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       # taz.de -- Leiter von Caritas International zu Gaza: „Ein Sack Mehl für 765 Euro“
       
       > Die Not- und Katastrophenhilfe der Caritas wirkt auch im Gazastreifen.
       > Leiter Oliver Müller fordert angesichts des Hungers mehr Druck auf
       > Israel.
       
   IMG Bild: Palästinenser tragen Säcke mit Mehl, die von einem humanitären Hilfskonvoi am 22.07.2025 in Gaza-Stadt abgeladen wurden
       
       Taz: Herr Müller, wie blickt die Caritas auf die aktuelle Lage im
       Gazastreifen? 
       
       Oliver Müller: Ich habe mit einer Mitarbeiterin eines unserer Hilfsprojekte
       gesprochen, die bis vor kurzem in Gaza war. Sie hat mir berichtet, [1][wie
       ausgehungert die Menschen sind]. Wie auch die lokalen Mitarbeitenden der
       Caritas an Gewicht verloren haben. Und welch astronomische Preise die
       wenigen Güter, die es noch gibt, erreichen: ein Kilo Tomaten für 18 Euro,
       ein Kilo Zucker für 64 Euro oder ein 25-Kilo Sack Mehl für 765 Euro. Das
       kann sich kaum jemand leisten.
       
       Taz: Seit Anfang März werden kaum Transporte mit Hilfslieferungen in den
       Gazastreifen hineingelassen, und auch keine kommerziellen Güter. Israel
       begründete das damals damit, dass die Lieferungen in die Hände der Hamas
       gerieten. 
       
       Oliver Müller: Den Vorwurf kann ich für die Hilfen der Caritas und anderer
       großer Hilfsorganisationen nicht gelten lassen. Wie in anderen
       Krisenregionen wurde und wird die Verteilung der Hilfen lückenlos
       dokumentiert. Wir können mit Sicherheit sagen, dass die von uns verteilten
       Hilfsgüter nicht fehlgeleitet wurden, sondern die Bedürftigen erreicht
       haben. Die Behauptung, die Hamas habe sich den Großteil der Hilfsgüter
       unter den Nagel gerissen, entspricht schlicht der Unwahrheit. Wir arbeiten
       eng mit Catholic Relief Services zusammen, unserer US-amerikanischen
       Partnerorganisation. Sie verfügt über 350 bepackte Lastwagen, die in
       Ägypten und in Jordanien stehen. Sie könnten sofort losfahren. Aber ihnen
       fehlt die Erlaubnis.
       
       Taz: Derzeit gibt nur die [2][Israel-nahe Gaza Humanitarian Foundation]
       regelmäßig Lebensmittel aus. An ihr gibt es viel Kritik. Und immer wieder
       fallen Schüsse, wohl seitens des israelischen Militärs, rund um die
       Verteilstellen. 
       
       Oliver Müller: Es ist eine zynische Abwertung humanitärer Hilfe. Die
       Kolleginnen und Kollegen von vor Ort berichten uns, dass an den
       Verteilpunkten oftmals das Recht des Stärkeren herrscht. Menschen werden in
       eine Konkurrenzsituation getrieben, die sie entmenschlicht. Wir haben, wie
       viele andere Institutionen, Hilfsverteilungen in Krisengebieten weltweit
       durchgeführt: Wir haben dazu nie bewaffnete Schutztruppen benötigt und
       würden das auch ablehnen. Im Übrigen ist es auch nicht Aufgabe der
       humanitären Hilfe, Bedürftige nach ihrer politischen Überzeugung zu
       befragen. Humanitäre Hilfe steht jedem Menschen in Not zu.
       
       Taz: Vor kurzem haben über 25 Staaten einen Brief unterzeichnet, in dem ein
       Ende des Krieges in Gaza gefordert wird. Deutschland ist nicht darunter.
       Verhallen alle Appelle? 
       
       Oliver Müller: Der Papst hat jüngst eine sofortige Beendung de
       „barbarischen Kriegshandlungen“ gefordert, und ein Verbot der
       Kollektivbestrafung der Bevölkerung genannt. Das finde ich einen wichtigen
       Punkt: Natürlich befinden sich Terroristen im Gazastreifen und natürlich
       müssen die noch immer dort festgehaltenen Geiseln freigelassen werden. Aber
       es ist nicht zu rechtfertigen, dass eine so große Zahl unschuldiger
       Menschen leidet. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass der Außenminister
       Johann Wadephul jüngst seine „größte Sorge über die katastrophale
       humanitäre Lage“ zum Ausdruck gebracht hat. [3][Dennoch müsste sich die
       Bundesregierung noch stärker und noch eindeutiger äußern]. Das ist im
       Übrigen auch die Rückmeldung, die wir von Unterstützerinnen und
       Unterstützern, Spenderinnen und Spendern bekommen: Eine große Empörung in
       der Bevölkerung, die jeden Abend die Horrormeldungen aus Gaza sieht. Und
       nicht begreifen kann und will, warum so etwas geschieht. Und diese Empörung
       darüber, dass Unschuldige – auch die Geiseln – leiden, muss stärker in der
       Politik Ausdruck finden. Jetzt muss die Humanität im Vordergrund stehen.
       
       24 Jul 2025
       
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