thema, das dabei in letzter Zeit zunehmend in den
       Fokus gerückt ist, ist digitale Barrierefreiheit. „Das ist aktuell ein
       Riesenthema“, sagt er.
       
       In der Tat hat sich viel verändert seit 1999. Damals nutzten weniger als 20
       Prozent der Menschen in Deutschland das Internet. Heute sind es 95 Prozent.
       Auch im Fußball läuft heute vieles von der Vereinskommunikation bis hin zum
       Ticketverkauf fast ausschließlich online. Was für viele Menschen ungemein
       praktisch ist, kann für andere – vor allem Ältere und Menschen mit
       Behinderungen – eine weitere Barriere darstellen. Blinde und Sehbehinderte
       zum Beispiel nutzen, wenn sie im Internet surfen, meist einen sogenannten
       Screenreader, der den Inhalt einer Seite vorliest.
       
       ## Wie es geht
       
       Wie gut das funktioniert, hängt jedoch stark davon ab, wie eine Seite
       aufgebaut ist, wie Beck aus eigener Erfahrung weiß. „Wenn da zum Beispiel
       sechs Links sind, die alle ‚Anmeldung‘ heißen, dann muss ich mich erst
       einmal durchklicken, um den richtigen zu finden“, erzählt er. Auch Bilder
       ohne beschreibenden Alternativtext sind ein häufiges Problem. Die Grundlage
       für alles ist jedoch, dass eine Website übersichtlich aufgebaut und einfach
       zu navigieren ist.
       
       Das sagt auch Carlo Kosok, stellvertretender Projektleiter und Experte für
       digitale Barrierefreiheit bei [3][KickIn!], einer Beratungsstelle für
       Inklusion im Fußball. „Inklusion ist ein Prozess und das Ziel ist Vielfalt
       und Teilhabe“, sagt er. Man könnte auch sagen, es ist kein Sprint, sondern
       ein Marathon. Overlay-Tools für bessere Lesbarkeit zum Beispiel, wie viele
       Vereine sie jetzt verwenden, versprechen einfache Lösungen, sie rühren
       jedoch nicht an den Kern des Problems, weil sie zum Beispiel keine
       Kompatibilität für Screenreader oder Navigierbarkeit per Tastatur
       garantieren.
       
       Programmierung ist jedoch nicht alles. „70 Prozent der Barrierefreiheit
       finden in der Redaktion statt“, schätzt Kosok. Besonders hilfreich zum
       Beispiel sind Inhalte in Leichter Sprache. Je nach Schätzungen profitieren
       zwischen 10 und 14 Millionen Menschen in Deutschland von Angeboten in
       dieser vereinfachten Form des Deutschen. Nicht nur Menschen mit
       Lernschwierigkeiten oder kognitiven Einschränkungen können Leichte Sprache
       besser verstehen, sondern zum Beispiel auch Menschen mit eingeschränkten
       Deutschkenntnissen oder nachlassender Konzentrationsfähigkeit.
       
       ## Betroffene werden zu selten eingebunden
       
       „Man muss zwischen rechtlicher und tatsächlicher Teilhabe unterscheiden“,
       sagt auch Beck. Es nütze wenig, wenn zwar Standards erfüllt werden, aber in
       der Praxis die usability für Betroffene trotzdem nicht gegeben ist. Zu
       häufig, so Beck, werden diese in den Prozess nicht einmal eingebunden,
       sondern bekommen nur das fertige Ergebnis vorgesetzt. Dabei gäbe es häufig
       Fans und Vereinsmitglieder, die bereitwillig ihr Wissen teilen würden. Ein
       Best-Practice-Beispiel hierfür sei der VfL Wolfsburg. Vor allem aber müsse
       man am Ball bleiben. „Es bringt wenig, wenn ich etwas ändere und drei
       Updates später habe ich es vergessen und es funktioniert nicht mehr.“
       
       Was es offenbar braucht, ist ein generelles Umdenken. „Barrierefreiheit
       muss die Basis für alles sein“, sagt Kosok. „Eine logisch aufgebaute
       Internetseite mit klarer Bedienbarkeit und guter Auffindbarkeit hilft am
       Ende allen“, sagt Beck.
       
       Am besten auf den Punkt jedoch bringt es am Ende wahrscheinlich wieder
       einmal die Pionierin Regina Hillmann: „Viele verfahren nach dem Motto
       ‚Hauptsache wir machen irgendwas‘. Wir müssen aber dahin kommen, dass wir
       sagen: Ich mache das sinnvoll und gut und vor allem mache ich das auch
       gerne.“
       
       11 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Die-Sehhunde-aus-Hamburg-koennen-Fouls-hoeren/!5428019/
   DIR [2] https://www.djkdvkoeln.de/
   DIR [3] https://inklusion-fussball.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Tölva
       
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