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       # taz.de -- 10 Jahre Fluchtsommer: Warum uns 2015 bis heute beschäftigt – und trotz allem Hoffnung macht
       
       > Ja, die AfD ist heute stark und der Kurs der Union zum Fürchten. Aber
       > nicht alles, was 2015 Hoffnung weckte, ist verloren.
       
   IMG Bild: Einige Flüchtlinge tragen Fotos der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, 4. 9.2015
       
       Anfang 2015 lag die SPD in Umfragen bei mehr als 26 Prozent, das große
       Thema war die griechische Schuldenkrise, und Corona war nur ein
       beschissenes Bier. Es war eine andere Zeit. Dann kamen die Geflüchteten.
       Und plötzlich stehen wir in der Gegenwart.
       
       Bis heute ringt Deutschland mit den Fragen, [1][die sich im Sommer 2015
       auftaten]. Friedrich Merz hätte es ohne Angela Merkels „Wir schaffen das“
       wohl nie ins Kanzleramt geschafft. Zehn Jahre kauten die Konservativen in
       der Union darauf herum, dass sich die Kanzlerin gegen Zurückweisungen an
       den Grenzen entschieden hatte. Als eine Art Anti-Merkel soll Merz die Wunde
       heilen. Dann ist da die AfD, die Anfang 2015 in Umfragen zeitweise bei 3
       Prozent lag. Im Sommer 2015 wurde die tot geglaubte Rechts-außen-Partei
       wieder groß und setzte sich mit toxischer Hetze gegen Geflüchtete im
       politischen System fest.
       
       Nicht nur Deutschland, die ganze EU ringt noch immer damit, wie weit zu
       gehen sie bereit ist, um Asylsuchende fernzuhalten. Nach wie vor sterben
       Geflüchtete bei fürchterlichen Bootsunglücken, die sich leicht verhindern
       ließen. In Griechenland stoßen Grenzschützer die Boote einfach aufs
       Mittelmeer zurück, an den Außengrenzen der EU stehen Zäune gespickt mit
       Klingendraht.
       
       Mit den Regimen in Libyen, Ägypten, der Türkei und anderen Staaten [2][gibt
       es schmutzige Deals, damit sich von dort niemand mehr auf den Weg macht].
       Und mit der jüngsten Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems
       können sogar Kinder an den Außengrenzen interniert werden. Aber: Trotz
       allem, was folgte, bleibt der Sommer 2015 eine Verheißung. Kurz blickten
       wir in eine Welt, in der ein reiches Land wie Deutschland seine Kraft
       nutzt, um denen zu helfen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen. Eine
       CDU-Kanzlerin tat das moralisch Richtige, Hunderttausende halfen an den
       Bahnhöfen, einige fuhren nach Budapest, um Geflüchtete herzubringen.
       Seenotrettungsorganisationen gründeten sich, und Lokalpolitiker*innen
       schoben Nachtschichten, um Unterkünfte für neu Ankommende zu organisieren.
       
       Es war eine Zeit, in der man kein Wahlrecht brauchte, um Politik
       mitzugestalten. Die eigentlichen Akteur*innen waren die Geflüchteten. Sie
       waren es, die an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien
       Polizeiabsperrungen überwanden. Und sie entschieden, auf der Autobahn in
       Richtung Österreich zu gehen, als Polizist*innen sie am Bahnhof
       Budapest-Keleti an der Weiterreise hinderten. Das ungerechte und
       dysfunktionale Dublin-System zur Verteilung der Geflüchteten kollabierte.
       Menschen waren nicht mehr auf Schleuser*innen angewiesen.
       Bewegungsfreiheit für alle wurde kurz zur Realität.
       
       Nicht alles, was damals Hoffnung weckte, ist verloren. Ja, die AfD ist
       heute stark und der Kurs der CDU/CSU zum Fürchten. Aber vor etwas mehr als
       einem Jahr gingen Millionen gegen die rechtsextreme Forderung der
       Remigration auf die Straße. Die Zäune und die Pushbacks sind Realität, aber
       weiterhin auch die Seenotrettungsorganisationen und die
       zivilgesellschaftlichen Projekte.
       
       In fünf Sonderausgaben widmet sich die taz über die nächsten Monate hin dem
       Jahr 2015, dessen Folgen und der Zukunft von Migrationspolitik. Über die
       Zeitungsseiten ziehen sich die Gedichte von Lyriker*innen, die in
       Deutschland Schutz gefunden haben vor Verfolgung, Krieg, Unterdrückung.
       
       Im Umgang mit Geflüchteten zeigt sich, wie es um eine Gesellschaft steht,
       wie soziale, politische und ökonomische Rechte verhandelt werden; ob sie
       auch die mitbedenkt, die wenig mitbestimmen dürfen. Deutschland hat sich
       noch nicht entschieden.
       
       15 Aug 2025
       
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