# taz.de -- Ökonom über ungerechtes Rentensystem: „Es geht um Umverteilung“
> Weil Beamte länger leben, sollen sie auch länger arbeiten: Die Forderung
> des Ökonomen Matthias Günther polarisiert. Hier erklärt er seinen
> Vorstoß.
IMG Bild: Fünf Jahre mehr im Archivkeller ist das Urteil
taz: Herr Günther, hatten Sie in den letzten Tagen viele Beschwerde-Mails
von Beamten im Postfach?
Matthias Günther: Ich habe reichlich Mails bekommen und man kann klar
erkennen, welche von Beamten stammen und welche von Nicht-Beamten.
taz: Ihr Vorschlag polarisiert also. In einer Untersuchung, die seit dem
Wochenende [1][durch die Medien] geht, fordern Sie: „Beamte sollen 5,5
Jahre länger arbeiten als Arbeiter“.
Günther: Das war durchaus provokativ gemeint. Mit einer starken
Differenzierung kriegen Sie keine Öffentlichkeit.
taz: Erläutern Sie mal: Was steckt hinter der Forderung?
Günther: Das ist relativ simpel. Das Deutsche Institut für
Wirtschaftsforschung (DIW) hat die durchschnittliche Lebenserwartung je
nach Stellung im Beruf errechnet und demnach leben Beamte eben fünfeinhalb
Jahre länger als Arbeiter. Wir können nicht darüber diskutieren, dass die
Menschen mehr arbeiten sollen, weil die allgemeine Lebenserwartung steigt,
aber solche Faktoren nicht berücksichtigen.
taz: Folgt man Ihrer Argumentation, müssten Angestellte am Schreibtisch
auch länger arbeiten als Arbeiter auf dem Bau. Sie leben nämlich ebenfalls
länger.
Günther: Im Kern geht es mir tatsächlich nicht um Beamte, sondern ganz
allgemein um die Lebenserwartung in verschiedenen Einkommensgruppen. Dass
es dazwischen einen Zusammenhang gibt, ist seit Jahrzehnten bekannt.
Geringverdiener leben im Schnitt kürzer, Gutverdiener länger. Gerade in der
gesetzlichen Rente, in der über alle Rentenkommissionen hinweg am
Äquivalenzprinzip festgehalten wurde, führt das zu einer
Gerechtigkeitslücke.
taz: [2][Das Äquivalenzprinzip] besagt: Wer mehr in die Rentenversicherung
einbezahlt hat, bekommt auch eine entsprechend höhere Rente. Was ist da
nicht gerecht?
Günther: Auf den ersten Blick erscheint das Prinzip vielleicht gerecht.
Aber wer eine niedrige Rente bezieht, kriegt sie im Schnitt auch noch
deutlich kürzer als diejenigen mit einer hohen Rente. Innerhalb des
normalen gesetzlichen Rentensystems wäre es daher schon immer angebracht
gewesen, die unteren Renten anzuheben und die oberen ein Stück weit zu
kappen. So hätte man am Ende gerechteres System.
taz: Damit sind wir aber weg von den Beamten und ihren Pensionen. Sie haben
ja mit der Rentenversicherung nichts zu tun.
Günther: Am Ende landen wir beim Vorschlag des DIW, einen Boomer-Soli
einzuführen. Er würde alle Arten von Alterseinkünften einbeziehen, also das
gesamte Einkommen erfassen – nach dem sich am Ende ja die Lebenserwartung
richtet.
taz: Der [3][Vorschlag aus dem Juli] besagt, über einem bestimmten
Freibetrag eine Abgabe von zehn Prozent zu erheben. Mit den Einnahmen
sollen niedrige Renten angehoben werden.
Günther: Es geht um Umverteilung. Ich stimme ja durchaus der
Wirtschaftsweisen Frau Grimm zu, dass wir uns die bisherigen Systeme so
nicht mehr leisten können. Aber dann zu sagen, dass einfach alle pauschal
zehn Prozent weniger kriegen, funktioniert nicht. Wir haben nämlich eine
Menge Leute, denen können Sie nichts mehr wegnehmen.
taz: Die Bundesregierung will nächstes Jahr die nächste Rentenkommission
über Reformen beraten lassen. Für wie realistisch halten Sie es, dass das
Äquivalenzprinzip beerdigt wird?
Günther: Ich hoffe zumindest, dass es so kommt. In allen anderen
Sozialversicherungssystemen – bei der Krankenversicherung, bei der
Pflegeversicherung – haben wir eine Umverteilung drin. Das akzeptiert
jeder. Komischerweise hält man nur bei der Rente an dem Ding fest, obwohl
es ausgerechnet da nicht mal gerecht ist.
14 Aug 2025
## LINKS
DIR [1] https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/rente-beamte-sollen-laut-pestel-institut-fuenfeinhalb-jahre-laenger-arbeiten-als-arbeiter-a-a5004b44-01ab-4c73-81e2-b499d63447ee
DIR [2] /Altervorsorge-in-Deutschland/!5993620
DIR [3] /Boomer-Soli-Wer-ist-bereit-zu-teilen/!6098191
## AUTOREN
DIR Tobias Schulze
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