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       # taz.de -- Die Wahrheit: Schummelurlaub in Bad Laasphe
       
       > Feierlaune ade in diesem Sondersommer 2025: Mehr und mehr Deutsche
       > simulieren ihr Ferienglück – und fahren urlaubsreif zurück nach Hause.
       
       Dieser Sommer würde grimmig, wie Pensionswirt Lutz Borsipp aus Bad Laasphe
       früh geahnt hatte. „Unter jungen Hoteliers von der Westküste hieß es
       bereits Ende letzten Jahres: ‚Terrorangst killt Urlaubsvibe, Bro‘“,
       schnauft der 67-Jährige. „Die wissen, wovon sie reden – diese Friesen sind
       absolute Profis.“
       
       Die Ahnung trog nicht. Mit der fortwährenden Inflation, Trump II und
       drohendem Weltkrieg III wurden die Aussichten für die Branche nicht besser.
       Wegen schlechter Buchungszahlen schlossen die vorletzten Reisebüros, viele
       Veranstalter lockten pauschal mit Rabatten – zwei Pauschalreisen zum Preis
       von einer. Auch in Bad Laasphe, fernab der touristischen Ströme, kam die
       Krise irgendwann an.
       
       Jetzt, zur Mitte der Ferienzeit, verzeichnet Borsipp eine Zimmerauslastung
       von 20 Prozent. Er gesteht: „Das ist zwar für meine Verhältnisse absolut
       fantastisch, erst recht für dieses Kaff, aber was zur Hölle ist mit den
       Gästen los?! Die kommen kaputt an und fahren urlaubsreif zurück nach
       Hause.“
       
       Borsipp macht diese Beobachtung nicht allein. Überall im
       Beherbergungsgewerbe hört man derzeit: Deutsche Urlauber schleichen
       missmutig durch Flure und Foyers, rühren das Frühstücksbuffet kaum an,
       klauen nicht mal mehr Shampoofläschchen – geschweige denn Handtücher oder
       Bademäntel.
       
       „Viele weigern sich sogar, das Zimmer zu verlassen, sobald sie an der
       Rezeption das WLAN-Passwort ergattert haben“, schüttelt ein Branchenkenner
       den Kopf. Und Borsipp sagt: „Sehenswürdigkeiten gibt es hier zwar keine,
       aber die Gäste könnten wenigstens mal raus in die Natur!“
       
       Doch selbst in Weltklassestädten wie Wien und Bangkok, so ist zu hören,
       bleiben deutsche Touristen lieber in ihren Quartieren und spielen
       „Quizduell“ auf dem Handy. An die Strände gehen sie nur bei Regen, im
       Restaurant bestellen sie lediglich Gemüsesuppe und Kamillentee, statt
       Trinkgeld gibt es gequälte Blicke.
       
       „Was wie ein Magen-Darm-Infekt aussieht, ist in Wahrheit ein Psychotrend,
       der Deutschland gerade heimsucht“, erklärt Urlaubspsychologin Dr. Penelope
       Allibert von der Fachhochschule Los Alamos. „Die Leute erdulden die
       ‚schönsten Tage des Jahres‘ passiv und lustlos. Sie haben einfach keinen
       Bock mehr auf Rekreation an fernen Gestaden, sind der dauernden
       Erlebniskanonaden überdrüssig. Es scheint, als ob die Leute ihre Ferienzeit
       einfach nur noch widerwillig absitzen.“
       
       Dr. Allibert staunt vor allem über die grotesken Rechtfertigungen, die
       befragte Touristen ins Feld führen: „Mal ist ihnen zu heiß, mal sind sie zu
       müde, mal wären sie am liebsten unterwegs mit dem Reisegepäck verloren
       gegangen.“
       
       Auch Luis d’Aragon, Concierge eines Hotels in Barcelona, wundert sich immer
       wieder über die Ausreden: „Rausgehen sei wegen des hohen CO2-Ausstoßes ein
       Raubbau an der Natur, sagen ausgerechnet die, die mit dem Düsenjet
       angereist sind. Andere behaupten, das Essengehen sei zu teuer geworden, vor
       allem in Kroatien – aber auch hier. Gestern hatte ich sogar welche, die
       mich angeschrien haben: 'Wir sind hier nur wegen der Kinder! Besser so als
       überhaupt kein Urlaub!’“
       
       Lutz Borsipp glaubt ebenfalls an einen psychologischen Hintergrund. Die
       Leute seien ausgebrannt und depressiv. Es sei ihnen unverdient ein paar
       Jahre lang zu gut gegangen, jetzt würden sie vom Blues eingeholt. „Viele
       können es sich einfach nicht leisten, nicht wegzufahren: Was sollen die
       Nachbarn denken? Aber sie haben null Bock! Also machen sie böse Miene zum
       guten Spiel und simulieren eine Art Urlaub.“
       
       ## Ähnliches Verhalten wie bei einem Bummelstreik
       
       Dr. Allibert stellt die These auf, dass dieses Verhalten strukturell dem
       Bummelstreik ähnelt. Jener sei bekanntermaßen ein altes Mittel des
       Arbeitskampfs, bei dem die Bummelstreikenden den offenen Konflikt scheuten
       und Dienst nach Vorschrift verrichteten: „Sie nehmen damit jedes Tempo und
       jede Produktivität aus der Arbeit, was einer Arbeitsniederlegung
       gleichkommt.“ Für den planmäßig vergeigten Ferienaufenthalt möchte die
       Psychologin deshalb den Begriff „Bummelurlaub“ prägen.
       
       „Gute Analyse, ich hab dieses Jahr auch schon gebummelt“, stimmt der
       erfahrene Traveller Jörn Ingendey aus Cochem zu. „Aber all-inclusive, mit
       Flatrate für lokale Getränke. Weil: Besoffen unterm Waschbecken liegen kann
       ich auch am Ballermann! Dafür muss ich nicht zu Hause bleiben.“
       Ironischerweise hat er wohl nicht gemerkt, dass deutsche Mallorca-Reisende
       diesen Sommer bevorzugt zum preiswerten alkoholfreien Sangria-Eimer
       greifen.
       
       Viele Mitbürger hingegen können es sich tatsächlich kaum mehr leisten, in
       den Urlaub zu fahren. Die beliebten Fernreisen nach Bali und Patagonien
       müssen ausfallen, höchstens der Fernverkehr der Deutschen Bahn wird
       genutzt, aber zum Supersparpreis. Cluburlaube gehen nicht mehr in den Club
       Med, sondern um die Ecke ins nächste Rotlichtviertel. Und Kreuzfahrten
       finden nicht mehr mit Luxusdampfern in der Karibik statt, sondern mit dem
       Leihwagen am Kamener Kreuz.
       
       Unter diesen widrigen Umständen streiten die Experten noch, wie den
       Deutschen die Urlaubslust zurückgegeben werden kann. Der Verband der
       deutschen Tourismusindustrie will es aggressiv mit dem Slogan „Bummelurlaub
       gleich Schummelurlaub!“ versuchen. „Ich plädiere für stimmungsaufhellende
       Mittel im Trinkwasser“, rät dagegen Dr. Penelope Allibert. Sie bleibt aber
       skeptisch: „Wahrscheinlich gibt es zum Ende des Jahrzehnts keine bezahlten
       Urlaubstage mehr. Dafür werden die da oben schon sorgen.“
       
       Pensionsbesitzer Lutz Borsipp möchte allerdings nicht länger meditieren,
       sondern unverzüglich handeln. Als erste Maßnahme gegen die morgendliche
       Trübsal im Frühstücksraum hat er einen arbeitslosen Krankenhausclown
       engagiert.
       
       15 Aug 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mark-Stefan Tietze
       
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