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       # taz.de -- Kritik an Journalisten-Tötung in Gaza: Ein Mord wird zum Politikum
       
       > Die israelische Armee tötete den Journalisten Anas al-Sharif in Gaza. Nun
       > wachsen Zweifel an den vermeintlichen Belegen einer Hamas-Mitgliedschaft.
       
   IMG Bild: War sich seit Juli 2025 bewusst, im Visier israelischer Streitkräfte zu stehen: Anas al-Sharif in Gaza-Stadt 2024
       
       Tunis taz | Nach der gezielten Tötung des palästinensischen
       [1][Journalisten Anas al-Sharif] durch einen Luftangriff der israelischen
       Armee herrscht im Gazastreifen und in diplomatischen Kreisen Empörung. In
       der Nacht auf Sonntag hatte eine Drohne das Medienzelt vor dem
       Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt ins Visier genommen, indem sich
       al-Sharif, vier weitere Journalisten des [2][katarischen TV-Senders Al
       Jazeera] sowie ein freier Journalist befanden.
       
       Stunden zuvor hatte die Bombardierung begonnen: Am Freitag hatte das
       israelische Sicherheitskabinett die Eroberung von [3][Gaza-Stadt]
       beschlossen, die Journalisten hatten in den Stunden vor ihrem Tod von den
       zahlreichen Opfern berichtet, die in das Al-Schifa-Krankenhaus eingeliefert
       wurden.
       
       Die israelische Armee (IDF) bestätigte am Montag den gezielten Angriff mit
       insgesamt sieben Toten. Al-Sharif galt als alleiniges Ziel des Angriffs,
       heißt es. Die IDF behauptet, Al-Sharif sei nicht nur Journalist, sondern
       auch Anführer einer Raketenzelle der Hamas. Er habe auch ein Gehalt von der
       Hamas bezogen, so die IDF.
       
       Die Armee hat bereits im vergangenen Jahr mehrere Excel-Tabellen und
       Dokumente samt vermeintlichem Dienstgrad, ID- und Telefonnummer
       veröffentlicht, die beweisen sollen, dass al-Sharif seit Dezember 2013
       aktiver Kämpfer des Ostdschabalija-Bataillons der Hamas gewesen sei.
       Verifizieren ließen sich die Dokumente bislang nicht, einige Medien halten
       sie für unglaubwürdig.
       
       ## Fotos zeigen Anas al-Sharif zusammen mit Jahia Sinwar
       
       Warum die israelische Armee al-Sharif erst jetzt tötete, bleibt unklar.
       Kritiker vermuten, dass damit eine wichtige journalistische Stimme aus Gaza
       zum Schweigen gebracht werden soll. Sein Arbeitgeber Al Jazeera weist die
       Vorwürfe vehement zurück und fordert wie der UN-Generalsekretär António
       Guterres eine unabhängige Untersuchung.
       
       Der 28-jährige al-Sharif studierte an der Al-Aksa-Universität in Gaza
       Journalismus und berichtete seit dem Einmarsch der israelischen Armee in
       den Gazastreifen Ende Oktober 2023 immer wieder direkt aus dem
       Kampfgeschehen. Zwischen Casablanca und Bagdad liefen seine Aufsager vor
       der Kamera seit zwei Jahren fast täglich auf den Mobiltelefonen unzähliger
       Zuschauer. 2024 war er Teil eines Reuters-Teams, das in der Kategorie
       „aktuelle Fotoberichterstattung“ mit dem renommierten Pulitzer-Preis
       ausgezeichnet wurde.
       
       Mehrere Fotos zeigen Anas al-Sharif zusammen mit dem im Oktober 2024
       getöteten Hamas-Anführer Jahia Sinwar sowie anderen ranghohen Funktionären.
       Laut [4][der britischen BBC] arbeitete al-Sharif vor dem aktuellen Krieg
       für ein Medienteam der Hamas.
       
       Auch ein Screenshot eines angeblichen Beitrags von seinem offiziellen
       Telegram vom 7. Oktober 2023, dem Tag des Hamas-Überfalls auf Israel, macht
       seit seiner Tötung in den sozialen Medien die Runden. „9 Stunden und die
       Helden ziehen immer noch durch das Land, töten und nehmen Gefangene…Gott,
       Gott, wie großartig ihr seid“. Das soll er am Nachmittag des Angriffs
       geschrieben haben, samt drei grüner Herzen – die Farbe der Hamas.
       
       ## Vorwürfe der IDF gegen al-Sharif sind unbestätigt
       
       Viele User spekulieren darüber, dass der Screenshot ein gezielter Fake sein
       könnte, um al-Sharif zu diskreditieren. Der Beitrag ist auf seinem
       Telegram-Kanal zwar nicht auffindbar, wurde aber offenbar [5][durch die
       Waybackmachine archiviert]. Dieselbe Nachricht veröffentlichte al-Sharif
       scheinbar im Gruppenchat des Telegram-Kanals ungefähr zur selben Zeit des
       Screenshot-Beitrags – und diese ist bis heute über einen [6][offiziellen
       Telegram-Link öffentlich einsehbar].
       
       Bestätigen lassen sich die Vorwürfe der IDF gegen al-Sharif jedoch bislang
       nicht. Deshalb werden die Forderungen einer unabhängigen Untersuchung immer
       lauter. Viele sehen in den Vorwürfen der IDF lediglich den Versuch, einen
       Journalisten zu Unrecht als Terroristen zu brandmarken, um von dem Tod von
       [7][laut Reporter ohne Grenzen] mehr als 200 Journalisten im Gazastreifen
       seit Kriegsbeginn abzulenken.
       
       Unter vielen UN-Diplomaten herrscht Einigkeit: Der Angriff auf das
       Pressezelt vor dem Al-Schifa-Krankenhaus erfülle den Tatbestand eines
       Kriegsverbrechens. Sollte die israelische Regierung keine von unabhängigen
       internationalen Organisationen verifizierte Dokumente vorlegen, würden
       Richter in den Haag aktiv werden, heißt es.
       
       Die UN-Vertreter Algeriens, Chinas, Russlands verurteilten am Montag
       explizit den Angriff auf Anas al-Sharif und seine Kollegen scharf.
       Europäische Diplomaten riefen die israelische Regierung allgemein zur
       Zurückhaltung auf.
       
       ## Live-Schaltung aus einem Flüchtlingslager in Gaza
       
       Die Regierung in Washington war vor dem Angriff von der israelischen
       Regierung sogar informiert worden, heißt es – und schwieg. Ein Indiz dafür,
       dass man sich in Jerusalem bewusst war, welche gravierenden Auswirkungen
       der Angriff auf die weltweite Wahrnehmung des israelischen Vorgehens haben
       würde.
       
       Anas al-Sharif war sich spätestens seit Juli bewusst, im Visier
       israelischer Streitkräfte zu stehen. Am 24. Juli kritisierte die
       amerikanische Organisation Committee to Protect Journalists (CPJ) den
       IDF-Pressesprecher Avichay Adraee für dessen Vorwürfe, al-Sharif hätte als
       Hamas-Kämpfer vor dem Krieg rund 200 Euro pro Monat erhalten und sei ein
       Terrorist.
       
       Kurz zuvor hatte al-Sharif eine tränenreiche Live-Schaltung aus einem
       Flüchtlingslager in Gaza voller hungernder Familien die Klickzahlen der
       arabischen Al-Jazeera-Website in die Höhe schnellen lassen.
       
       „Wir sind zunehmend alarmiert über die Anschuldigungen gegen Anas al-Sharif
       und fordern die internationale Staatengemeinschaft auf, ihn zu schützen“,
       so CPJ Direktorin Sara Qudah.
       
       Anas al-Sharifs eigene Lageanalyse sah ähnlich aus: „Die Vorwürfe, dass ich
       für die Hamas tätig sei, ist nicht nur eine Kampagne, um meinen Ruf zu
       zerstören. Es ist eine direkte Bedrohung für mein Leben.“
       
       Al-Sharif bestritt stets, irgendeiner politischen Bewegung anzugehören.
       Viele feiern ihn auch nach seinem Tod, weil er lediglich darüber
       berichtete, was er sah: die Zerstörung des Gazastreifens.
       
       12 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Krieg-in-Gaza-/!6105952
   DIR [2] /Westjordanland/!6056674
   DIR [3] /Merz-Isreael-Entscheidung/!6102756
   DIR [4] https://www.bbc.com/news/live/c1dxndnkq6yt
   DIR [5] https://web.archive.org/web/20231127012006/https:/t.me/anas1020304050/22098
   DIR [6] https://t.me/c/1766075169/9006
   DIR [7] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/pressemitteilungen/meldung/rsf-verurteilt-gezielte-toetungen-in-gaza
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mirco Keilberth
       
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