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       # taz.de -- Urteil des IStGH: Zwölf Jahre Haft für zentralafrikanischen Warlord
       
       > Wegen Kriegsverbrechen und Einsatz von Kindersoldaten muss Patrice Eduard
       > Ngaïssona ins Gefängnis. Ebenfalls verurteilt wurde sein Kommandant.
       
   IMG Bild: Patrice-Edouard Ngaissona (M) vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag, am 25.1.2019 (Archivbild)
       
       Kampala taz | Es war ein „außergewöhnlich komplexer“ Fall, kommt der
       oberste Richter der fünften Strafkammer des Internationalen
       Strafgerichtshofes (IStGH) in den Haag zum Schluss. Dann verliest er das
       Urteil.
       
       Nach [1][über vier Jahren Verhandlungen], mehr als 170 Zeugenanhörungen und
       der Sichtung von über 20.000 Beweismitteln, darunter Satellitenbilder und
       Facebook-Chats, wurden am Donnerstag die beiden Angeklagten aus der
       Zentralafrikanischen Republik schuldig gesprochen: unter anderem wegen
       Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie dem Einsatz von
       Kindersoldaten unter 15 Jahren.
       
       Der ehemalige Jugend- und Sportminister sowie Chef des Fußballverbandes in
       der Zentralafrikanischen Republik (ZAR), [2][Patrice Eduard Ngaïssona],
       wurde zu 12 Jahren verurteilt, wobei er sechs Jahre bereits abgesessen hat.
       Der einflussreiche Politiker war im März 2013 mit dem damaligen Präsidenten
       Francois Bozizé ins Nachbarland Kamerun geflohen, als die Rebellen der
       muslimischen Rebellenkoalition „Seleka“ aus dem Norden des Landes die
       Hauptstadt Bangui im Süden eroberten und Bozizés Regierung stürzten.
       
       Der deutsche Richter Bertram Schmitt fand es in seinem Urteil als
       ausreichend bewiesen an, dass Ngaïssona im Jahr 2013 zunächst aus dem Exil
       heraus und nach seiner Rückkehr nach Bangui im Januar 2024 die zahlreichen
       christlichen Bürgerwehren, [3][Anti-Balaka] genannt, im Süden des Landes
       als „oberster Koordinator“ organisiert und zum gemeinsamen Angriff auf die
       von der Seleka besetzte Hauptstadt Bangui im Dezember 2013 orchestriert und
       auch finanziert hat. Vom Exil aus, so der Richter, war Ngaïssona „aktiv an
       der Planung von Maßnahmen zur Reaktion auf die Gewalt der Seleka in der
       Zentralafrikanischen Republik und zur Sicherstellung der Rückkehr von
       François Bozizé an die Macht beteiligt.“
       
       ## 15 Jahre für Alfred Yekatom
       
       Nach seiner Rückkehr Anfang 2014 habe er dann in dieser Funktion die
       Anti-Balaka-Bewegung als „geschlossene Einheit gegenüber nationalen und
       internationalen Behörden“ repräsentiert. Catherine Samba-Panza, die
       damalige Übergangspräsidentin in Zentralafrika, habe als Zeugin vor dem
       Gericht klar bestätigt, so der Richter: nämlich, dass sie „auf Seiten der
       Anti-Balaka-Bewegung keinen anderen Ansprechpartner als Herrn Ngaïssona
       hatte.“ Er kommt zum Schluss: „Herr Ngaïssona engagierte sich aktiv für die
       Formalisierung der Struktur der Anti-Balaka-Bewegung und leistete weiterhin
       finanzielle Unterstützung.“
       
       Anti-Balaka-Kommandant [4][Alfred Yekatom], der gemeinsam mit Ngaïssona für
       seine Rolle in der Anti-Balaka angeklagt war, erhielt insgesamt 15 Jahre
       Haft, wovon er sieben bereits abgesessen hat. Der ehemalige Armeeangehörige
       hatte beim koordinierten Angriff auf Bangui mit dem Ziel der Rückeroberung
       im Dezember 2013 eine einschlägige Rolle übernommen.
       
       Indem er mit seiner Pistole in die Luft feuerte, erließ er quasi den
       Startschuss für seine Anti-Balaka-Truppen, die mehrheitlich aus Kindern und
       Jugendlichen bestanden, um den Stadtteil Boeing anzugreifen, wo der
       Zentralmarkt liegt und muslimische Händler Geschäfte betrieben. Diese
       muslimischen Händler seien entweder getötet oder gezielt vertrieben worden,
       die Moschee in Boeing wurde komplett zerstört.
       
       Er wurde schuldig gesprochen unter anderem auch für „Angriffe auf die
       Zivilbevölkerung als solche, Mord, Zwangsumsiedlung und Deportation“, so
       der Richter. Hinzu kamen „Angriffe auf ein der Religion gewidmetes Gebäude,
       Folter, grausame Behandlung, andere unmenschliche Taten, Inhaftierung und
       andere schwere Formen der Freiheitsberaubung sowie Verfolgung.“
       
       ## Nicht an sich religiös motiviert
       
       Richter Schmitt erwähnt in seiner Zusammenfassung des Verfahrens
       ausdrücklich ein Motto von Yekatoms Anti-Balaka-Milizionären, die sich nach
       dem Sturm auf Bangui im Gebäude der Yamwara-Schule in der Hauptstadt
       verschanzt hatten und von dort aus im ganzen Viertel Straßensperren
       errichteten, um nach Muslimen zu suchen, die sie als „Verbündete und
       Komplizen“ der muslimischen Seleka-Rebellen betrachteten.
       
       „Häuten wie eine Papaya“ brüllte Yekatoms Einheit, wenn sie Muslime
       gefangen nahmen. Der Richter zitiert eine muslimische Opferzeugin, die an
       dieser Straßensperre von den Anti-Balaka vergewaltigt worden war, was
       dieser Ausdruck für sie bedeutete: „Für jemanden, der eine Machete trägt
       und keine Früchte in den Händen hält, ist es ein Bild, das zeigt, dass die
       Frucht, die heute gehäutet werden sollte, wir gewesen wären. Es ist ein
       Bild, ein sehr starkes Bild. Uns war völlig klar, dass es bedeutete, dass
       wir an diesem Tag begraben würden.“
       
       Zuletzt sei es wichtig zu betonen, kommt Richter Schmitt zum Schluss, dass
       der Konflikt zwischen den muslimischen Seleka-Rebellen und den christlichen
       Anti-Balaka-Milizen von 2013 bis 2014 nicht an sich religiös motiviert war,
       sondern, so der vorsitzende Richter: „Die verschiedenen Gruppen und ihre
       Anführer jedoch die Religion instrumentalisierten, um politische und
       wirtschaftliche Macht zu erlangen.“
       
       Da der IStGH keine Haftanstalt für verurteilte Straftäter hat, werden die
       beiden Verurteilten demnächst in ihr Heimatland in die Zentralafrikanische
       Republik überstellt, um dort ihre verbliebene Haftzeit abzusitzen. In
       Bangui hingegen kriselt es. Beim derzeitigen Präsidenten Faustin-Archange
       Touadéra wurde jüngst Darmkrebs diagnostiziert. Er wird von den russischen
       Söldnern der Wagner-Truppen beschützt. Doch der politische Kampf um seine
       Nachfolge ist bereits im vollen Gange.
       
       25 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.icc-cpi.int/carII/yekatom-nga%C3%AFssona
   DIR [2] /Internationaler-Strafgerichtshof/!6099044
   DIR [3] /Verhaftung-des-Rebellenfuehrers-Mokom/!5842218
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       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schlindwein
       
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