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       # taz.de -- Ökonomin über Entwicklungsfinanzierung: „Seien wir ehrlich, der Planet brennt“
       
       > Der Niedergang der US-Hegemonie führt zu einer Phase von Chaos, sagt die
       > indische Ökonomin Jayati Ghosh. Aber er bringe auch Chancen.
       
   IMG Bild: Die Folgen der Krisen vernichteten Lebensgrundlagen: Waldbrand in Südafrika
       
       taz: Die Weltbank, Geberländer, aber auch Entwicklungsländer selbst wollen
       den Privatsektor mobilisieren, um die [1][nachhaltigen Entwicklungsziele
       der Vereinten Nationen] zu finanzieren. Aus Milliarden sollen so Billionen
       werden, sagt Weltbankchef Ajay Banga. Ist das der richtige Weg? 
       
       Jayati Ghosh: Die Idee gab es schon vor 20 Jahren. Öffentliche Garantien
       und Mischfinanzierungen [Kombination von öffentlichen und privaten Mitteln
       – die Red.] sollen Anreize für Investitionen schaffen. Das ist nicht neu
       und hat sich nicht bewährt. Es ist so teuer, diese ganzen Anreize zu
       finanzieren, dass es für die Regierungen billiger kommt, die Projekte
       selbst zu finanzieren. Sonst geben sie öffentliche Garantien für die
       private Rentabilität und die Verluste werden von ihnen – also eigentlich
       den Steuerzahlern – übernommen. So wie das private Finanzsystem
       funktioniert, müsste es viel stärker reguliert werden, bevor wir es auf
       soziale Ziele ausrichten können.
       
       taz: Welche Regeln sind erforderlich? 
       
       Ghosh: Zurzeit sind viele Entwicklungsländer [2][in einem Schuldenkreislauf
       gefangen]. Sie zahlen mehr für den Schuldendienst als für grundlegende
       Dienstleistungen für die Bevölkerung. Zunächst müssen wir diese
       Schuldenkrise lösen. Aber wir müssen auch verhindern, dass sich die Länder
       weiter verschulden. Die Lösung besteht nicht darin, zu den Kapitalmärkten
       zu gehen und fünf Jahre später eine weitere Schuldenkrise zu erleben.
       
       taz: Reicht das dann? 
       
       Ghosh: Das globale System hindert Länder auch daran, eigene Ressourcen zu
       mobilisieren. Zum einen erlaubt es multinationalen Unternehmen, ihre
       Gewinne in Niedrigsteuerländer zu verlagern, zum anderen erlaubt es reichen
       Menschen, ihr Geld zu verschieben – beides Schlupflöcher, die ganz einfach
       geschlossen werden können. Aber dafür braucht es internationale
       Zusammenarbeit.
       
       taz: Sie plädieren für eine UN-Steuerkonvention, die Regeln für die
       steuerliche Zusammenarbeit festlegt. 
       
       Ghosh: Die UN-Steuerkonvention ist ein Schritt. Aber es gibt auch kleine
       Schritte, die einen großen Unterschied machen. Zum Beispiel der gemeinsame
       Meldestandard für den Austausch von Bankinformationen: 126 Länder haben ihn
       unterzeichnet – die USA nicht. Hier können die politischen
       Entscheidungsträger verfolgen, wohin das Geld fließt.
       
       taz: Private Investitionen sind also gar nicht notwendig? 
       
       Ghosh: Natürlich brauchen wir private Investitionen, aber diese Investoren
       werden dorthin gehen, wo es Profit gibt. Sie werden keine Klimaanpassung
       oder Armutsbekämpfung finanzieren. Andere Dinge können profitabel gemacht
       werden, aber dadurch wird der Zugang der Menschen dazu meist eingeschränkt.
       Wenn private Mittel also in das Gesundheits- oder Bildungswesen fließen,
       ist das nicht gut, weil Menschen es sich oft nicht mehr leisten können oder
       nur sehr schlechte Qualität zu einem niedrigen Preis erhalten, anstatt gute
       Qualität für alle. In diesen Bereichen ist es wichtig, dass öffentliche
       Mittel bereitgestellt werden. Private Mittel können in grüne Investitionen
       und erneuerbare Energien fließen. China ist ein klassisches Beispiel dafür,
       wie diese Bereiche profitabel sein können.
       
       taz: Auch im Bereich der Erneuerbaren können private Mittel – wie in China
       – mit sozialen Kosten verbunden sein, mit Menschenrechtsverletzungen oder
       der Vertreibung von Gemeinschaften. 
       
       Ghosh: Bei all dem Gerede über Mischfinanzierungen fehlt der Punkt, dass es
       sich nur um Zuckerbrot handelt. Es geht nur um Anreize. Es gibt keine
       Peitsche, keine Bedingungen. Wenn ein Staat etwa die Entwicklung eines
       Impfstoffs subventioniert, wie bei Covid-19, dann können wir nicht sagen,
       das ist geistiges Eigentum des Herstellers. Wir müssen die Preise deckeln,
       festlegen, dass er vielleicht drei Jahre lang Gewinne machen kann und die
       Technologie danach mit allen teilen muss.
       
       taz: Welche Rolle spielt die Weltbank? 
       
       Ghosh: Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds, der IWF, treiben
       die Mischfinanzierung voran, schlagen die Hände in die Luft und sagen, „wir
       können nichts für die Umverteilung der SZR oder anderer Initiativen tun“.
       
       taz: SZR – Sonderziehungsrechte – sind eine Art Geld, das der IWF schafft
       und entsprechend dem Bruttoinlandsprodukt der Länder verteilt. Während der
       Pandemie erhielt Deutschland etwa viermal so viel wie alle afrikanischen
       Länder zusammen. Viele Entwicklungsländer fordern seit einiger Zeit eine
       Umverteilung dieser Gelder, um Entwicklungsziele zu finanzieren. Es
       scheint, dass diese Forderung nicht so viel Gehör findet. 
       
       Ghosh: Auf einer [3][Konferenz zu Entwicklungsfinanzierung in Sevilla]
       geriet ich in eine Diskussion mit einem Beamten des deutschen
       Finanzministeriums. Ich sagte ihm, dass Europa nicht begreift, wie sich die
       Welt verändert. Europa kann sich nicht weiter an die USA klammern, es
       braucht Verbündete im Rest der Welt. Und die sind relativ leicht zu
       bekommen. Die Europäer könnten ihre SZR nutzen, um bilaterale Schulden bei
       einer Reihe von Staaten abzuschreiben. Deutschland erwidert, dass seine
       Haushaltsregeln die Verwendung von SZR verbieten – aber dieselben
       Haushaltsregeln spielen keine Rolle, wenn es um Militärausgaben geht. Und
       jeder in der Welt kann das sehen. Wem will Deutschland etwas vormachen?
       
       taz: Geben die USA und die EU ihre Verantwortung und Soft Power zusammen
       mit der Entwicklungshilfe auf? 
       
       Jayati Ghosh: Wissen Sie, was mich bei diesen Kürzungen wirklich überrascht
       hat, ist, dass der Rest der Welt nicht eingesprungen ist. Es wäre doch so
       offensichtlich! Die USA waren der größte Geber, aber die Beträge waren
       nicht sehr hoch.
       
       taz: Allein für die HIV/Aids-Bekämpfung haben die USA im Jahr 2024 etwa 6,7
       Milliarden Dollar bereit gestellt. 
       
       Ghosh: Das ist nicht viel, wenn die EU ihre Legitimität und Softpower
       wiederherstellen und zeigen wollte, dass sie sich immer noch um
       multilaterale Angelegenheiten kümmert. Und nicht nur Europa – Indien könnte
       es tun, Brasilien, China. Warum muss UNAIDS alles kürzen, nur weil die USA
       weg sind?
       
       taz: Bieten die Brics als Zusammenschluss schnell wachsender
       Volkswirtschaften Entwicklungsländern wirtschaftlich eine Alternative? 
       
       Ghosh: Mehr und mehr Länder, nicht nur Brics, gehen zu Plan B über. schon
       vor Trump. Denn sein Vorgänger Joe Biden hat den US-Dollar mit den
       Sanktionen gegen Russland zur Waffe gemacht. Oder davor schon mit dem
       Einfrieren von Konten von Regierungen Russlands, Irans, Venezuelas und
       Kubas. Andere Länder fürchten, dass auch ihre Konten eingefroren werden
       könnten. Es hat bereits eine Umschichtung von Zentralbankvermögen in andere
       Währungen als den Dollar stattgefunden.
       
       taz: Gehandelt wird meist noch in Dollar. 
       
       Ghosh: Aber [4][es wird immer mehr nach Alternativen gesucht]. Brics hat
       ein Zahlungssystem namens Brics clear entwickelt, das eine Alternative zu
       dem Swift-System darstellt. Die Länder entwickeln neue Formen von
       Handelskrediten, neue Formen von Wechselkurs-Swaps, die eine Art
       beginnendes finanzielles Sicherheitsnetz darstellen.
       
       taz: Sind Sanktionen gegen Russland nicht gerechtfertigt? 
       
       Ghosh: Der Einmarsch Russlands in die Ukraine ist absolut
       völkerrechtswidrig. Aber die USA haben auch viele Kriege geführt, die nicht
       gerechtfertigt waren und diese Länder völlig zerstört haben. Ich habe
       Freunde in Irak, in Syrien und Afghanistan. Deshalb finde ich es schwierig,
       wenn Leute in den USA und Europa mir sagen: Schaut auf Russland. Ich sage
       dann: Sind die Menschen in diesen anderen Ländern nicht auch Menschen, die
       Rechte haben? Unabhängig davon: Die Finanzmacht als Sanktion einzusetzen,
       war geopolitisch nicht klug, denn das wird andere Länder dazu bringen, es
       sich zweimal zu überlegen, ob sie sich auf den Westen als Basis für die
       Weltwirtschaft verlassen wollen.
       
       taz: Die Abhängigkeit vom Dollar ist groß. Kann sie wirklich gebrochen
       werden? 
       
       Ghosh: Wenn man in der Geschichte zurückblickt, war das britische Pfund
       Sterling das Zentrum, die grundlegende Reservewährung. Die City of London
       war das Finanzzentrum, so wie heute die Wall Street. Es dauerte drei
       Jahrzehnte, bis es zusammenbrach. Trump beschleunigt den Niedergang der
       US-Hegemonie, was ich im Allgemeinen nicht für schlecht halte. Aber es
       führt zu einer Phase von Instabilität und Chaos.
       
       taz: Die Weltordnung verschiebt sich, aber auch die neuen Mächte scheinen
       wenig Interesse daran zu haben, die UN-Entwicklungsziele zu verfolgen. 
       
       Ghosh: Leider sind viele Regierungen der Brics-Staaten ziemlich mies. Meine
       eigene, zum Beispiel. Und es sind auch sehr ungleiche Staaten. Sie werden
       von ihren eigenen Eliten beeinflusst. Ein Großteil des Wachstums kommt
       wenigen großen Unternehmen zugute, die sich im Besitz von Kumpanen des
       Regimes und vielleicht des oberen 10 Prozent der Bevölkerung befinden. Aber
       das ist nicht in Stein gemeißelt, Veränderungen kommen oft dann, wenn man
       sie nicht erwartet.
       
       taz: Vor drei Jahren haben Sie und andere Autoren des Club of Rome einen
       [5][„Überlebens-Guide für unseren Planeten“] veröffentlicht. Darin zeigen
       Sie Wege auf, um den Klimawandel und Ungleichheit zu reduzieren. Wo stehen
       wir heute? 
       
       Ghosh: Seien wir ehrlich, der Planet brennt. Wir sind mit einer dringenden
       planetarischen und ökologischen Krise konfrontiert. Extreme Ungleichheiten
       bescheren uns eine soziale und wirtschaftliche Polarisierung, die uns
       unangenehme Regierungen beschert. Aber sie wird uns auch sehr unangenehme
       Gesellschaften bescheren. Es wird mehr Gewalt geben, mehr Kriminalität. Ich
       denke, es gibt zwei Möglichkeiten, die Welt zu betrachten. Die eine ist, zu
       sagen: Oh, meine Güte, es wird alles zu Ende gehen. Die andere ist, zu
       sagen: Die Menschheit kann den Abgrund überwinden. Wir können uns ändern.
       Ich persönlich gehöre zu diesem zweiten Lager. Ich glaube, wir können und
       wir werden uns ändern.
       
       15 Oct 2025
       
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