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       # taz.de -- Verbotene Pestizide in Frankreich: Massenprotest gegen neues Agrargesetz
       
       > Fast zwei Millionen Französ:innen haben eine Petition gegen ein Gesetz
       > unterzeichnet, das verbotene Pestizide erlaubt. Die Regierung steht nun
       > unter Druck.
       
   IMG Bild: Mögen Walnussblüten: Honigbienen
       
       Paris taz | Das gab es in Frankreich noch nie: Innerhalb weniger Tage haben
       fast 2 Millionen Bürger*innen auf der Plattform der Nationalversammlung
       die Petition der 23-jährigen parteilosen Studentin Eléonore Pattery
       unterzeichnet, welche die Staatsführung auffordert, auf ein kürzlich von
       den beiden Parlamentskammern verabschiedetes Landwirtschaftsgesetz
       zurückzukommen. Dieses ist nach dem Verfasser, dem Senator Laurent Duplomb,
       benannt und hat diese enorme Welle von Protesten ausgelöst.
       
       Der Hauptgrund dafür ist, dass die in Frankreich [1][verbotenen Pestizide]
       der Neonikotinoid-Gruppe mit diesem Gesetz erneut verkauft und namentlich
       von den Zuckerrüben- und Haselnussproduzenten in der Form von Acetamiprid
       (hergestellt und vertrieben u.a. von Bayer CropScience) eingesetzt werden
       dürfen.
       
       Diese Familie von Nervengiften zur Bekämpfung von schädlichen Insekten ist
       auch als „Bienenkiller“ bekannt und steht zudem im dringenden Verdacht, für
       die menschliche Gesundheit und das gesamte Ökosystem schwerwiegende Folgen
       zu haben. Diese sind jedoch von wissenschaftlichen Studien noch wenig
       belegt.
       
       Dass am 8. Juli die landwirtschaftliche Verwendung dieser Gruppe von
       Pestiziden trotz ihrer [2][unerfreulichen Nebenwirkungen] dennoch wieder,
       wenn auch mit gewissen Einschränkungen, offiziell erlaubt wurde, ist
       hauptsächlich dem sehr erfolgreichen Lobbying der Agrarchemie und des
       Großbauernverbands FNSEA zuzuschreiben.
       
       ## Interessen von Wirtschaftskonzern werden priorisiert
       
       Diese hat seit Längerem gegen angeblich zu viele umweltpolitische Auflagen
       und Verbote kämpft, weil diese für die französische Landwirtschaft eine
       Benachteiligung im internationalen Wettbewerb darstellten. Dass die
       Neonikotinoide nur in Frankreich, nicht aber in der ganzen EU, verboten
       waren, lieferte ihnen dafür ein schlagkräftiges Argument.
       
       Nichts zwang jedoch die Senatoren und die Abgeordneten, dem mehr Gewicht zu
       geben als den eindringlichen Warnungen aus der Umweltbewegung, der Medizin
       und der Wissenschaft. Diese Parlamentarier geben damit ein deutliches
       Signal für ihre Prioritätensetzung: Die unmittelbaren Interessen eines
       Wirtschaftssektors kommen vor dem [3][Schutz der Gesundheit und der
       Biodiversität.]
       
       Das Gesetz Duplomb stellt eine eigentliche Trendwende dar. Denn neben dem
       besonders kritisierten Kapitel der Pestizide wird darin auch die Schaffung
       der sehr umstrittenen künstlichen „Mega-Wasserbecken“ für
       landwirtschaftliche Intensivbetriebe gefördert, auch werden die
       Bewilligungsverfahren für den Bau von riesigen Rinderzuchtbetrieben
       vereinfacht.
       
       ## Lobby in Kommission vertreten
       
       Dies erfüllt weitgehend die Wünsche des FNSEA, was nicht erstaunt, da man
       dank Online-Magazin Mediapart entdeckt, dass in der zuständigen gemischten
       Kommission des Senats und der Nationalversammlung von 27 Mitgliedern nicht
       weniger als 4 aus der FNSEA-Führung kommen, 11 gegenwärtig oder früher
       Landwirtschaftsunternehmen leiteten.
       
       Hinzu kommt ein Vertreter der Agroindustrie und ein
       Ex-Landwirtschaftsminister. Die Grünen beispielsweise haben dagegen nur
       gerade einen Sitz in dieser Kommission, die für die Ausarbeitung der
       definitiven Gesetzesvorlage zuständig war.
       
       Sie hat auch das etwas ungewöhnliche Vorgehen beschlossen. Die erste vom
       Senat gebilligte Version der Loi Duplomb war nämlich von der
       Nationalversammlung ohne Debatte und Votum direkt zur
       „Differenzbereinigung“ an diese Kommission weitergeleitet worden. Die
       Petition kritisiert darum auch, dass es keine genügende Debatte gab und
       verlangt darum eine neue Diskussion mit Votum.
       
       ## Konservative setzen auf Sommerpause
       
       Das Petitionsrecht sieht vor, dass die Vorsitzenden der Fraktionen der
       Nationaversammlung eine Debatte auf die Tagesordnung stellen können
       (sollten?), wenn mindestens 500000 Unterschriften eingereicht sind. Nichts
       zwingt sie aber dazu … außer dem öffentlichen Druck. Und der wächst zurzeit
       von Tag zu Tag mit der Zahl der eingehenden Unterschriften, deren Identität
       von der Plattform geprüft wird.
       
       Die Gegner der Loi Duplomb schöpfen Hoffnung. Die Macronisten und die
       konservative Rechte stellen sich dagegen bisher taub, sie setzen auf die
       Sommerpause. Über eine eventuelle Diskussion wollen sie eventuell im
       September mit sich reden lassen, falls bis dann das Thema nicht in
       Vergessenheit geraten ist.
       
       Der Staatspräsident, Emmanuel Macron, hat zudem mehrere Mittel, sein Veto
       gegen eine beschlossene Vorlage einzulegen: Er kann sich weigern, das
       Gesetz mit seiner Promulgation in Kraft zu setzen; er kann auch gestützt
       auf seine Verfassungsrechte eine neue parlamentarische Debatte anordnen;
       und er könnte in einer so umstrittenen Gesellschaftsfrage eine
       Volksabstimmung (Referendum) organisieren.
       
       Obwohl das umstrittene Agrargesetz eigentlich seinen ökologischen
       Wahlversprechen zuwider läuft, schweigt er bisher, um seine ohnehin
       schwache Regierung nicht zusätzlich ins Wanken zu bringen. Eine Studentin,
       die mit der Unterstützung durch 2 Millionen Landsleute die mächtigste Lobby
       in Frankreich in die Knie zwingt, das schüfe einen für die Staatsmacht
       gefährlichen Präzedenzfall.
       
       25 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Angriff-auf-das-Umweltbundesamt/!6099074
   DIR [2] /EU-verschleppt-Pruefverfahren/!6092561
   DIR [3] /29-zugelassene-Pestizidwirkstoffe-bilden-gefaehrliche-Saeure/!6091048
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Balmer
       
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