# taz.de -- Die Wahrheit: Schweizer Düdelü
> Auf Reisen alles hinter sich lassen an heimischen Katastrophen ist gar
> nicht so leicht, wenn am Wegesrand kalte Landstriche und ihre Bewohner
> warten.
Das größte Vergnügen für den Liebsten und mich ist, uns davonzustehlen,
obwohl wir dringend daheim gebraucht würden. Auf meinem Schreibtisch hatte
sich ein formschönes Matterhorn aus Korrekturfahnen gebildet und hinter den
Hecken würde Dornröschen die nächsten hundert Jahre nicht mehr gefunden. Da
wollten wir auf keinen Fall länger stören.
Unsere Fahrten ins Blaue ähneln einander wie ein Käse dem anderen. Im Chor
rufen wir gleich nach dem Losfahren: „Na, du weißt bestimmt, wo wir
hinwollen!“, und antworten dann gemeinsam beleidigt: „Wieso ich? Du
wolltest doch …!“
„Ich habe mich schließlich schon ums Auto gekümmert“, punktet der Mann.
Dass unterwegs dann die Alarmanlage jedes Mal fünf Minuten nach dem
Abschließen losheult, macht die Fahrt nur interessanter. Unsere erste
Station ist die Nazi-Hölle Spremberg, wo unser Westauto über Nacht zwecks
Lärmvermeidung unabgeschlossen parkt, von einer Hülle aus niedersächsischem
Angstschweiß nur unzulänglich geschützt. Was soll ich sagen, kein
Rechtsextremist ist in Sicht, es gibt ausschließlich nette Leute und gute
Party. Vor Freude gesundet auch die Alarmanlage über Nacht.
Nun geht es nach Bayern, 15 Grad und Regen, also gleich weiter bis
Bergdoktor. Rund um Ellmau glänzt alles viel schöner als im Fernsehen und
der Wilde Kaiser nimmt Haltung an; ein grüner Mercedes-Oldtimer mit
Medizingeruch kreuzt unseren Weg. „Von rechts nach links, das bringt
Glück!“, jauchze ich.
Das nächste Ziel, Zauberberg, 11 Grad und Regen mit Depressionsgarantie,
lassen wir am Wege liegen, denn manchmal muss man dem Glück auch
nachhelfen. In der Folge wechseln die Orte rasch; bei einem Frühstück wie
ein Fruchtkorbbad in Südtirol und Angstschweizstraßen im Tessin springt
meine persönliche Alarmanlage auch ohne Abschließen vor jeder Kurve an. Das
ganze Land sieht dabei aus wie frisch geföhnt. Bauarbeiter sitzen am
Straßenrand und spielen Karten, weil alles längst heil ist, soweit das Auge
reicht.
Schon bekomme ich Lust, etwas kaputt zu machen, doch sie tun einem da was
ins Essen, das milde stimmt. Folglich spöttele ich nur kraftlos über meine
Mittouristen, um einen Hauch Distinktionsgewinn gegenüber Toupetträgern,
Lippengespritzten und wild diskutierenden Italienern zu verbuchen. Der
Liebste aber kommentiert jedes Phänomen nur sanft: „Das ist bestimmt alles
medizinisch.“
Ein Schweizer Jazzclub ist übrigens das heimliche Ziel unserer Reise, wie
ich unterwegs erfahre. Hier verliert der Mann an meiner Seite seine
Gelassenheit: Zu wenig Funktionsharmonik! „Zu viel düdelü“, übersetzt unser
Schweizer Freund liebevoll für mich. Am zweiten Abend wird dann ordentlich
durchharmonisiert abgeledert und Mann und Schweizer Publikum geraten
endlich total aus dem Hüsli.
Das war schon ziemlich medizinisch, aber es hat mir trotzdem gefallen.
13 Aug 2025
## AUTOREN
DIR Susanne Fischer
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