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       # taz.de -- Sommermode des mittelalten Mannes: Die Rache des Feinripps
       
       > Als Kind trug unser Autor auch im Sommer Jeans. Jetzt schwitzt er darin
       > nur – und erkennt im Unterhemd die Windel des älteren Mannes.
       
   IMG Bild: Das Unterhemd, die Windel des älteren Mannes
       
       Meine erste [1][Blue Jeans] bekam ich zur Einschulung. Als meine Mutter sie
       mir nach einer Woche wieder abnehmen wollte, um sie in die Waschmaschine zu
       stecken, verweigerte ich mich. Nie wieder würde ich eine dieser albernen,
       tatsächlich „Kinderhosen“ genannten, steifen, beigen oder bunten
       [2][Polyester] tragen. Es ging nicht in erster Linie um den Stoff, sondern
       um die Form, den Stil. Ich war jetzt ein Jeansjunge – und daran sollte
       niemand mehr etwas ändern.
       
       Später, in den 1980ern, kamen Accessoires dazu – ein schwarzes Hemd, weiße
       Chucks oder beige [3][Espadrilles] -, aber die dunkelblaue Jeans blieb das
       Zentrum, um das sich mein angezogenes, nach außen getragenes Ich
       gruppierte. So kam ich bis vor ein paar Jahren meiner selbst einigermaßen
       sicher durch die mitteleuropäischen, im wesentlichen auch durch die
       mediterranen Sommer unseres Kontinents.
       
       Und während jüngere Menschen oft gar nicht mehr wissen, was zum Beispiel
       eine 501 ist – wenn sie nicht gleich von „Boomer-Jeans“ sprechen -, fällt
       es mir jeden Morgen schwer, in einer davon wesentlich abweichenden
       Kleidungskombination das Haus zu verlassen.
       
       Die toxische Verbindung von globaler Erwärmung, Gewichtszunahme und
       altersgemäßer Entkräftung hat diese Epoche beendet. Ich kann nicht mehr
       anziehen, was ich will, ich muss nun anziehen, was mich nicht wie eine
       Nacktschnecke eine feuchte Spur hinter mir her ziehen lässt.
       
       Dabei sind für den nicht mehr jungen Mann die sommerlich-medialen
       Kleidungsempfehlungen immer noch recht eindeutig: Soweit im Büro arbeitend
       sind Oberbekleidung, die Körperbehaarung, und Schuhe, die Füße bedecken,
       obligatorisch.
       
       Dass es in den sogenannten Kreativbranchen Verstöße gegen diese Grundsätze
       geben kann, wird zugestanden. Damit sind wir in meiner Blase, in der die
       kurze Hose – von T-Shirt, Tank Top, Kurzarmhemd und Sandale wollen wir gar
       nicht erst anfangen – inzwischen auch unter den älteren Semestern als
       zulässige Arbeitskleidung gilt.
       
       ## Sehr oldschool
       
       Und während ich mit dem (behütenden, panzernden – ich bin da offen für
       Analysen!) Gefühl aufgewachsen bin, dass Kleidung am Körper anliegt, muss
       ich nun akzeptieren, dass es in den neuen deutschen Schwitzesommern nichts
       Lindernderes gibt als wallende, wollene Bein- und Oberbekleidung, unter der
       angeblich die Luft zirkuliert. Meine erste Maßnahme gegen die Hitze war
       allerdings sehr oldschool.
       
       Das (Feinripp-)Unterhemd war jahrzehntelang für mich der Inbegriff
       väterlichen Homedresses oder mütterlicher Abgefeimtheit, die meine
       Spielkameraden einst dazu zwang, unter (!) einem T-Shirt noch ein Unterhemd
       zu tragen. Ich besaß so was gar nicht – danke, Mama!
       
       Später im Leben interviewte ich einen sehr gut aussehenden italienischen
       Krimiautor, der sich gar nicht genug beeumeln konnte über die spießigen
       Herren, die unter ihrem Poloshirt noch ein Unterhemd trugen. Ich glaube, er
       verglich es mit einem Kondom.
       
       Das Unterhemd ist aber vielmehr die Windel des älteren Mannes: Es saugt
       wenigstens ansatzweise das auf, wofür man einst gar keinen Namen hatte, und
       was man heute widerwillig Rückenschweiß nennen muss, der in einschlägigen
       Internetforen in Bezeichnungen mündet, mit denen ich nicht assoziiert
       werden möchte. Das Unterhemd hat dabei auch dieses Gute, dass es den
       unteren meist weiß-dicklichen Bauchnabelbauch und, wenn lang genug, auch
       das ungute Herren-Dekolleté mit exponierter Poritze abdeckt.
       
       ## Versuch der Würdebewahrung
       
       Für den Zentralbereich habe ich allerdings keine Lösung gefunden. Ich mag
       sie einfach nicht, diese pyjamamäßigen Seidenhosen, diese sackaartigen
       Leinenkombinationen, diese Safari-Chinos meiner Altersgenossen. Ich sehe
       die Kostümierung, sehe durch den Versuch der Würdebewahrung hindurch, sehe
       dadurch vor meinem geistigen Auge Dinge, die ich nicht sehen möchte.
       
       Mein Vater hat mir eine feine, schwarze Wollhose seines
       Sommertrachtenanzugs hinterlassen, die geht, aber alle anderen Versuche
       einer für mich tragbaren, langen Sommerhose sind gescheitert. Und wenn ich
       nach der Dusche in die Jeans steige, ist es wie der Eintritt in eine
       Heizröhre, eine Regenrinne, ein Fallrohr. Also ziehe ich mich wieder aus,
       stelle mich vor meinem vollen Kleiderschrank und habe nichts anzuziehen.
       Und stehe letztlich genau so nackt da, wie ich die anderen sehe.
       
       Nacktheit ist aber keine Alternative, wenn man von den Möglichkeiten, die
       das Homeoffice bietet, einmal absieht (und die schneller als man denkt zu
       Peinlichkeiten führen können). Meine Überlegungen gehen deswegen in die
       Richtung: Einerseits muss Kleidung in einer zunehmend und notwendigerweise
       technisch geregelten Dienstleistungswelt nicht mehr auf Klimaanpassung aus
       sein; tendenziell werden wir uns eh hauptsächlich in Räumen und Fahrzeugen
       bewegen, die auf angenehme 20 Grad temperiert sind und überlassen
       Außenarbeiten KI und Robotern.
       
       Andererseits, und das scheint mir interessanter zu sein, ist heute die
       eigentliche Kleidung der Körper. Im klimatisierten Gym, dem zentralen
       Sozialisationsort, vereinen sich Technik und Physis.
       
       Die Generation meiner 20-jährigen Kinder trifft sich dort wie wir früher im
       Freizeitheim. Meine 11-jährige Tochter liebt an ihrem Sport Basketball
       nicht zuletzt, dass er drinnen stattfindet, während wir als Kinder immer
       draußen sein wollten (und sollten).
       
       Ob er nun workoutmäßig modelliert oder körperpositiv exponiert wird – der
       Körper, nicht das, was ihn umhüllt, steht zumindest derzeit im Zentrum. Der
       Körper ist die Challenge, an ihm manifestieren sich Stil und Geschmack. Der
       Weg zum weniger Schwitzen bei hohen Temperaturen führt über den Schweiß,
       bis hin zum sogenannten „Hitzetraining“.
       
       Um der Jeansjunge bleiben zu können, der ich war, müsste ich wieder werden
       wollen, was ich nicht mehr bin. Ich müsste an mir arbeiten, obwohl ich eh
       schon zu viel arbeite.
       
       Und deswegen fahre ich jetzt erst mal in Urlaub, in kurzer Hose, ganz
       bestimmt viel barfuß und vielleicht sogar mal nur im Unterhemd.
       
       13 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ausstellung-Blue-Jeans-in-Osnabrueck/!5849780
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   DIR [3] /Die-perfekten-Sommertreter-finden/!5608769
       
       ## AUTOREN
       
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