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       # taz.de -- Bremen lehnt Bremerhavens Haushalt ab: Finanzielle Fantasie wird nicht belohnt
       
       > Erstmals hat das Land Bremen den Haushalt der Stadt Bremerhaven nicht
       > genehmigt: Die hatte einfach Geld vom Land eingeplant, das es nicht gibt.
       
   IMG Bild: Auf Blumen verzichten Bremerhavens OB Melf Grantz (SPD) und Kämmerer Torsten Neuhoff (CDU) bald. Das Geld reicht trotzdem nicht
       
       Bremen taz | Es steht ernst, sehr ernst um Bremerhaven: Selbst die Löhne
       der Stadtbeschäftigten ab September seien in Gefahr. Bremerhaven –
       zahlungsunfähig? Der, der dieses Schreckensbild so am Mittwoch formuliert,
       ist kein geringerer als Kämmerer Torsten Neuhoff (CDU), Zweiter
       Bürgermeister der verschuldeten Stadt am Meer. Das Land Bremen möge helfen,
       so sein Appell.
       
       Das würde Bremen dann wohl. Denn ganz so weit, wie Neuhoff es hier
       beschreit, kann es in Deutschland gar nicht kommen: Öffentliche
       Gebietskörperschaften [1][können nicht insolvent gehen,] am Ende haftet das
       Land. Wahr ist aber: Dramatisch und historisch einzigartig ist die
       Situation für Bremerhaven durchaus. Erstmals seit Existenz des
       Zwei-Städte-Staats hat das Land Bremen am Dienstag den Bremerhavener
       Haushalt abgelehnt – wohlgemerkt den für das laufende Jahr 2025.
       
       Eine konkrete Folge ist erst einmal, dass Bremerhaven weiterhin keinen
       gültigen Haushalt für dieses Jahr hat – und damit wie bei einer
       Haushaltssperre keine neuen Projekte starten darf. Ernste Gespräche
       zwischen Stadt und Land finden aktuell statt, um irgendwie zu einer Lösung
       zu kommen.
       
       Erst Ende Juni, kurz vor der Sommerpause, hatte die 118.000-Einwohner-Stadt
       ihren kommunalen Haushalt verabschiedet. Klar war schon da: [2][Aufgehen
       tut dieser Haushalt nur dank Rechenspielen] mit ungedeckten Schecks.
       
       ## Insgesamt fehlen 95 Millionen Euro
       
       42,8 Millionen Euro hatte sich die Regierungskoalition aus CDU, SPD und FDP
       zusätzlich in den Haushalt geschrieben, als Einnahmen vom Land Bremen –
       dieses Geld brauche man einfach noch, so die Argumentation. Abgesprochen
       aber war das nicht.
       
       Auch sonst hält der Bremer Senat den Haushalt von Bremerhaven nicht für
       zustimmungsfähig: Die Ausgaben wurden demnach zu gering eingeschätzt. So
       rechnet Bremerhaven damit, am Ende 16 Millionen Euro weniger auszugeben,
       als die einzelnen Ausgabeposten es vermuten lassen – einfach weil nicht
       alle Projekte umgesetzt werden können. Diese sogenannte „Globale
       Minderausgabe“ kennt fast jede Haushaltsplanung.
       
       Bremerhaven hat sie aber unrealistisch hoch eingeschätzt – ähnlich wie
       2024. Im vergangenen Jahr schrammte die Stadt Bremerhaven weit am Ziel
       vorbei und brauchte in der Folge die letzten vorhandenen Rücklagen auf, um
       seinen Haushalt noch ausgleichen zu können.
       
       Noch gewaltiger ist die Lücke im Sozialhaushalt: Die Stadt geht davon aus,
       dieses Jahr 230 Millionen Euro dafür zu brauchen – 36 Millionen Euro
       weniger als 2024. Woher die Einsparung bei dieser Pflicht-Aufgabe der Stadt
       kommen soll, wird nicht klar. Insgesamt, so rechnet das Land Bremen vor,
       fehlen dem Haushalt Bremerhaven damit 95 Millionen Euro; fast ein Zehntel
       der Gesamtsumme.
       
       Auf eine Anfrage der taz reagiert der Magistrat am Donnerstag bis zum
       Redaktionsschluss nicht; von den drei Regierungsfraktionen antwortet nur
       die CDU. Die sieht das Problem vor allem in einer ungerechten Verteilung
       von Mitteln: Schließlich habe die arme Stadt naturgemäß ganz andere Kosten.
       
       Weil die Steuereinnahmen geringer sind, fordert Thorsten Raschen,
       Fraktionsvorsitzender der CDU im Stadtrat, einen Steuerkraftausgleich vom
       Land. Den gibt es bereits, kontert das Land Bremen: 50 Prozent der
       Mindereinnahmen würden vom Land ausgeglichen. „Richtig wären 100 Prozent“,
       findet Raschen. Auch aus den Einnahmen des Überseehafengebiets, das die
       Stadt Bremen in Bremerhaven betreibt, würde Raschen gern mehr Geld sehen.
       Zusammen ergäben diese Forderungen jene 42 Millionen Euro, die die Stadt
       vom Land einfordert. „Anders geht es gar nicht“, sagt Raschen.
       
       ## Stadt spart – aber auch an den richtigen Stellen?
       
       Die Liste, die Bremerhavens Sparbemühungen beweisen sollte, ging im Juni
       sehr ins Detail. Verzeichnet waren große Brocken wie die Einsparung von 3,2
       Millionen Euro bei Inobhutnahmen von Kindern und 1,5 Millionen Euro durch
       die seltenere Reinigung von Verwaltungsgebäuden und Schulen. Aber auch
       kleine Posten fanden Erwähnung: Die Kündigung von 18 Zeitschriftenabos
       (3.000 Euro) oder der Verzicht auf Blumenschalen bei Geburtstagen und
       Ehejubiläen (35.400 Euro).
       
       „Kein Schnickschnack!“ sollte das wohl signalisieren, und auch: Jetzt gibt
       es wirklich nichts mehr zu holen. „Aus diesem Haushalt lassen sich keine 50
       Millionen Euro mehr herauspressen“, befindet Raschen.
       
       Nicht alle in Bremerhaven halten das so. Die Grünen im Stadtrat sehen die
       Verantwortung „allein bei der Koalition aus SPD, CDU und FDP“, so der
       Fraktionsvorsitzende Claudius Kaminiarz. Schließlich habe das Land die
       Stadt erst vor fünf Jahren entschuldet. „Seitdem habe die Koalition die
       öffentlichen Ausgaben „in immer neue Höhen getrieben“.
       
       Konkret kritisiert er den Personalaufwuchs der vergangenen zehn Jahre: Um
       25 Prozent sei der städtische Personalbestand seit 2015 gewachsen. Vor
       allem im Ordnungsamt habe es exorbitant viele Einstellungen gegeben, auch
       das Amt für Kommunale Arbeitsmarktpolitik, das es so nur in Bremerhaven
       gibt, sei die Kosten von 2 Millionen Euro jährlich nicht wert. „Das kann
       man sich eben nicht leisten, wenn kein Geld da ist“, so Kaminiarz.
       
       Die Grünen in Bremerhaven befürchten, der ungedeckte Haushalt könnte
       weitere Konsequenzen für Bremerhavens Eigenständigkeit haben: Das Land
       könne die Stadt unter Finanzaufsicht oder einen Sparkommissar stellen.
       
       Zu solchen Schritten hält sich die Finanzbehörde des Landes Bremen bedeckt.
       Klar ist: Bei der Ablehnung durch das Land geht es nicht um eine reine
       Prinzipienfrage – und auch um weit mehr Geld, als die gut 42 Millionen
       Euro, die Bremerhaven vom Land zusätzlich fordert.
       
       Denn wenn Bremerhaven sich über Gebühr verschuldet, stehen für das ganze
       Bundesland die Sanierungshilfen des Bundes in Frage: 400 Millionen Euro
       bekommt der Zwei-Städte-Staat jährlich, ausgezahlt wird dieses Geld aber
       nur, wenn [3][Bremen als Ganzes sich an die Schuldenbremse] hält.
       
       Unabhängig davon wären 42 Millionen aber auch so nicht einfach aus dem
       Haushalt abzuknapsen. Nicht nur, weil der Landeshaushalt für dieses Jahr
       schon verabschiedet ist, sondern auch, weil der insgesamt sehr eng ist:
       Auch Bremen musste beim Sparen schmerzhafte Schritte gehen und hat
       [4][dafür etwa eine 41. Arbeitsstunde für Beamt*innen] eingeführt.
       
       15 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.gesetze-im-internet.de/inso/__12.html
   DIR [2] /Frauenhaus-Ausbau-in-Bremerhaven/!6093180
   DIR [3] /Haushaltsnotlage-steht-vor-der-Tuer/!6032577
   DIR [4] /41-Stunden-Woche-fuer-Bremer-Beamtinnen/!6090233
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lotta Drügemöller
       
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